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       # taz.de -- Spendenappell für polnischen Lkw-Fahrer: „Einer wie ich“
       
       > Viele Fernfahrer zeigen sich solidarisch mit der Familie des bei dem
       > Berliner Anschlag getöteten polnischen Lkw-Fahrers. Sie spenden.
       
   IMG Bild: Anlässlich der Beerdigung des Lkw-Fahres in Polen fuhren seine Berufskollegen im Konvoi
       
       London taz | Im winterlichen Dunkel des frühen Abends wirkt der riesige,
       versteckt gelegene Asphaltparkplatz unheimlich. Hier, wo der Londoner
       Autobahnring auf die Fernstraße Richtung Norden stößt, stehen eng geparkt
       in drei Reihen an die dreißig Sattelschlepper. In den Fahrerhäusern dieser
       40-Tonner schlafen oder sitzen jene, die alles das, was London zum
       Überleben braucht, täglich bis ins Stadtzentrum liefern.
       
       „Nach dem Londoner Innenstadtstress muss ich immer erst mal eine
       Verschnaufpause machen“, sagt Chris Poroslo. Der 34-jährige vollbärtige
       Pole lebt seit zwölf Jahren in Birmingham. Gerade hat er einen Londoner
       Baumarkt beliefert. Empfindet er diese Arbeit nicht als riskant – nach dem
       Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin, bei dem ein Lkw als Tatwaffe
       gekidnappt und der polnische Fahrer erschossen wurde?
       
       „Das kann jedem von uns passieren,“ sagt Chris Poroslo. Vorsichtig sei er
       sowieso. Sein Lkw steht eng zwischen zwei anderen, der Abstand beträgt
       keine zwei Meter. „Ich parke nur an Orten wie diesen“, versichert er.
       „Viele Unternehmen stellen Fahrer ein, die am Straßenrand Pause machen, um
       Geld zu sparen. Aber das macht es dann wirklich gefährlicher.“
       
       Wie viele andere hat auch Chris für die Familie des in Berlin ermordeten
       Lastwagenfahrers Lukasz Urban gespendet: 20 Pfund (24 Euro).
       
       Den Spendenappell hatte am Tag nach dem Anschlag der britische Fernfahrer
       David Duncan gestartet, der aus Yorkshire stammt. „Da ich auch Lkw-Fahrer
       bin, beschloss ich, mich an die Lkw-Fahrergemeinschaft und andere zu
       wenden, um ein bisschen zu helfen“, schreibt Duncan in seinem Aufruf auf
       der Internetseite GoFundMe, der sehr schnell bekannt geworden ist. Manche
       jedoch betrachten den Aufruf mit Skepsis. GoFundMe weist darauf hin, dass
       die Organisatoren die korrekte Verwendung der Spendengelder nicht
       garantieren können. Von Duncan gibt es bis jetzt nur Versprechungen. Er sei
       vom Umfang der Spendenfreudigkeit überrascht, schreibt er auf den
       Kommentarseiten seines Aufrufs. Das Geld werde direkt an die Witwe und
       Familie Lukasz Urbans gehen, steuerfrei, das habe er mit der polnischen
       Botschaft geklärt.
       
       Über 10.000 Menschen vertrauten Duncan, darunter viele, die selber
       Fernfahrer oder deren Angehörige sind, sowie in Großbritannien lebende
       Polen. Es sind über 177.000 Pfund (207.000 Euro) zusammengekommen.
       
       ## Aufruf in Polen
       
       Auch in Polen hat es einen Aufruf gegeben: Dort steht auf einer
       Facebookseite eine Kontonummer, bei der es sich um die der Witwe Urbans
       handeln soll. Unmittelbar nach dem Attentat kursierten auch im
       deutschsprachigen Internet kurzfristig Spendenappelle.
       
       Solche Aktionen seien in der Welt der Fernfahrer eigentlich nichts
       Außergewöhnliches, sagt an der Tankstelle neben dem Lastwagenparkplatz am
       Autobahnring der 59-jährige Brummifahrer Vernon Gitten aus Luton. „Erst vor
       einigen Monaten sammelte man für einen Fahrer, der einer Herzattacke
       erlegen war“, erinnert sich Gitten, der seit 30 Jahren in dem Beruf ist.
       
       Ein anderer Fahrer aus Yorkshire, der ungenannt bleiben will, hält nichts
       davon, für andere zu sammeln. „Es gibt keine echte Solidarität unter
       Fernfahrern. Wir sind alle für uns selbst verantwortlich“, meint er.
       Aktionen dieser Art seien rar. „Ich gebe nichts“, sagt er. „Wohlfahrt
       beginnt daheim!“
       
       Sein Kollege Chris Poroslo ist da anderer Meinung. „Urban war einer wie
       ich. Ich bin sowohl Pole als auch Fernfahrer, und ich habe auch Frau und
       Kinder, wie er.“ Mit diesen Worten steigt er zurück ins Fahrerhaus.
       
       1 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn
       
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