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       # taz.de -- Frauen-Moschee in Kopenhagen: Ein Imam muss kein Mann sein
       
       > Die Mariam-Moschee ist die erste von Frauen geleitete Moschee in
       > Skandinavien. Sie will Vorurteile abbauen und gegen das Patriarchat
       > kämpfen.
       
   IMG Bild: Raus aus dem Hintergrund. Das Gebetshaus in Kopenhagen will mit den patriarchalen Strukturen in der Religion brechen (Symbolfoto)
       
       Kopenhagen taz | Hier müssen sich Frauen nicht verhüllen. „Jede darf tun,
       was sie will“, sagt eine kleine Frau im schwarzen Hidschab vor der Tür. Die
       Mariam-Moschee liegt in einer belebten Kopenhagener Einkaufsstraße,
       zwischen einem billigen Klamottenladen und einem Fast-Food-Shop. Das
       Gebäude ist unscheinbar. Von außen lässt sich nicht erkennen, was in der
       ersten Etage passiert: Seit August dieses Jahres halten Frauen hier einmal
       im Monat das Freitagsgebet.
       
       Im Eingang türmen sich Schuhe und Taschen, die Garderobe quillt mit Mänteln
       und Jacken in allen Farben über. Etwa 50 Frauen, darunter viele junge, sind
       gekommen. Einige sind sogar aus Schweden, Norwegen oder Holland angereist.
       Jetzt sitzen sie im großen Foyer vor dem Gebetsraum und trinken Tee, essen
       Kuchen, bis der flötende Aufruf einer hell klingenden Stimme ertönt.
       Weniger als die Hälfte steht auf, geht in den Gebetsraum, der Rest bleibt
       sitzen. Sie sind nicht wegen des Freitaggebets gekommen, sondern aus
       Interesse am Ritual – eine Studentin zum Beispiel schreibt ihre Hausarbeit
       über den islamischen Feminismus.
       
       Drinnen beginnt das Gebet auf Arabisch. Eine der Betenden trägt ihr Haar
       unverhüllt. Dann folgt die Predigt, die aufgrund des internationalen
       Besuchs auf Englisch, nicht auf Dänisch, gehalten wird. Es geht um dunkle
       Materie und dunkle Energie, um Wissenschaft und um ihre Grenzen – ein
       mystischer Vortrag über den Sinn des Lebens. Die Frauen sind Anhängerinnen
       des Sufismus, einer Strömung im Islam, die sich durch eine spirituelle
       Orientierung charakterisiert.
       
       Gegründet wurde die Mariam-Moschee von der Soziologin Sherin Khankan, einer
       von sechs selbst ernannten Imaminnen, die hier in Kopenhagen islamische
       Dienste anbieten. Drei Ziele hat sie für das Glaubenshaus: Es soll die
       patriarchale Strukturen der Religion niederschmettern, der wachsenden
       Islamophobie entgegentreten und eine aufgeklärte Alternative zum radikalen
       Islam darstellen.
       
       ## Eine aktive Rolle
       
       Khankan ist die Tochter einer finnischen Christin, die für die Jobsuche
       nach Dänemark einwanderte, und eines syrischen Muslims, der einst als
       politischer Flüchtling kam. Sie studierte religiöse Soziologie und
       Philosophie in Dänemark, Ägypten und Syrien und befindet sich gerade in
       ihrer Ausbildung zur Therapeutin.
       
       Die 42-Jährige hat blaugrüne Augen und enthüllt im Anschluss der Predigt
       ihr hüftlanges hellbraunes Haar. Man schaut Khankan gern an. Ihr Make-up
       ist dezent, abgesehen von einem dicken schwarzen Lidstrich. Ihr geblümtes
       Kleid in Lila reicht bis zum Boden und wippt bei jedem ihrer Schritte mit.
       Und man hört ihr gern zu. Sie spricht überlegt und eloquent, mit sanfter
       Stimme. „Eine weiblich geführte Moschee kann das Bild über den Islam
       verändern“, sagt sie, „weil sie die Idee, der Islam sei frauenverachtend,
       einfach erschwert. Wir sind handlungsfähige Frauen, die eine aktive Rolle
       in ihrem Glauben einnehmen.“
       
       Die Mariam-Moschee ist die erste weiblich geführte islamische Gebetsstätte
       in Skandinavien und eine von wenigen dieser Art weltweit. Finanziert wird
       sie von einem privaten Geldgeber: dem bekannten dänischen Fotografen Jacob
       Holdt. Holdt und Khankan kennen sich seit 15 Jahren, so lange schreibt sie
       auch über den Islam für dänische Medien. 2001 gründete sie den Verein der
       Kritischen Muslime, den sie auflöste, weil er sich nach 9/11 viel mehr
       damit beschäftigt habe, den Islam zu verteidigen, als inhaltlich zu
       arbeiten. Im letzten Jahr aber, es sei es an der Zeit gewesen, wieder aktiv
       zu werden, entwickelte sie die Idee für ein weiblich geführtes Gebetshaus.
       Holdt war Feuer und Flamme und fand für Khankan die Räume im Zentrum
       Kopenhagens.
       
       ## Kritik
       
       Sherin Khankan betont, dass sie mit der Moschee progressiven Idealen folgt,
       doch als Reformatorin sieht sie sich nicht: „Weibliche Imame sind in
       unserer Geschichte begründet, das wissen viele nicht. Unser Prophet
       Mohammed hat patriarchalische Strukturen infrage gestellt und erlaubte auch
       Frauen die Predigt. Es geht uns daher viel mehr um eine Wiedererweckung der
       Ursprünge unserer Religion.“
       
       Doch das sehen nicht alle so. Laufend entgegnen ihr Traditionalisten: „Wer
       bist du, dich eine Imamin zu nennen?“ Oder: „Ein Imam muss ein Mann sein.“
       Und auch ihr eigener Vater, den sie selbst als feministische Ikone
       bezeichnet, tadelte anfangs ihren Entschluss, Imamin zu werden: „Du trägst
       doch nicht einmal das Kopftuch.“ Mittlerweile steht er zu seiner Tochter
       und kann damit leben, dass sich ein Großteil seiner Freunde ihretwegen von
       ihm abwandte.
       
       Auch innerhalb des Feminismus findet Sherin Khankan Kritikerinnen und
       Kritiker. Sie bemängeln, dass am Freitagsgebet der Mariam-Moschee nur
       Frauen teilnehmen dürfen, und argumentieren, dass die Segregation kein
       feministischer Fortschritt sei. Khankan selbst wollte ursprünglich ein
       inklusives Angebot, bei dem Frauen für beide Geschlechter vorbeten, doch
       die Mitglieder der Moschee sprachen sich in der Überzahl für einen
       Ausschluss von Männern aus. „Ich akzeptiere das als Kompromiss, wir sind
       hier schließlich demokratisch. Wenn man etwas verändern will, dann geht man
       einen Schritt nach dem nächsten“, sagt Khankan.
       
       Ob ihr Angebot zu progressiv oder nicht progressiv genug ist, darauf möchte
       sie keinen Fokus legen. Ihr ist wichtiger, dass Frauen sich hier wohlfühlen
       und gehört werden. Deshalb bietet die Mariam-Moschee eine islamische
       Seelsorge an, die zwar Männern und Frauen offensteht, aber besonders für
       Frauen wichtig ist: „Wenn sie postnatale Depressionen oder Fehlgeburten
       erleben, häusliche Gewalt erfahren oder über sexuelle Themen sprechen
       möchten, öffnen sie sich eher einer Imamin als einem Imam“, sagt Sherin
       Khankan.
       
       Die Islamic Spiritual Care, wie der Dienst auf Englisch genannt wird,
       findet immer freitags nach dem Gebet statt. Erst kürzlich wurde Khankan von
       einer Mutter mit ihrer Tochter besucht. Die Tochter outete sich als
       bisexuell, zum Kummer der religiösen Mutter. Antworten für die Situation
       der beiden Frauen fand die Imamin im Koran. Welchen Rat sie gab, verrät sie
       nicht. Bloß, dass sie den beiden helfen konnte.
       
       ## Eheverträge
       
       Bereits fünf Ehen hat Khankan initiiert, zwei davon waren interreligiös.
       Für Eheschließungen erstellte die Mariam-Moschee einen eigenen Vertrag, der
       Mehrehen ausschließt, ein geteiltes Sorgerecht nach einer Trennung festlegt
       und Scheidungen auch dann erlaubt, wenn nur die Frau diese verlangt – eine
       unübliche Praxis im Islam, die eigentlich die Einwilligung beider Parteien
       erfordert. „Wir hätten gern, dass diese Art von Eheverträgen in allen
       Moscheen eingeführt wird“, sagt Khankan. Auch zwei Scheidungen wurden hier
       schon vollzogen, beide waren von Frauen initiiert.
       
       In Kürze soll in den Räumen auch eine Akademie gegründet werden, die die
       islamische Seelsorge vermitteln und auch den Sufismus, islamischen
       Feminismus und die arabische Sprache lehren will. Die Weiterbildung
       innerhalb der Mariam-Moschee ist ein wichtiges Unterfangen, denn die
       Imaminnen begreifen sich alle noch als Auszubildende, inklusive Khankan:
       „Ich wusste anfangs nicht, wie das alles funktioniert. Es fühlt sich
       insgesamt wie eine Reise an, die wir gerade erst angetreten sind.“
       
       Das Eingeständnis der eigenen Unerfahrenheit nutzen Kritikerinnen und
       Kritiker, um der Moschee und ihren Imaminnen die Glaubwürdigkeit
       abzusprechen. Doch Sherin Khankan möchte niemandem etwas beweisen: „Für
       mich zählt, dass unser Angebot von Frauen – und auch Männern – gesucht
       wird. Darin allein liegt unsere Daseinsberechtigung.“ Auch in der
       Organisationsstruktur der Religion liegt eine besondere Legitimität
       begründet: Anders als im Christentum gibt es im Islam keine Hierarchien.
       Gläubige dürfen die heilige Schrift so auslegen, wie sie sie verstehen.
       Deshalb kann die Ausbildung zur Imamin oder zum Imam auch autodidaktisch
       erfolgen. An die Vorbeterinnen in der Mariam-Moschee stellt Khankan aber
       gewisse Ansprüche. Alle Frauen müssen einen Master-Abschluss vorweisen, zum
       Beispiel in Arabisch oder in Islamwissenschaften.
       
       Und diese fangen im Kleinen an. „Alle Frauen, die heute hier sind, gehen
       heim, mit Erkenntnissen, die sie ihrer Familie am Esstisch weitergeben,
       darüber mit ihren Männern und ihren Vätern sprechen, und die vielleicht
       Kinder haben, die dabei zuhören.“ Sherin Khankans Weg scheint bescheiden,
       doch ihr Ziel ist ehrgeizig: „Was in einer Moschee passiert, hat Auswirkung
       auf das Leben der Menschen, auf ihren Alltag. Dort beginnen wir – und
       werden so die Gesellschaft verändern.“
       
       25 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Osia Katsidou
       
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