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       # taz.de -- Gewerbegebiete übernehmen Bayern: Öd, platt und leblos
       
       > Der Flächenfraß greift weiter um sich und zerstört die Natur. In
       > Niederbayern wird ein Gewerbegebiet nach dem anderen hochgezogen.
       
   IMG Bild: Hier könnte Ihr Gewerbegebiet stehen
       
       Iggensbach/Rathmannsdorf taz | Christian Baer steht an dem verlassenen
       Schotterweg und schaut auf die Landschaft. Hügelige Wiese, Gründüngung auf
       einem Getreidefeld, weiter vorne werden Nadelbäume gezogen. Auf der einen
       Seite begrenzt der Wald diesen Fleck Erde im niederbayerischen Iggensbach,
       auf der anderen ist es die Autobahn.
       
       Baer wohnt etwas weiter hinten. Der 45-Jährige sagt, was er für die Zukunft
       fürchtet: „Laster, Laster, Laster.“ Doch statt hier ein großes
       Gewerbegebiet in die Landschaft zu setzen, sollten sie doch lieber schauen,
       „dass mal eine Apotheke und ein Supermarkt in den Ort kommen“.
       
       Iggensbach, an der A3 zwischen Deggendorf und Passau gelegen, ist für den
       Bund Naturschutz (BN) ein Symbol. Der Verband sieht die Gemeinde mit 2.100
       Einwohnern als „Negativ-Vorreiter bei Flächenverbrauch und Zersiedelung“.
       
       In Deutschland wird die Landschaft weiterhin ungebremst zugebaut – für
       Wirtschaft und Gewerbe, Verkehr und auch Wohnungen. Bayern und
       Baden-Württemberg stehen dabei an der Spitze mit einem Verbrauch von je 17
       Hektar täglich, so das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung. In
       der beliebten Umrechnung sind das je 22,4 Fußballfelder. Umweltschützer
       sehen im Flächenfraß das größte ökologische Problem Deutschlands.
       
       ## Ein Anbindegebot soll die Zersiedelung verhindern
       
       An der Autobahn soll Iggensbach ein Gewerbegebiet bekommen, zehn Hektar –
       14 Fußballfelder. „Das wird dann alles flach gemacht und versiegelt“, sagt
       Georg Kestel vom BN Deggendorf. Er meint: „Iggensbach hat natürlich das
       Recht, sich organisch zu entwickeln.“ Was hier aber geplant ist, nennt
       Kestel „überorganisch“. Auch die Gemeinden hätten den „Verfassungsauftrag,
       sich um die Natur und die Landschaft zu kümmern“.
       
       Noch ist es in Iggensbach nicht so weit. Doch wenn in Bayern nach dem
       Willen der CSU-Staatsregierung und des Heimatministers Markus Söder das
       sogenannte Anbindegebot fällt, können die Bagger kommen.
       
       Das Anbindegebot verbietet bisher neue Bebauung auf der grünen Wiese. Ein
       Gewerbegebiet muss an ein anderes oder an Wohnbebauung grenzen. Söder aber
       sieht in künftigen Zentren auf dem freien Land und an Autobahnen
       Möglichkeiten für Wachstum. Wirtschaft dürfe „kein Privileg der Stadt“
       sein, sagte er jüngst.
       
       Was soll in Iggensbach entstehen? „Das Gelände ist gut für Logistiker“,
       meint BN-Mann Kestel. Er befürchtet einen Warenumschlagplatz, einen Lkw-Hof
       oder ähnliches.
       
       ## Hoffnung auf höhere Steuereinnahmen
       
       Ganz anders sieht das der Bürgermeister Wolfgang Haider, der im Ort auf der
       anderen Seite der Autobahn im Rathaus sein Büro hat. Ihn ärgert der
       Vorwurf, dass seine Gemeinde Negativvorreiter sei. „Das ist total daneben“,
       meint der Mann von der Unabhängigen Bürgerliste UBL, „ich zerstöre keine
       Natur.“ Der Platz für das Gewerbegebiet sei „keine wertvolle Fläche“. Einen
       Autohof werde es dort nicht geben, sondern „schöne, kleine
       Handwerksbetriebe“. Niederbayern habe Nachholbedarf bei Arbeitsplätzen, es
       gebe sehr viele Pendler.
       
       Iggensbach hat ein Wirtshaus, die Pfarrkirche „Maria Namen“ und einen
       Schaukasten, in dem die CSU lobt: „Bayern steht glänzend da.“ Der
       Bürgermeister braucht Gewerbesteuereinnahmen, das ist nicht nur hier ein
       wesentlicher Grund für neue Gewerbegebiete. „Wir müssen die Straßen
       sanieren“, sagt Haider, „wir müssen den neuen Kindergarten bezahlen.“ Der
       im Übrigen voll ist. „Wir können die Pflichtaufgaben einer Kommune kaum
       erfüllen.“ Wenigstens dafür soll die Autobahnanbindung gut sein, sonst hat
       die Gemeinde „nur den Lärm“ und 80 Unfälle pro Jahr – wofür sie wiederum
       die Feuerwehr bereithalten muss.
       
       Auch anderswo in Bayern wird die Landschaft zugebaut – in den Alpen, in
       Schwaben. Doch in Niederbayern, einem einst bitterarmen Landstrich, ist es
       besonders drastisch.
       
       An der A3 reihen sich die Gewerbegebiete wie Perlen auf einer Schnur.
       Hinter Deggendorf kommt Hengersberg, dort gibt es eines. Die nächste
       Ausfahrt ist Iggensbach. Es folgt das Gewerbegebiet Garham, wo 2017 schon
       der zweite Bauabschnitt erschlossen werden soll.
       
       ## Gegenseitige Vorwürfe befeuern den Streit
       
       Und dann: Rathsmannsdorf, ein ganz besonderer Fall. Auf 19 Hektar – 27
       Fußballfelder – ist hier zu sehen, was Iggensbach womöglich bevorsteht.
       Helgard Gillitzer, Biologin und beim BN Vilshofen aktiv, stapft über den
       zugefrorenen gelb-roten Boden, der Wind pfeift eisig. „Ich fass’ es nicht“,
       sagt sie immer wieder. „Das tut mir so weh.“
       
       Vor knapp vier Jahren war hier alles gerodet worden für das Gewerbegebiet.
       Jetzt hat ein Bauunternehmen ein größeres Gebäude für sich selbst errichtet
       – ansonsten ist hier nichts als Ödnis. Für die Naturschützerin Gillitzer
       stellt das Projekt eine „riesige Fehlinvestition“ dar. Offenbar wolle
       keiner hierher kommen. Das bestreitet CSU-Bürgermeister Franz Langer
       entschieden. „Alles läuft nach Plan“, sagt er. „In zwei bis drei Jahren
       werden wir eine sehr positive Entwicklung haben.“
       
       Rathsmannsdorf war ein aggressiver, ganz bitterer Kampf zwischen dem BN und
       der Marktgemeinde Windorf, zu der das Gelände gehört. Man habe „überall
       getrickst“, schimpft Gillitzer, und sie „übers Ohr gehauen“. Wertvolle
       Biotope seien auf Karten einfach nicht eingezeichnet gewesen, man könne
       sich die Vielfalt des Kiefernwaldes und Heidekrauts gar nicht mehr
       vorstellen, die hier einmal waren.
       
       Bürgermeister Langer will erst gar nichts mehr dazu sagen. Schließlich sei
       alles geklärt, vor dem Verwaltungsgerichtshof haben die Naturschützer
       komplett verloren.
       
       Aber Langer spricht dann doch, weil er unterstreichen will, dass der BN mit
       „Lügen und Falschaussagen“ arbeite, dass es um eine „persönliche Fehde des
       BN“ gehe. Das Gewerbegebiet sei ein „Zeichen gegen die Landflucht“. Und was
       heißt zubetonieren? In weiten Teilen sei die Landschaft ja nicht durch
       Gewerbegebiete entstellt, meint er, „sondern durch die riesigen
       Solaranlagen“.
       
       3 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patrick Guyton
       
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