URI: 
       # taz.de -- Führungswechsel bei der Linkspartei: Man ist vorsichtig optimistisch
       
       > Parteitag wählt Katina Schubert zur neuen Chefin und stellt sich hinter
       > Andrej Holm. Viel diskutiert wird die Bedeutung von R2G für die
       > Bundestagswahl.
       
   IMG Bild: „Diese Gesellschaft braucht eine starke Linke“: Katina Schubert mit Blick auf die Bundestagswahl
       
       Andrej Holm bekam den eindeutig längsten und wärmsten Applaus auf dem
       Linken-Parteitag. Der gerade erst nominierte Staatssekretär für Wohnen,
       bisher vor allem als Gentrifizierungsgegner bekannt, sah sich bereits mit
       Stasi-Vorwürfen konfrontiert. Dazu sagte der 1970 in Leipzig geborene
       Sozialwissenschaftler am Samstag, er habe als 16-Jähriger bei der
       Staatssicherheit „unterschrieben“: „Ich bin in einem antifaschistischen
       Haushalt groß geworden.“ Deshalb sei das für ihn „kein Widerspruch“
       gewesen.
       
       Im September 1989 hatte Holm eine Grundausbildung beim Wachregiment des
       DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) begonnen. Er habe damals schon
       anders gedacht, aber nicht den Mut gehabt, den eingeschlagenen Weg zu
       beenden, so Holm. Deshalb sei er „extrem erleichtert“ gewesen, als die DDR
       zusammenbrach. Und er habe Schlussfolgerungen gezogen: „Meinungsfreiheit
       ist allen anderen Systemen vorzuziehen.“ Gegenüber der taz erklärte Holm,
       am heutigen Montag Einsicht in seine Stasi-Akten nehmen zu wollen.
       
       Holm ist nicht Mitglied der Linkspartei. Diese versicherte ihm dennoch ihre
       volle Unterstützung: „Wir haben uns schon öfter mit Andrej solidarisch
       gezeigt und wir sind auch jetzt solidarisch“, sagte die neue
       Landesvorsitzende Katina Schubert. Die Geschichte des MfS müsse „auch heute
       differenziert betrachtet werden“, so Schubert.
       
       Ohnehin stand auf dem Landesparteitag die Personalie Holm nicht im
       Vordergrund. Zunächst galt es, einen neuen Vorstand zu wählen. Dazu eins
       vorab: Die höchste Anzahl von Jastimmen bekam am Samstag in Adlershof die
       Schatzmeisterin. Sylvia Müller wurde mit 78,5 Prozent der 159
       Delegiertenstimmen wiedergewählt und ist damit nun dienstälteste
       Schatzmeisterin aller Linken-Landesverbände in Deutschland, seit 24 Jahren
       im Amt.
       
       ## Viel Lob für den scheidenden Parteichef
       
       Die neue Landesvorsitzende Schubert musste sich mit weniger zufriedengeben:
       75,3 Prozent der Delegierten gaben der bisherigen Geschäftsführerin des
       Landesverbands ihr Ja. Kein überwältigendes, aber ein ordentliches
       Ergebnis: Auch der alte Landesvorsitzende Klaus Lederer war in den
       vergangenen Jahren mit Ergebnissen um die 70 Prozent ins Amt gekommen.
       
       Nun, nach der Wahl im September, waren die Delegierten voll des Lobs für
       den scheidenden Vorsitzenden. Kein Wunder: Die Linke hat mit 15,6 Prozent
       fast 5 Prozentpunkte gegenüber 2011 zugelegt und ist nun drittstärkste
       Fraktion vor den Grünen. Lederer, 42, der den Parteivorsitz 2005 übernommen
       hatte, zieht als Kultursenator in den neuen rot-rot-grünen Senat ein.
       
       Eine wechselvolle Ära geht damit zu Ende: 2007 musste Lederer die Fusion
       des einzigen Ost-West-Landesverbands der Linken mit der WASG managen, 2011
       die Partei nach dem mageren Wahlergebnis – Folge und Ende der
       vorausgegangenen rot-roten Koalition, in die die damalige PDS 2002 noch mit
       über 22 Prozent der Wählerstimmen eingetreten war – reanimieren. Das habe
       er mit sichtbarem Erfolg getan, lobte ihn Petra Pau,
       Bundestagsvizepräsidentin und von 1992 bis 2001 selbst Berliner
       Landesvorsitzende der Vorgängerin PDS: „Die Linke musste sich berappeln,
       und sie tat es. Ich denke, das ist deine Leistung, Klaus.“
       
       „Diese Gesellschaft braucht eine starke Linke“, sagte Katina Schubert in
       ihrer Bewerbungsrede mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst 2017. Der
       Berliner Landesverband werde dabei eine wichtige Rolle innehaben. Dass die
       Republik im Vorfeld der Bundestagswahl gespannt auf Erfolge und Misserfolge
       von R2G in Berlin schaut, bestimmte einen großen Teil der Debatte. Ein
       Scheitern der Koalition wäre katastrophal. „Es gibt keine Schonfrist“,
       warnte Lederer die GenossInnen. Und als Katja Kipping, Bundesvorsitzende
       der Partei, in ihrer Rede von der „großen Verantwortung“ sprach, „die auf
       unseren Schultern liegt“, klang der Applaus der Delegierten so
       verschüchtert, als fragten sich viele, ob diese Verantwortung der Berliner
       Linken zuzutrauen sei.
       
       ## Alle schauen vor der Bundestagswahl auf R2G
       
       Doch insgesamt überwog verhaltener Optimismus. Dafür sorgten der Wahlerfolg
       und die Durchsetzungsfähigkeit der Linken bei den Verhandlungen zum
       Koalitionsvertrag, der vergangene Woche in einer Mitgliederabstimmung mit
       89,3 Prozent der Stimmen angenommen worden war. Mit den drei ebenfalls am
       Samstag gewählten StellvertreterInnen der 54-jährigen Schubert hat der neue
       Landesvorstand ein junges und sehr weibliches Führungsgremium: Neben Sandra
       Brunner (geboren 1975) und Franziska Brychcy, 31, gehört ihm Tobias Schulze
       (geboren 1976) als „Quotenmann“ an. Nachfolger von Schubert als
       Geschäftsführer wird der 34-jährige Sebastian Koch.
       
       Und mit dem 1982 im Kosovo geborenen Hamze Bytyci sitzt im 20-köpfigen
       Landesvorstand erstmals ein Roma-Aktivist. Sie wolle die Partei künftig
       weiter interkulturell öffnen, kündigte die neue Vorsitzende an: „Wir sind
       immer noch eine sehr weiße Partei.“
       
       11 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alke Wierth
       
       ## TAGS
       
   DIR Die Linke Berlin
   DIR Andrej Holm
   DIR Katina Schubert
   DIR Klaus Lederer
   DIR Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
   DIR Andrej Holm
   DIR R2G Berlin
   DIR Die Linke Berlin
   DIR Andrej Holm
   DIR Andrej Holm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rot-Rot-Grün in Klausur: Jetzt beginnen die ersten 100 Tage
       
       Die rot-rot-grüne Landesregierung will am Montag in einer Klausurtagung das
       Mitte November angekündigte 100-Tage-Programm starten.
       
   DIR Rot-Rot-Grün und Andrej Holms Stasi-Akte: Er ist belastbar und motiviert
       
       Viel Wirbel um die Berliner Regierungsbildung: Die CDU protestiert gegen
       den designierten Staatssekretär Holm. Dessen Stasi-Akte steht nun im Netz.
       
   DIR Treffen zu Rot-Rot-Grün im Bund: Ab sofort alle vier Wochen
       
       Die drei Parteien wollen häufiger über ein Linksbündnis diskutieren. Auch
       Thüringens Ministerpräsident Ramelow soll teilnehmen.
       
   DIR Berlins neue Sozialsenatorin: „Wir müssen Armut eingrenzen“
       
       Die Linke Elke Breitenbach ist seit Donnerstag Senatorin für Arbeit,
       Soziales und Integration – und hat da einiges vor.
       
   DIR Kommentar Berlins Staatssekretär Holm: Die Gentrifizierungskritik in Person
       
       Holm analysierte stets so scharf, dass ihn die Justiz für einen Terroristen
       hielt. Seine Berufung zeigt, dass Rot-Rot-Grün etwas ändern will.
       
   DIR Staatssekretär für Wohnen in Berlin: Senat mietet Andrej Holm
       
       Keiner hat Berlins Baupolitik so lange und so hart kritisiert wie er. Holm
       war Aktivist, Akademiker und im Knast. Nun steht er auf Regierungsseite.