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       # taz.de -- Flüchtlinge: Angst nach dem Anschlag: „Am besten die Hangars anzünden“
       
       > Zwar weiß man bislang wenig über den Täter, doch eines ist klar: Für
       > viele BerlinerInnen sind „die Flüchtlinge“ die Schuldigen.
       
   IMG Bild: Nach dem Attentat in Berlin durchsuchten Spezialeinsatzkräfte Dienstagmorgen Flüchtlingsunterkünfte auf dem früheren Flughafen Tempelhof.
       
       Unter Berliner Flüchtlingen und ihren HelferInnen sowie unter den
       MuslimInnen der Stadt geht am Tag nach dem Anschlag Angst um. Kein Wunder:
       Zwar stellte sich am Dienstag Mittag heraus, dass der verhaftete
       Verdächtigte, ein pakistanischer Flüchtling, der in den Tempelhofer Hangars
       gelebt haben soll, womöglich doch nicht der Attentäter vom Breitscheidplatz
       ist. Dennoch gehen offenbar viele BerlinerInnen davon aus, dass „die
       Flüchtlinge“ oder auch „die Muslime“ für das Massaker verantwortlich sind.
       
       So berichtete Diana Henniges von „Moabit hilft“ am Dienstagvormittag, die
       Hilfsorganisation habe seit dem Anschlag bereits zahlreiche Emails,
       Facebook-Posts und Anrufe mit Drohungen bekommen. „Eben sagte mir jemand am
       Telefon, man müsste alle Flüchtlinge einsperren und die Hangars in
       Tempelhof anzünden“, erzählt sie. Andere Kommentare gingen in die Richtung:
       Jetzt seht ihr endlich, dass das alles Mörder sind. „Andererseits schrieb
       heute morgen auch jemand im Chat, dass wir unsere Leute warnen sollen.“
       
       Es sei bislang nach jedem Anschlag – ob Paris, Nizza oder Brüssel – so
       gewesen, dass Berliner Flüchtlinge das Misstrauen der Mehrheitsgesellschaft
       zu spüren bekommen, so Henniges. „Übrigens nicht nur von Bio-Deutschen,
       auch im türkischen Supermarkt werden Flüchtlinge schräg angeguckt.“ Und wie
       bei vorherigen Anschlägen würden die Mitarbeiter von Moabit hilft nun wohl
       aus Trauer und Solidarität mit den Opfern einen Blumenstrauß kaufen und am
       Breitscheidplatz ablegen. „Ich finde es absurd zu sagen, wir müssen nun
       Solidarität mit Geflüchteten zeigen. Der Attentäter war kein Flüchtling,
       das war ein Verbrecher, der sich als Geflüchteter ausgegeben hat.“
       
       ## „Wir sind doch vor Gewalt geflohen“
       
       Abdullahim Atta saß am Montagabend mit deutschen Freunden in einem
       Restaurant in Steglitz, als er von dem Anschlag erfuhr. „Unser erstes
       Gefühl war große Trauer. Als zweites kam die Angst, dass nun viele Deutsche
       denken, wir Flüchtlinge seien verantwortlich für das Geschehene“, erzählt
       der Englisch-Lehrer aus Syrien. Auch seine Zimmernachbarn in der
       Gemeinschaftsunterkunft im Baumschulenweg, ein Jordanier und ein Ägypter,
       hätten ihm am Dienstagmorgen erzählt, wie schlecht sie sich fühlten. „Wir
       schämen uns, wenn sich herausstellt, dass ein Flüchtling so etwas gemacht
       hat. Wir sind doch vor der Gewalt und diesem Töten hierher geflohen.“
       
       Auch Amei von Hülsen-Poensgen von der Initiative Willkommen im Westend
       sagte nach ersten Gesprächen mit Geflüchteten: „Sie sind erschüttert,
       erschrocken, wütend, so wie alle, nur, dass es bei ihnen vielleicht mit
       mehr Angst verbunden ist, weil es etwas mit ihrem eigenen Schicksal macht“,
       sagt sie. „Die allermeisten sind ja genau vor dieser Angst und Gewalt
       geflohen.“
       
       Ähnliches schildert Mohammad S., der in den Hangars von Tempelhof lebt. Auf
       Facebook habe er noch am Montagabend von dem Anschlag erfahren. Von der
       nächtlichen Razzia in einem der Hangars habe er nichts mitbekommen und er
       kenne auch den Verdächtigten nicht. „Es tat uns allen sehr, sehr leid, als
       wir gestern Abend von dem Anschlag gehört haben. Alle haben hier viele
       Fragen, vor allem, warum es passiert ist. Warum ist es in Berlin passiert,
       wer hat das gemacht, woher kommen die, die das gemacht haben?“ Viele in den
       Hangars hätten Angst. „Aber ich habe mir gesagt: Es ist schrecklich, aber
       es ist ein Anschlag, wie er überall passieren kann und überall passiert,
       auch in Amerika oder Frankreich. Man sollte sich keine Angst machen
       lassen.“ S. erzählte weiter, dass sein Cousin aus Halle an der Saale ihn am
       Dienstag besuchen gekommen sei. Sie hätten den Besuch schon länger geplant,
       „weil mein Cousin meinte, Berlin sei so schön in der Weihnachtszeit.“
       
       Im Verein iranischer Flüchtlinge in Neukölln berät Hamid Nowzari im Auftrag
       der Landesregierung auch Geflüchtete aus Afghanistan. Dass der nach dem
       Attentat festgenommene Tatverdächtige auch Afghane sein könne, wie es aus
       Sicherheitskreisen zunächst hieß, habe wohl einige Ratsuchende abgehalten,
       in den Verein zu kommen, vermutet Nowzari am Dienstag: „Es ist heute viel
       leerer als sonst.“ Und die wenigen, die zur Beratung kämen, hätten „Angst
       und Sorge, dass die Leute mit dem Finger auf sie zeigen.“ Dabei seien alle
       geschockt: „Es hat uns alle getroffen“, so der 58-Jährige, der vor 36
       Jahren selbst als Flüchtling nach Deutschland kam.
       
       Sein Verein verurteile das Attentat „auf das Schärfste“, so Nowzari: „Wir
       können nur hoffen, dass Politiker jetzt besonnen bleiben.“ Zu erwarten sei
       aber wohl „eine Schlammschlacht aus dem rechten Lager“: „Es wird gegen
       Geflüchtete und Muslime Stimmung gemacht werden“ – was letztlich nur „den
       Auftraggebern solcher Terroranschläge Freude“ mache: „Unserer Gesellschaft
       tut man damit keinen Gefallen“, so Nowzari.
       
       ## Mahnwache vor Gedächtniskirche
       
       Auch Mohamed Taha Sabri, Imam der Moschee „Haus des Friedens“ in Neukölln,
       befürchtet: „Sollte sich die Vermutung bestätigen, dass ein musimischer
       Flüchtling hinter dem Anschlag steckt, wäre das schlimm für uns Muslime.“
       Deutschland biete Sicherheit für viele Geflüchtete. Dass darunter auch
       „schwarze Schafe“ seien, dürfe nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft
       führen: „Wir Muslime stehen zu Deutschland und zu Berlin.“
       
       Dass Rechtspopulisten die Ereignisse nutzen könnten, um „Hass und Spaltung
       zu fördern“, fürchtet auch Mohamad Hajjaj, Landesvorsitzender des
       Zentralrats der Muslime in Berlin. Dabei seien Musliminnen und Muslime wie
       alle Berliner erschüttert und von Abscheu erfüllt über die schreckliche
       Tat. „Ich bin ein Berliner“, hatte der hier geborene Hajjaj bwereits
       Montagabend auf Facebook gepostet.
       
       Der Zentralrat und andere muslimische Organisationen rufen für
       Dienstagabend, 17 Uhr, zu einer Mahnwache vor der Gedächtniskirche auf.
       
       20 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alke Wierth
   DIR Uta Schleiermacher
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
   DIR Polizei
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
   DIR Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
       
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