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       # taz.de -- Biografie über Helmut Schön: Sozialliberaler an der Seitenlinie
       
       > Unter Deutschlands Fußball-Weltmeistertrainern ist Helmut Schön oft der
       > Vergessene. Zu Unrecht, wie die erste Biografie zeigt.
       
   IMG Bild: Als Feingeist erfolgreich: Weltmeister Helmut Schön, 1974
       
       „So nicht, Herr Schön!“ gehört zu den berühmten Schlagzeilen der
       Bild-Zeitung. Herr Schön hatte sich am Vortag erdreistet, bei der
       Fußball-WM 1974 in der Bundesrepublik 0:1 gegen die DDR zu verlieren.
       Später wurde Helmut Schön mit der DFB-Elf Weltmeister, zwei Jahre zuvor war
       er Europameister geworden, und gerade in der Rückschau überwiegen die
       Meriten des Trainers, den Udo Jürgens in einem berühmten Lied den „Mann mit
       der Mütze“ nannte.
       
       Dabei gab es stets heftige Angriffe gegen den angeblich „zu weichen“ Schön,
       dessen Mannschaft sich ja „von selbst“ aufstelle und eigentlich keinen
       Trainer brauche.
       
       Vielleicht waren es solche Vorwürfe, die dafür sorgten, dass eine Biografie
       von Schön bislang noch nicht vorliegt. Bernd-M. Beyer hat sie nun vorgelegt
       und mit diesem großen Wurf zugleich eine eindrucksvolle Geschichte der
       Bundesrepublik geschrieben. Schön stammt aus Dresden, einer bürgerlichen
       Familie, in der Fußball nicht so recht angesehen war. Unterstützt von der
       Mutter, kickte sich das lange und hagere Talent durch, immer von
       Knieproblemen gebremst.
       
       Beim Dresdner SC schaffte er es zum spielgestaltenden Stürmer einer
       Meistermannschaft, auch Nationalspieler wurde Schön, auch wenn er sich von
       Reichstrainer Herberger genau die Anwürfe anhören musste, die ihn später
       begleiteten: „zu weich“.
       
       Die dauernden Verletzungsprobleme, seine Fähigkeit, Spiele zu verstehen und
       zu lesen, sowie sein pädagogisches Geschick machten aus dem Spieler bald
       einen Spielertrainer und dann einen Trainer. Dass seine aktive Zeit im
       NS-Regime stattfand, prägte ihn stark. Weil er wegen seiner Knieprobleme
       nicht kriegstauglich war, hing ihm der Vorwurf an, nicht martialisch zu
       sein. Und auf das NS-Regime wollte sich Schön, der aus einer katholischen
       Familie stammte, nicht einlassen. Beinahe zur Familie Schön, quasi ein
       Untermieter, gehörte der jüdische Verleger Max Wolf, der sich später aus
       Angst vor Deportation umbringen sollte.
       
       ## Respekt und Toleranz
       
       Als nach 1945 in der späteren DDR der Sport neu und, wie es behauptet
       wurde, demokratisch organisiert wurde, versuchte Schön zunächst
       mitzumachen, wie er im Sport unter den Nazis mitgemacht hatte: ein bisschen
       dabei, ein bisschen außen vor. Sogar erster DDR-Nationaltrainer wurde
       Helmut Schön, was heute weitgehend vergessen ist, weil die DDR unter ihm
       noch keine offiziellen Länderspiele bestreiten durfte. Weil er als Trainer,
       noch dazu in so herausgehobener Stellung, aber nicht auf Distanz zum neu
       entstehenden Sportsystem bleiben konnte, wurde es eng für Schön. Er setzte
       sich nach Westberlin ab, trainierte eine sehr kurze und sehr erfolglose
       Phase lang Hertha BSC Berlin und bekam bald den Ruf, die Nationalelf des
       Saarlands, damals noch unabhängig und Mitglied von Fifa und IOC, zu
       betreuen.
       
       Bis 1956 tat er das, heimste kleinere Erfolge ein und wurde 1956 Assistent
       von Sepp Herberger, der vom Trainer Schön mehr hielt als vom Spieler. Aus
       dem Assistenten Schön wurde 1964 der Bundestrainer, der große Erfolge
       vorweisen konnte: Vizeweltmeister 1966. 1970 bei der WM das berühmte
       Halbfinale Deutschland – Italien. 1972 Europameister, 1974 Weltmeister.
       Helmut Schön, schon bald von seinem Vorgänger und Förderer Sepp Herberger
       angefeindet – man ahnt es: „zu weich“ sei er – war der Trainer, der für die
       immer selbstbewusster werdende Profigeneration um Franz Beckenbauer und
       Paul Breitner genau richtig war. Wenn man so will: ein Sozialliberaler an
       der Seitenlinie.
       
       Bernd M. Beyers Biografie beschreibt nicht nur, wie sich Schöns Erfolge und
       Misserfolge zur Geschichte der Bundesrepublik verhalten, er kann auch die
       Besonderheit des eher feinsinnigen und gerade deswegen in der
       Sportöffentlichkeit oft verspotteten Mannes erklären. Fußball war ihm
       weniger als Mittel des sozialen Aufstiegs wichtig, sondern war bei Schön
       stets auch ästhetische Ausdrucksform bestimmter Werte: Respekt und Toleranz
       etwa.
       
       Zu den vielen Details, die man von Beyers Biografie erfährt, gehört auch
       die lebenslange Freundschaft Schöns zu Ignatz Bubis, dem späteren
       Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Helmut Schön ist in
       gewisser Weise der vergessene von Deutschlands WM-Trainern: Über Sepp
       Herberger, Franz Beckenbauer und auch schon über Jogi Löw weiß man
       vermutlich mehr als über Helmut Schön. Beyers wirklich große Biografie
       zeigt, dass das nicht richtig ist.
       
       18 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
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