URI: 
       # taz.de -- Weibliche Ultra-Fans im Fußball: Frauen an den Zaun
       
       > Welche Rolle spielen Frauen in der Anhängerschaft von Fußballclubs? Von
       > gleichberechtigter Anerkennung kann jedenfalls noch lange nicht die Rede
       > sein.
       
   IMG Bild: Und wo sind hier die weiblichen Ultras?
       
       „Das Bild vom männlichen Fußballfan ist tief verwurzelt“, schrieb die
       Münchner Ultragruppe Schickeria vor einigen Jahren in einem mittlerweile
       recht bekannten Text. „Und die Fans tun oftmals alles, um das Klischee vom
       sexistischen, saufenden und prolligen Fußballfan zu erfüllen. Frauen werden
       in dieser Welt höchstens als störende Anhängsel akzeptiert.“
       
       Das war ganz und gar ironiefrei gemeint, selbstkritisch und vor allem eine
       Aufforderung: Mehr weibliche Mitglieder wollte die Gruppe anwerben, Frauen,
       die keine Sorge vor Diskriminierung haben sollten. Ja, die organisierte
       Fanszene hat immer noch ihre Schwierigkeiten mit Frauen. Und umgekehrt. Es
       ist kompliziert.
       
       ## Störende Anhängsel
       
       Vor wenigen Tagen hat die so genannte Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport
       bezogene soziale Arbeit (KoFaS) in der Friedrich-Ebert-Stiftung eine
       Expertise vorgestellt. Es ging um Geschlechterverhältnisse in
       Fußballfanszenen.
       
       Handfeste Zahlen gab es zwar wenige, sondern eher allgemeine
       Einschätzungen, darunter viel Altbekanntes: Fußball als große Männerdomäne,
       das Stadion als letzte Spielwiese der Jungs. Frauen, die sich erst mal
       beweisen und dabei von ihrer Weiblichkeit distanzieren müssen.
       
       Ja, alles richtig.
       
       Aber was ist mit dem Stand der Dinge in Sachen weibliche Ultras, in Berlin
       und anderswo? Der ist bunter, verworrener. Und vielleicht: hoffnungsvoller.
       
       Beispiele für den Umgang mit weiblichen Fans in Berlin und Umgebung gibt es
       im Guten wie im Schlechten, von Hertha BSC bis Babelsberg. Erst seit Kurzem
       wird überhaupt gezählt, wie viele Frauen in Fußballstadien auftauchen.
       Musste man früher ja auch nicht, wozu denn? Die Deutsche Fußball-Liga (DFL)
       schätzt, dass mittlerweile 25 bis 30 Prozent der Stadionbesucher weiblich
       sind, Tendenz steigend. Die Frauenquote in der Ultraszene aber, also unter
       den besonders aktiven, organisierten Fans, liegt lediglich bei ungefähr 10
       Prozent. Paradox, sind es doch die Ultras, die den Frauen ein Stück weit
       den Weg ins Stadion bereitet haben.
       
       Jung, häufig gebildet, oft politisch engagiert, liberaler als die
       Haudegen-Klientel der Fanszenen der Achtzigerjahre. Sie haben den Protest
       in Stadien hip gemacht mit Kampagnen gegen Rassismus oder Homophobie. Und
       auch gegen Sexismus, ab und an zumindest. Trotzdem schaffen es kaum Frauen
       in ihren engeren Kreis.
       
       „Sie ist eine Halbzeit auf den Zaun gegangen“, erzählt eine anonyme
       Interviewpartnerin in der Studie der KoFaS. Eine Frau, die auf den Zaun
       klettert und vorsingt – für viele unerhört. „Der Block hat ihr komplett die
       Gefolgschaft versagt. In dem Moment ist die Liebe zum Verein egal geworden.
       Einer schimpfte, dass man so was ja überhaupt nicht machen kann, eine Frau
       auf dem Zaun.“
       
       Das ist keine Einzelgeschichte: Frauen in dominanten Positionen sehe man in
       Ultragruppen kaum, so die KoFaS. Eher in traditionellen Rollen: als
       Versorgerin, häufig auch als Freundin an der Seite von.
       
       Von Szene zu Szene ist das allerdings unterschiedlich; manche Ultragruppen
       setzen sich aktiv gegen Diskriminierung ein, andere wollen gar keine Frauen
       dabeihaben. Aber vielleicht lässt sich der Grundkonflikt so erklären: Der
       Wandel in der Kurve – mehr Frauen, mehr Intellektuelle, mehr politische
       Statements – ging schneller als der Wandel in den Köpfen. Und wenig nährt
       sich so von traditionellen Bildern wie der Fußball. Die althergebrachten
       Rollenbilder leben weiter, auf beiden Seiten.
       
       Immer wieder gibt es Beschwerden über das Verhalten von Frauen im Stadion.
       Sie würden zu viel aufs Handy gucken, sich zu sehr für hübsche Spieler
       interessieren, zu wenig Hingabe zeigen. Und so falsch ist das vielleicht
       gar nicht. Denn ihre Sozialisierung mit Fußball verläuft anders; womöglich
       auch das grundlegende Verständnis.
       
       Ein männliches Mitglied der Ultraszene sagte über die Rekrutierung von
       neuen Gruppenmitgliedern, man sei durch negative Erfahrungen mit weiblichen
       Fans skeptischer geworden. Die seien oft doch nicht ernsthaft interessiert
       gewesen.
       
       ## Fußball ist Emotion
       
       Fußball bedeutet traditionell für viele Männer – das wird gern übersehen –
       nicht nur Härte, sondern in gleichem Maße Softness: Emotionen zuzulassen.
       Eine Frau, die das nicht ernst nimmt, nicht mitgrölt, sondern eher das
       Event genießt? Für Fans schwierig. Und die Frauen, die sich als echte Fans
       sehen, sind oft mindestens genauso genervt von Mitläuferinnen – weil die
       das mühsam aufpolierte Image weiblicher Fans wieder ruinieren könnten.
       
       Doch trotz aller Schwierigkeiten bei der Annäherung mischen sich die
       Kurven. Auch die Vereine haben längst das neue Potenzial durch Frauen
       erkannt, mal tapsig, mal smart. Skurrilstes Berliner Beispiel ist wohl das
       legendäre (und mittlerweile nicht mehr aufrufbare) Hertha-BSC-Portal
       „Herthafreundin“, das Frauen mit Kochtipps, Schminktipps und Regelkunde ins
       Stadion locken wollte. Unnötig zu erwähnen, dass das nicht besonders gut
       funktionierte.
       
       Progressiver waren da die üblichen Verdächtigen aus Babelsberg, wo es eine
       der wenigen unabhängigen Frauen-Ultragruppen gibt. Und tatsächlich die
       erste deutsche Vorsängerin auf dem Zaun. Die allerdings hielt es nur ein
       halbes Jahr aus, bevor sie zurücktrat. Wegen Sexismus, sagte sie erst. Um
       es dann zu revidieren: Sie sei in der Szene nicht bekannt genug gewesen,
       das habe nichts mit dem Frauenbild zu tun gehabt.
       
       Wo also geht es hin mit Gleichberechtigung in der Fankurve? Vielleicht ist
       es nur eine Frage der Zeit. Die Frauenquote steigt, auch in der Ultraszene.
       In einer Untersuchung von 2006 waren es nur 5 Prozent, heute sind es 10.
       Möglicherweise würde sogar eine dieser Aktionen von Fifa oder Uefa helfen:
       Cristiano Ronaldo, der „No to Sexism“ sagt – das hätte was.
       
       Und ansonsten? Nicht zu viel reden, vor allem nicht so verbissen. Die
       meisten Anhängerinnen meiden das Thema sowieso lieber. Sie wollen als Fan
       gesehen werden, nicht als Frau. Der Weg dahin war kompliziert genug.
       
       20 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
       ## TAGS
       
   DIR Ultras
   DIR Frauen
   DIR Fans
   DIR Ultras
   DIR Amateursport
   DIR Fußball
   DIR Pyrotechnik
   DIR Nazis
   DIR St. Pauli
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gewalt in der Primera Division: „Vermisse spanische Le Pen“
       
       Überfälle, Schlägereien und sogar ein Mord. Spaniens Fanszene wird von
       Brutalität erschüttert. Das hat auch mit einer Politisierung der Ultras zu
       tun.
       
   DIR Von wegen Bewegung: Kein Platz für den Sport
       
       In Berlin gibt es zu wenige Sportstätten. Nun ist in Tempelhof-Schöneberg
       ein Streit zwischen zwei Amateurfußballvereinen entbrannt.
       
   DIR Breitensport in deutschen Großstädten: Die Zukunft spielt auf dem Bero
       
       Städteplaner müssen kreativer werden. Denn integrative Sportvereine wie
       Berolina Mitte in Berlin machen die verdichteten Zentren erst lebenswert.
       
   DIR Bremer Ultras im Clinch mit ihrem Verein: Bei Werder brennt die Hütte
       
       Normalerweise halten Verein und Fußballfans zusammen. Nun nicht mehr: Die
       Ultras von Werder Bremen fühlen sich im Stich gelassen.
       
   DIR Rassismus beim BFC Dynamo: Ultralangsam aus der rechten Ecke
       
       Der Fußballverein BFC Dynamo wird sein rechtes Image nicht los. Das liegt
       auch an den Verantwortlichen beim Verein, beklagt die Organisation
       ReachOut.
       
   DIR DFB-Auszeichnung für FC St. Pauli: Viel Feind, viel fair
       
       Der DFB zeichnet den Fanladen des FC St. Pauli für den Einsatz gegen
       Diskriminierung aus. Vor zwei Jahren war dieses Engagement noch
       unerwünscht.