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       # taz.de -- Nachruf auf George Michael: „I’m never gonna dance again“
       
       > George Michael, einer der letzten Superstars, steht für Beat-Wunder mit
       > Ewigkeitscharakter, die nicht nur Teens mitreißen.
       
   IMG Bild: Im Alter von 53 Jahren gestorben: George Michael, hier bei einem Konzert in London im Jahr 1992
       
       Beim „Carpool Karaoke“, einem Segment der CBS-Talkshow „The Late Late Show
       with James Corden“, fährt der feiste britische Komiker gemeinsam mit einem
       Popstar im verbeulten Kombi durch Los Angeles. Man redet, man veräppelt
       sich, irgendwann stellt Corden das Radio an. Dort läuft ein Megahit des
       prominenten Mitfahrers, den beide lauthals mitsingen.
       
       Der erste aus der beliebten Sketchreihe wurde im Jahr 2011 produziert:
       Corden, im üblichen Jogginganzug hinter dem Lenker, bekommt einen Anruf von
       der Wohltätigkeitsorganisation „Comic Relief“, die mithilfe von Prominenten
       Geld für Notleidende sammelt. Man bittet ihn um einen kurzen Besuch.
       „Oookeee“, sagt Corden, „obwohl ich eigentlich gerade mit ’nem Kumpel
       herumfahre …“ Jener Kumpel, ebenfalls in Jogginganzug, aber mit
       topmodischer Sonnenbrille, ist George Michael. „Darf ich mitkommen?“,
       bittet Michael Corden. Und als dieser verneint, beschwert der Star sich
       schnippisch: „Schon klar, du willst nicht mit einem schwulen Mann gesehen
       werden!“ „Nein“, wehrt Corden ab, „daran liegt es nicht. Aber ich kann dich
       nicht mitnehmen – du bist ein Witz! Comic Relief sammelt Geld für Leute wie
       dich!“
       
       Da war George Michael, der am Sonntag im Alter von nur 53 Jahren in seinem
       Haus in Oxfordshire unerwartet einem Herzleiden erlag, längst im Reinen mit
       seiner sexuellen Ausrichtung – so sehr, dass er sie sogar zur Seite packen
       und stattdessen tiefenentspannt über seine wechselnden Erfolge spötteln
       konnte. Dabei hat Michael selten Witze über seine Musik gemacht: In einem
       Interview erklärte er 2004, dass er zwar nichts dagegen habe, ein Popstar
       zu sein. „Aber die Leute dachten immer, ich wolle als ernst zu nehmender
       Musiker anerkannt werden. Dabei wollte ich nur klarstellen, dass ich meine
       Musik absolut ernst nehme!“
       
       ## Mit Föhnwelle und Hotpants
       
       Diese „seriöse“ Qualität hatten seine Songs tatsächlich von Anfang an –
       auch wenn Michael, der 1963 im Londoner Stadtteil Finchley als Sohn eines
       griechisch-zyprischen Restaurantbesitzers und einer britischen Tänzerin
       geboren wurde, mit „Wham!“ zunächst vor allem Feel-Good-Hits produzierte.
       Und es dabei als keck hüpfende Föhnwelle in Hotpants oder weißem
       Katharine-Hamnett-„Choose-Life“-T-Shirt gemeinsam mit dem alten Schulfreund
       Andrew Ridgley in die Herzen der gesammelten weiblichen Teenagerschaft
       schaffte.
       
       Doch schon Wham!s erster Hit, „Wake Me Up, Before You Go-Go“ von 1984, ein
       in Groove und Struktur an Motown orientierter Dancefloorkracher, war kein
       flacher Radiohit, sondern ein schlau ausgedachtes und liebevoll
       produziertes Upbeat-Wunder für die Ewigkeit. Bei aller oberflächlichen
       Poptauglichkeit und Netzhemdästhetik merkte man Wham! die Wurzeln im
       British Soul stets an.
       
       „Careless Whisper“, der zweite Überhit der beiden Briten, hatte neben dem
       in den 1980ern unvermeidlichen klebrigen Saxofonriff und den fast schon
       schmerzhaft kitschigen Lyrics – „I’m never gonna dance again / guilty feet
       have got no rhythm“ – auch noch eine wunderbare Melodie und eine perfekte
       Soulballaden-Dramaturgie zu bieten. Und die schmelzende Evergreen-Qualität
       von „Last Christmas“ bewährt sich bis heute – besonders traurig, durch
       welche Gefühle es seit vorgestern konnotiert wird.
       
       Als Solokünstler überzeugte Michael nach der Auflösung von Wham! weiterhin
       die Welt, angefangen mit „Faith“, seinem ersten Soloalbum von 1987, das
       sich 20 Millionen Mal verkaufte – mit einem Titelsong, der noch stärker als
       zuvor Michaels Retro-Verbundenheit ausdrückte. Und vor allem durch die
       Instrumentierung mit Framus- und Gretsch-Gitarre, Michaels Hüftschwung und
       die Wurlitzer-Jukebox ließ auch im Video ganz genau erkennen, wo der
       Sonnenbrillen-Popper abspickte: Elvis the pelvis hätte es nicht viel anders
       gemacht. Außer vielleicht die Konzentration der Kamera auf Michaels
       wackelnden Behind in den klassisch knapp sitzenden 501s. Das hätte dem King
       eventuell doch zu sehr nach Queen ausgesehen.
       
       ## Im Video zu „Outside“ küssen sich am Ende alle
       
       Es dauerte noch über zehn Jahre und vier weitere Platten, bis Michael sein
       persönlichstes Thema, die sexuelle Orientierung, auch offiziell klärte –
       kaum nachvollziehbar bei einer Popfigur, die bereits in ihrem ersten Hit,
       „Wake Me Up“, ausgerechnet die Schwulenikone Doris Day erwähnt und 1989 bei
       der Verleihung der MTV Video Awards von Madonna als „the Diva himself“
       angekündigt wird.
       
       Doch die 1980er, die in der Popwelt zwar ästhetisch durchaus die
       Gendergrenzen überschritten, reagierten hinter den offenen Geheimnissen
       eines Boy George, Holly Johnson oder Marc Almond immer noch schwer homophob
       – jedenfalls wenn man die Massen becircen wollte, die zum großen Teil aus
       schreienden Mädchen bestanden. Zudem kann man nur erahnen, was die
       griechischen Wurzeln in Michael, der in den ersten Jahren selten ohne
       seinen baumelnden Kreuz-Ohrring zu sehen war, bewirkten – dass ein
       Coming-Out zu Lebzeiten seiner Mutter für ihn undenkbar gewesen sei, sagte
       er jedenfalls in einem Interview 2007.
       
       Sie war 1997 gestorben. Und 1998 wurde ihr Sohn wegen „unzüchtiger
       Handlungen“ auf einer öffentlichen Toilette in Beverly Hills medienwirksam
       festgenommen – ein Vorfall, der das fatale Verhältnis der USA zur
       Homosexualität illustriert: Michael war während dieser „unzüchtigen
       Handlungen“ allein im dafür bekannten Will Rogers Park und hatte den
       Undercover-Offizier für einen Gleichgesinnten gehalten.
       
       Michaels Homosexualität – später sprach er davon, früh bisexuell gewesen zu
       sein, sich aber nie in Frauen verliebt zu haben – war damit raus, und der
       Brite ging fortan offensiv damit um. Im der Verhaftung folgenden Video zu
       „Outside“, der ersten Singleauskopplung einer 1999 erschienenen
       Best-of-Albums, ließ er jede Menge Pärchen gleichen und unterschiedlichen
       Geschlechts vor, auf und neben öffentlichen Toilettenhäuschen
       herumscharwenzeln, festgehalten in Überwachungskamera-Ästhetik. Im Laufe
       des Songs setzen Polizisten dem Treiben jedoch ein Ende – aber, angeregt
       durch Michaels Tanznummer im Polizeikostüm, auch sie lassen sich zum
       Schluss hinreißen und beginnen, sich leidenschaftlich zu küssen – viel
       weiter konnte man im Mainstream der späten 90er nicht gehen. Und eine klare
       Haltung für Michael – wenn auch die Symbolik im Video nicht mit den viel
       eindeutigeren und politischeren Aussagen zu vergleichen ist, die andere
       selbstbewusst queere KünstlerInnen später trafen.
       
       ## Geehrt, gefeiert, verlacht, verhaftet
       
       „Ich will mit Mut und ganzem Herzen auftreten“, hatte Michael einmal gesagt
       und es ab 1998 dann tatsächlich auch im Einklang mit seiner Persönlichkeit
       getan. Michael produzierte Erfolge als Solokünstler und mit Duetten – unter
       anderem mit Aretha Franklin, Whitney Houston und Paul McCartney – und
       Misserfolge. Er gewann Preise wie den BRIT Award oder den MTV Europe Music
       Award – und durfte diese neben die „Goldene Himbeere“ für den angeblich
       „Schlechtesten Song“ 1987, „I Want Your Sex“, stellen. Immer wieder wurde
       er wegen Drogenbesitz verhaftet, meist Cannabis, seltener Crack. Michael
       protestierte gegen den US-Einmarsch im Irak, ging mit einer symphonischen
       Version seiner Hits auf Tour und brachte – neben dem Klassik-Album und
       einer Best-of-Sammlung vor über zehn Jahren seine letzte offizielle
       Studioplatte „Patience“ heraus.
       
       Darauf findet sich die schwülstige Ballade „John & Elvis are dead“, in der
       Michael von einem Freund erzählt, der aus einem Koma aufwachte. „Youth,
       beautiful youth“, sinniert Michael da, „we walked through the walls until
       we found the truth“. Und später zitiert er den Freund mit den Worten: „If
       Jesus Christ is alive and well, how come John & Elvis are dead?“ Die Guten
       trifft es eben immer zuerst. Vor allem 2016.
       
       26 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jenni Zylka
       
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