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       # taz.de -- Versuchte TV-Zensur in Finnland: Gehackt? Oder hackt's?
       
       > Der finnische Ministerpräsident Juha Sipilä setzt das
       > öffentlich-rechtliche Fernsehen unter Druck. Mit Erfolg – bis die
       > Geschichte auffliegt.
       
   IMG Bild: Juha Sipilä, Finnland trumpetender Ministerpräsident
       
       Ministerpräsident Juha Sipilä war irritiert. Äusserst irritiert. Da hatte
       sich doch YLE, Finnlands öffentlich-rechtliche Rundfunk- und
       Fernsehanstalt, erdreistet, ein Thema aufzugreifen, das auch andere
       finnische Medien höchst interessant fanden.
       
       Nämlich die Frage, wie es eigentlich mit der Befangenheit des
       Regierungschefs bestellt ist, wenn dieser an einem Beschluss mitwirkt, der
       ein ansonsten konkursreifes Unternehmen mit Millionen an Steuergeldern über
       Wasser hält – was dann auch Mitgliedern seiner Familie zu Gute kommt. Weil
       die an einer Firma beteiligt sind, die mehrfach Geschäfte mit diesem
       Unternehmen machte und zuletzt einen Auftrag erhielt, der zehn Prozent
       ihres Jahresumsatzes ausmachte.
       
       Es waren also keine unberechtigten Fragen, die da aufgeworfen wurden und
       der YLE-Beitrag war kurz und sachlich. Aber Sipilä fand es offenbar
       ungeheuerlich, dass an seiner Unbefangenheit auch nur gezweifelt wurde.
       
       ## Intervention nicht vergeblich
       
       Er begann YLE mit Beschwerdemails zu bombardieren. Die Journalistin Salla
       Vuorikoski erhielt in kurzer Zeit 17 davon. „Als das gar nicht mehr
       aufhörte, dachte ich, sein E-Post-Konto muss gehackt worden sein“,
       berichtete sie später. Ähnliche Aufwartung durch Sipilä wurde dem
       YLE-Chefredakteur Atte Jääskeläinen zuteil.
       
       Diese Einzelheiten konnte das Nachrichtenmagazin „Suomen Kuvalehti“ Ende
       November nicht nur enthüllen, sondern auch Hinweise dafür liefern, dass die
       Intervention des Ministerpräsidenten offensichtlich nicht vergeblich
       gewesen war. Die YLE-Chefredaktion wies nach Sipiläs Mailflut nämlich die
       Redaktion an, das Befangenheits-Thema nicht mehr weiter zu verfolgen.
       Bereits so gut wie fertige Beiträge wurden gestoppt. Als ein
       Talkshowmoderator ankündigte, er werde sich keinen Maulkorb verpassen
       lassen, wurde ihm Kündigung angedroht.
       
       Irgendeinen Zusammenhang mit dem von Sipilä ausgeübten Druck habe es nicht
       gegeben, behauptet Jääskeläinen. Es seien davon ganz unabhängige rein
       journalistische Entscheidungen gewesen. Die habe eine Redaktion ja täglich
       zu treffen: Weiter vertiefen oder abhaken? Und Sipilä verneinte die Absicht
       irgendwelcher Einflussnahme: Er habe nur von seinem Recht als Staatsbürger
       Gebrauch gemacht, seine Meinung zu sagen.
       
       ## Reporterin als „Mülleimer“
       
       „Das stinkt gewaltig“, meint die ehemalige Presse-Ombudsfrau Yrsa Stenius.
       „Normal ist hier gar nichts“, findet Hanne Aho, Vorsitzende des
       Journalistenverbands: „Weder am Verhalten Sipiläs noch an YLE's Reaktion.“
       Finnland stehe ja auf Platz 1 der aktuellen Pressefreiheitsliste von
       „Reporter ohne Grenzen“ erinnert die Journalismusprofessorin Elina
       Grundström: „Da werden wir sicher nicht bleiben, wenn führende Politiker
       die Pressefreiheit vergessen, wenn sie selbst unter die Lupe genommen
       werden.“ Und in der Tat hat Reporter ohne Grenzen den Fall schon
       [1][aufgenommen].
       
       Mehrere YLE-Redakteure brachen mittlerweile ihr bisheriges Schweigen und
       berichteten von Erfahrungen im Umgang mit dem seit eineinhalb Jahren
       amtierenden Ministerpräsidenten: Unbeherrscht und agressiv sei dieser nur
       allzu oft, eine politische Reporterin fühlte sich von ihm als „Mülleimer“
       behandelt.
       
       Schon in der Vergangenheit habe es von seiner Seite her Interventionen auf
       die Berichterstattung gegeben, so bei Fragen über seine Finanzgeschäfte.
       Und YLE habe daraufhin das Thema nicht weiter verfolgt.
       
       Sipilä, erfolgreicher Geschäftsmann und Multimillionär, war als
       Quereinsteiger in die Politik gekommen. Nach den aktuellen Vorgängen bekam
       er gleich in mehreren Kommentaren das Etikett „Finnlands Trump“ angehängt
       und die Frage wurde aufgeworfen, ob dieser Politamateur, der offenbar
       glaube, ein Land wie in Unternehmen führen zu können, eigentlich ein
       geeigneter Regierungschef sei. Und ob YLE den richtigen Chefredakteur habe.
       
       12 Dec 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://rsf.org/en/news/rsf-condemns-finnish-premiers-harassment-state-tv-journalists
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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