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       # taz.de -- Hamburg hält an hartem Abschiebekurs fest: Nur Hamburg findet Afghanistan sicher
       
       > Hamburg schiebt weiterhin nach Afghanistan ab. Während die
       > Grünen-Fraktion den Abschiebekurs der SPD mitmacht, fordert die eigene
       > Partei einen Abschiebestopp
       
   IMG Bild: Damals noch zuversichtlich: AfghanInnen-Demo im Oktober, vor der ersten Sammelabschiebung
       
       Hamburg taz | Ali Reza Karimi muss sich verstecken: Seit der
       Sammelabschiebung nach Afghanistan am 14. Dezember fürchtet er, unter den
       Nächsten zu sein, die zwangsweise nach Kabul geflogen werden. Das könnte
       schon bald sein: In der afghanischen Community kursiert der fünfte Januar
       als nächster Termin für eine bundesweite Sammelabschiebung. Die Hamburger
       Ausländerbehörde hat schon angekündigt, sich wieder beteiligen zu wollen.
       Ein Termin sei der Behörde aber noch nicht bekannt, gab ein Sprecher an.
       
       Als am 14. Dezember 34 afghanische Geflüchtete, darunter sieben aus
       Hamburg, von Frankfurt aus abgeschoben wurden, hatte Karimi Glück: Am Tag
       zuvor war er nach Berlin gefahren, um ein Dokument in der afghanischen
       Botschaft abzuholen. In der Zeit hätten PolizistInnen in dem Hostel, in dem
       er schlief, nach ihm gesucht, habe er hinterher erfahren. Seitdem war er
       nicht mehr dort. Zur Arbeit geht er auch nicht mehr – ein Bekannter von ihm
       sei von seinem Arbeitsplatz aus abgeschoben worden.
       
       Karimi ist 28 Jahre alt und lebt seit sechs Jahren mit einer Duldung in
       Deutschland. Vor einem Jahr kam seine Frau nach, sie lebt in einer
       Geflüchtetenunterkunft in Lübeck. Ihr Asylverfahren läuft noch. Seit Sommer
       hat Karimi einen festen Arbeitsvertrag in einem Hamburger Krankenhaus. Nur
       eine Wohnung findet er nicht: „Mit einer Duldung, die alle drei Monate
       abläuft, nimmt dich kein Vermieter“, sagt er im Gespräch mit der taz.
       Anfang Dezember ist seine Duldung wieder abgelaufen. Aber in die
       Ausländerbehörde zu gehen, traut er sich nicht mehr – die
       Wahrscheinlichkeit, dass er festgenommen und abgeschoben wird, ist zu groß.
       
       ## Nächtliche Tritte gegen die Wohnungstür
       
       Einen „Skandal, der sich nicht wiederholen darf“, nennt das Bündnis
       Hamburger Flüchtlingsinitiativen die Sammelabschiebung nach Afghanistan vom
       14. Dezember. BeamtInnen hatten die Geflüchteten zum Teil mitten in der
       Nacht zu Hause aufgesucht und gegen die Tür getreten. Einen Afghanen, der
       seit 21 Jahren in Deutschland lebte, hatten sie überfallartig festgenommen
       und ohne jegliche Auskunft gegenüber seiner Familie nach Frankfurt
       gebracht. Durch einen Eilentscheid eines Gerichts konnte seine Abschiebung
       im letzten Moment verhindert werden.
       
       Hamburg tut sich im Vergleich zu anderen Bundesländern durch einen
       besonders harten Abschiebekurs hervor: Kein anderes Nord-Bundesland schiebt
       derzeit nach Afghanistan ab. In Bremen hat der Senat Mitte Dezember ein
       Abschiebe-Moratorium für Afghanistan beschlossen. Die ebenfalls rot-grün
       regierten Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben beschlossen,
       die Abschiebungen auszusetzen, bis ein neuer Lagebericht des
       Bundesinnenministeriums zur Sicherheit in Afghanistan vorliegt.
       
       Nur in Hamburg hält man weiter an den Abschiebungen fest. Die Innenbehörde
       beruft sich auf eine Vorgabe des Bundesinnenministeriums und auf das im
       Oktober mit Afghanistan geschlossene Rücknahmeabkommen.
       
       Auch im Landesparlament sind die Abschiebungen umstritten. Mitte Dezember
       hatten Abgeordnete der Linksfraktion für Aufsehen gesorgt, als sie in einer
       Bürgerschaftssitzung mit Schildern gegen Abschiebungen nach Afghanistan
       demonstrierten und aus dem Saal flogen.
       
       In der Folge zeigte sich auch Uneinigkeit bei den Grünen über das Thema.
       Die Regierungsfraktion verhält sich diplomatisch gegenüber ihrer
       Koalitionspartnerin. „Ich halte das Land nicht für geeignet, dass Menschen
       gegen ihren Willen dorthin gebracht werden“, sagte die innen- und
       flüchtlingspolitische Sprecherin Antje Möller.
       
       Trotzdem halte man weiter an der Praxis fest: „Weil wir in einer Koalition
       sind und in vielen Fällen Maximalforderungen nicht möglich sind, haben wir
       uns so entschieden. Im Übrigen laufen hierzu weiterhin Gespräche mit der
       SPD.“ Zudem betonte sie, man setze eher auf „freiwillige Ausreise“ – es sei
       ein großer Unterschied, ob es eine qualifizierte Rückkehrberatung gebe und
       finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt würden wie bei den „freiwilligen
       Ausreisen“ – oder eben nicht.
       
       ## Grünen-Chefin:„Unverantwortlich“
       
       Der grüne Landesvorstand scheint von der Freiwilligkeit der Ausreisen nicht
       überzeugt zu sein und fordert seine Fraktion auf, die Abschiebungen zu
       stoppen. „Noch immer gibt es keine funktionierenden Rückkehrprogramme, die
       auf Freiwilligkeit und Nachhaltigkeit basieren und den Menschen wirklich
       einen Neuanfang in sicherer Umgebung ermöglichen würden“, schreibt der
       Parteivorstand an die grünen SenatorInnen.
       
       „Afghanistan ist nicht sicher, Abschiebungen unverantwortlich“, twitterte
       die Landesvorsitzende Anna Gallina. Auch die Grüne Jugend teilt diese
       Einschätzung. Im Interview mit der taz sagte deren Sprecher Johannes
       Müller: „Es ist die Frage, ob man die Ausländerbehörde einfach machen
       lässt, oder gegenüber dem verantwortlichen Innensenator der SPD Stellung
       bezieht und sagt, dass das in einer Koalition mit den Grünen nicht läuft.“
       
       Auch die Bischöfin der Nordkirche, Kirsten Fehrs, sagte in ihrer
       Weihnachtspredigt, dass an Leib und Leben bedrohte Menschen nicht
       abgeschoben werden dürften. „Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland“,
       sagte sie. „Und so sind die Abschiebungen dorthin hochproblematisch.“
       
       Das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen hat nun eine Petition für
       einen Abschiebestopp gestartet und sich in einem offenen Brief an die
       SenatorInnen gewandt. Hamburg habe viel zu geben, heißt es in dem Brief.
       Aber was tue die Stadt? Sie schiebe Flüchtlinge „in eine ungewissen Zukunft
       ab, in Kälte und Not, umgeben von Terror und Krieg“. Einerseits rühme sich
       Hamburg mit seiner Willkommenskultur, zugleich überlasse es Menschen aus
       Hamburg ihrem ungewissen Schicksal. Die UnterzeichnerInnen verurteilen die
       „doppelzüngige“ Politik und nennen sie „unserer Stadt nicht würdig“.
       
       26 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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