# taz.de -- Die Wahrheit: Konfuzianische Hölle
> Das volle Festprogramm: orientalische Weihnachten mit chinesischen
> Weisheiten und einem Rezept der tscherkessischen Grußmutter.
So, jetzt ist es wieder vorbei. Und einmal mehr belustigte es mich, dass
die Deutschen so tun, als hätten sie Weihnachten erfunden. Als handele es
sich bei diesem Fest um ein urgermanisches Kulturgut. Das verteidigt werden
müsste. Zu diesem Zwecke verbreiten ja auch denkschwächere
Bevölkerungsteile Fake-Nachrichten, die besagen, dass irgendwo angeblich
Weihnachtsmärkte in „Wintermärkte“ umbenannt oder in Kindergärten keine
Weihnachtslieder mehr gesungen würden – mit Rücksicht auf muslimische
Mitbürger.
Schon kurios angesichts eines Festes, das ein Ereignis feiert, welches im
Nahen Osten stattgefunden hat. Bei dem ein Jude geboren wurde, den man –
laut Lukas 2:21 – acht Tage nach seiner Geburt beschnitt. Der dann also
unten- und obenrum aussah wie die Leute, denen „wir“ jetzt unterstellen,
sie wollten „unsere“ Kultur durch „ihre“ ersetzen.
Mal abgesehen davon, dass man die Parallelitäten zwischen der
Stall-Krippen-Notgeburt mit der Flucht nach Ägypten und der aktuellen
Situation vieler Flüchtlinge nur übersehen kann, wenn man Anhänger der
zwischen 33 und 45 existierenden „Deutschen Christen“ ist, die das
„semitische Empfinden aus dem deutschen Christentum“ vertreiben wollten.
Also beschloss ich in diesem Jahr, das orientalische Fest mit
morgenländischen Speisen zu begehen. Hinzu kam, dass meine Tochter sich
seit einiger Zeit vegan ernährt und folglich kein Interesse mehr an meinem
exquisiten Jamie-Oliver-„Roast Chicken“ hat.
Ich griff zu einem Rezept, das mein Mütterlein von meiner tscherkessischen
Grußmutter in Jordanien lernte – während mein Vater als Soldat in Betlehem
stationiert war, das nur nebenbei. „Kusa mechschi“ – mit Reis und Kräutern
gefüllte Zucchini. Wenn man hat, kommt noch Hackfleisch rein. Wenn man es
aus Armutsgründen nicht hat, Hipster oder anderweitig vegan ist, lässt man
es weg. Während des Einkaufs dachte ich: Okay, dann aber auch das volle
Orient-Programm! Und ging Baklava für den Nachtisch besorgen.
Im türkischen Supermarkt war am Mittag des Heiligen Abends die Hölle los.
An der Kasse wurde ich Zeuge einer Auseinandersetzung. Ein Mann mittleren
Alters beschwerte sich bei der attraktiven kopfbetuchten Kassiererin auf
Türkisch über das Wechselgeld. Er zeigte abwechselnd auf die Münzen in
seiner Hand und das Kassendisplay. Sie antwortete freundlich, ebenfalls auf
Türkisch, er aber wurde immer lauter. Schließlich schaute die Kassiererin
ihn streng an und sagte auf Deutsch: „Bleiben Sie ruhig. In der Ruhe liegt
die Kraft!“ Woraufhin der Mann noch mal verdutzt sein Geld zählt. Und sich
entschuldigte.
Das deutsche „Ruhe/Kraft“-Sprichwort stammt übrigens von Konfuzius. In
diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen fröhliche orientalische
Nachweihnachten. Und sprengen Sie sich Silvester nicht Ihren Kopf ab. Falls
es doch passiert, geben Sie den Chinesen die Schuld. Die haben die
Knallerei nämlich erfunden.
28 Dec 2016
## AUTOREN
DIR Hartmut El Kurdi
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