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       # taz.de -- Nachruf auf Hildegard Hamm-Brücher: Die Einzige
       
       > Die Liberale Hildegard Hamm-Brücher ist tot. Die „große alte Dame“ der
       > FDP, die im Unfrieden aus ihrer Partei schied, starb mit 95 Jahren.
       
   IMG Bild: Die „große alte Dame der FDP“: Hildegard Hamm-Brücher (Archivbild 2012)
       
       Ihr Name ist untrennbar verbunden mit einer Partei, aus der sie im Jahr
       2002 ausgetreten ist: Hildegard Hamm-Brücher galt immer noch als die „große
       alte Dame der FDP“, als sie den Liberalen längst im Zorn den Rücken
       zugewandt hatte.
       
       Hamm-Brücher hatte damit ein Zeichen setzen wollen gegen die Annäherung der
       FDP an die „antiisraelischen und einseitig propalästinensischen“ Positionen
       des „Herrn Möllemann“, später führte sie auch ihre Verärgerung über die
       stark wirtschaftsliberale Neuausrichtung der Freidemokraten unter der
       Führung von „Herrn Westerwelle“ als Begründung an. Richtiggehend böse
       konnte sie werden, wenn jemand in ihrer Gegenwart auf Jürgen W. Möllemann
       und Guido Westerwelle zu sprechen kam, die in ihren Augen für den
       Niedergang der Partei verantwortlich zeichneten.
       
       In das kollektive Gedächtnis eingegangen war sie zuvor eher aufgrund ihrer
       Trauer: Tränen hatte Hildegard Hamm-Brücher vergossen, als Hans-Dietrich
       Genscher, „Herr Genscher“, wie sie auch ihn mit einiger Distanz
       bezeichnete, Anfang der Achtziger die sozialliberale Koalition mit Helmut
       Schmidt platzen ließ und die Ära Kohl einleitete. Das Misstrauensvotum
       gegen die Regierung Schmidt bezeichnete Hamm-Brücher als „Machtwechsel ohne
       vorheriges Wählervotum“, dem das „Odium des verletzten demokratischen
       Anstands“ anhafte.
       
       Die sozialliberale FDP, die FDP des Walter Scheel und des Ralf Dahrendorf,
       die FDP, die die Ära Brandt ermöglicht hatte und auf den „Freiburger
       Thesen“ fußte, das war die Partei der Hildegard Hamm-Brücher.
       
       ## Widerstand in der „Weißen Rose“
       
       Sie wuchs, geboren im Mai des Jahres 1921 in Essen, mit vier Geschwistern
       in Berlin-Dahlem auf. Als der Vater starb, war sie zehn, als die Mutter
       starb, war sie elf Jahre alt – die Geschwister wuchsen fortan bei der
       Großmutter in Dresden auf, die Jüdin war und sich später das Leben nahm,
       als sie nach Theresienstadt deportiert werden sollte. Hildegard
       Hamm-Brücher galt in der NS-Zeit als „Mischling“, als solcher musste sie
       das Internat Salem verlassen. Nur unter Schwierigkeiten konnte sie ihr
       Chemiestudium in München aufnehmen. Dort gehörte sie zum erweiterten
       Widerstandskreis um die „Weiße Rose“.
       
       Nach Kriegsende arbeitete die nunmehr promovierte Chemikerin zunächst bei
       der Neuen Zeitung als Wissenschaftsjournalistin – wo sie ein Redakteur
       namens Erich Kästner unter seine Fittiche nahm. Mit ihm zusammen unternahm
       sie Automobilfahrten in das Münchener Umland, um selbst hergestelltes
       Saccharin gegen Eier und Mehl zu tauschen, um schließlich Eierlikör
       herzustellen, den sie auf dem Schwarzmarkt verkauften – so konnte sie sich
       und ihre Geschwister „durchbringen“.
       
       Den Führerschein hatte sie schon 1937 gemacht, so viele Auto fahrende
       Frauen gab es zu dieser Zeit noch nicht, von weiblicher Präsenz in der
       Politik ganz zu schweigen: Ab 1948 gehörte sie dem Stadtrat von München an
       und wurde auf die Liste der FDP Bayern gewählt. Der Beginn einer langen
       politischen Karriere – zu der sie der spätere Bundespräsident Theodor Heuss
       persönlich ermutigt hatte, nach einem Interview, das sie mit ihm für die
       Neue Zeitung geführt hatte.
       
       Schon in ihren ersten Jahren im Bayerischen Landtag machte sie sich als
       Bildungspolitikerin nicht nur Freunde, zum Beispiel, als sie sich gegen die
       Konfessionsschule einsetzte; der Versuch der eigenen Partei, sie
       kaltzustellen, scheiterte. Später, im Jahr 1964, löste sie den Sturz des
       damaligen bayerischen Kultusministers Theodor Maunz (CSU) aus, nachdem
       dessen NS-Vergangenheit öffentlich geworden war.
       
       ## Von der Parteipolitik abgewandt
       
       Im Jahr 1969, sie war bereits im Bundesvorstand der FDP, wechselte
       Hildegard Hamm-Brücher erstmals als beamtete Staatssekretärin nach Bonn –
       wenige Jahre später, im Jahr 1976, war sie erstmals als Abgeordnete im
       Bundestag vertreten und wurde Staatssekretärin im Auswärtigen Amt,
       zuständig für kulturelle Beziehungen. Auch zu diesem Zeitpunkt waren Frauen
       noch immer ungewöhnlich in der Politik, und sie war oft „die Einzige“ –
       unglaublich mutet heute eine ihrer Anekdoten aus den frühen siebziger
       Jahren an: Frauen, die im Hosenanzug vor dem Bundestag sprechen wollten,
       wurden vom Bundestagspräsidenten auf ihre Plätze zurückgeschickt, wegen
       ungebührlicher Kleidung.
       
       Gefreut habe sie sich später über den Einzug der Grünen „mit ihren
       Blumentöpfen und Turnschuhen“ in den Bundestag, [1][so sagte sie 2009 im
       taz-Gespräch] – während sie selbst, die Vollblutpolitikerin, sich in ihren
       letzten Jahren von der Parteipolitik eher abgewandt hatte. Sie bedauerte
       gar, überhaupt je in eine Partei eingetreten zu sein: „Heute würde ich das
       nicht mehr machen. Es gibt so viele andere wichtige Bereiche, von
       Greenpeace bis Amnesty, man kann sich genauso ohne Partei politisch
       engagieren, ohne diese ‚Erniedrigungen des Aufstiegs‘.“
       
       Aus der aktiven Politik hatte sich Hildegard Hamm-Brücher bereits 1991
       verabschiedet. Sie war mit dem CSU-Kommunalpolitiker Erwin Hamm
       verheiratet, der bereits 2008 verstarb. Aus der Ehe gingen ein Sohn und
       eine Tochter hervor. Von München aus veröffentlichte Hamm-Brücher
       zahlreiche Bücher („Demokratie, das sind wir alle“) und stand als
       Interviewpartnerin zur Verfügung, als Zwischenruferin auch – und als
       Kritikerin insbesondere „ihrer“ Partei, der FDP, die in diesem Jahr so
       viele Tote zu betrauern hat: Scheel, Westerwelle, Genscher.
       
       Das höchste Amt, das der Bundespräsidentin, blieb ihr verwehrt – obwohl
       sich viele Deutsche auch schon 1994 endlich eine Frau in dieser Position
       gewünscht hätten. Von „Machtkalkül“ und „Koalitionsräson“ sprach sie nicht
       ohne Bitterkeit, als der Job dann an Roman Herzog ging. Später unterstützte
       Hamm-Brücher energisch die Kandidatur von Gesine Schwan, doch die Berufung
       einer Frau zur Bundespräsidentin der Bundesrepublik Deutschland hat sie
       nicht mehr erleben können. Am Freitag ist sie, die aufrechte Demokratin, im
       Alter von 95 Jahren gestorben.
       
       9 Dec 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Zum-Tod-von-Hildegard-Hamm-Bruecher/!5364523/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reichert
       
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