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       # taz.de -- Bremens Finanzsenatorin über Länderfinanzen: „Wir haben jetzt eine Perspektive“
       
       > Durch die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen kann sich Bremen ab 2020
       > wieder Politik leisten: Finanzsenatorin Linnert (Grüne) will nicht von
       > Rettung sprechen
       
   IMG Bild: Wünscht sich möglichst viele Rechte für das Parlament: Bremens Finanzsenatorin Linnert (Grüne)
       
       taz: Frau Linnert, ist Bremen jetzt gerettet? 
       
       Karoline Linnert: Es rettet uns kein höh’res Wesen, …
       
       … aber eben die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen? 
       
       Gerettet – das Wort passt in diesem Zusammenhang nicht. Rettung ist über
       Geld allein gar nicht möglich. Wir haben jetzt eine finanzpolitische
       Perspektive, sodass wir einen Standard erreichen können, der auch in den
       anderen Bundesländern herrscht. Wir werden nicht weiter abgehängt. Es
       stellt sich allmählich wieder Normalität ein. Das würde ich nicht als
       Rettung bezeichnen.
       
       Wenn bislang die Alternative hieß, von den Schulden erdrückt zu werden,
       scheint der Begriff doch so falsch nicht? 
       
       Das ist nicht mein Wort. Ich mache hier seit Anfang der 1980er Politik und
       hatte es stets mit Haushalten zu tun, in denen die jährlich neu gemachten
       Schulden von Jahr zu Jahr gestiegen sind. Da eine Trendwende hinbekommen zu
       haben und künftigen Generationen Probleme von geringerer Größe, als wir sie
       vorgefunden haben, zu hinterlassen, darauf bin ich stolz.
       
       Die Linke hatte geunkt, Wohlverhalten zahle sich bei
       Bund-Länder-Verhandlungen ums Geld nicht aus. Ist das jetzt widerlegt? 
       
       Ich habe da nicht still in der Ecke gesessen und gehofft, dass wir nicht
       vergessen werden. Allerdings, und das ist vielleicht neu für Bremer
       Verhältnisse: Wir tricksen nicht. Wir halten uns an Verabredungen. Und wir
       haben es geschafft, darzulegen, dass die Anstrengungen, die Bremen
       unternimmt, um haushaltspolitisch wieder auf die Beine zu kommen, seriös
       sind und erfolgreich. Das war die Grundlage – nicht, dass wir artig waren.
       
       Mittlerweile streitet Bremen darüber, was mit den 400 Millionen Euro
       Sanierungshilfe passiert. Die CDU will sie komplett in die Schuldentilgung
       stecken… 
       
       Ja, darüber habe ich mich gewundert. Das kann man nur fordern, wenn man
       hier auf absehbare Zeit nicht regieren möchte.
       
       Sie halten das für keine tolle Idee? 
       
       Es ist einfach unmöglich! Wir müssen eine gute Schulversorgung
       sicherstellen, wir brauchen Geld zum Ausbau der Kindertagesbetreuung, es
       ist Fakt, dass Bremen auch beim Einkommenszuwachs im öffentlichen Dienst
       sehr zurückhaltend war. Wer sich den Zustand unserer Straßen und Brücken
       anschaut, wird erkennen: Da gibt es Nachholbedarf. Und vom Ausbau des
       öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) über die Gewerbeflächen bis zum
       Klimaschutz gibt es viel, wo wir zusätzliches Geld investieren müssen.
       Dafür werden wir einen Teil dieser 400 Millionen brauchen.
       
       Aber in 50 Jahren schuldenfrei – das klingt doch schick? 
       
       Ich finde, das klingt eher nach Haushaltspolitik für allzu schlichte
       Gemüter: Der Staatsverschuldung stehen reale Werte gegenüber. Es ist
       sinnvoll, die Staatsverschuldung zu reduzieren – aber sie jetzt auf Biegen
       und Brechen auf Null zu bringen, ist es nicht. Das zentrale und richtige
       Anliegen war und ist, dass unsere Schulden nicht immer mehr werden, weil
       sie ein zu hohes Maß erreicht haben. Das haben wir mit der Neuordnung der
       Bund-Länder-Finanzbeziehungen geschafft. Schulden zu tilgen, ist ein Ziel
       neben anderen, nicht das übergeordnete. Es steht neben dem Ziel, für eine
       vernünftige Infrastruktur zu sorgen, neben dem, ein gutes Bildungswesen zu
       garantieren, oder dem, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu
       gewähren. Wer im kommenden Jahrzehnt regiert, wird zwischen den Aufgaben
       abwägen müssen. Ein Ziel absolut zu setzen, wäre falsch.
       
       Zugleich macht der Bund-Länder-Kompromiss Vorgaben: Das Geld darf nur
       eingesetzt werden, um die Wirtschafts- und Finanzkraft des Standorts zu
       stärken. Ein Problem? 
       
       Die Gefahr besteht, dass man damit wieder zur Ausgaben-Politik der großen
       Koalition zurückkehrt und überdimensionierte Vorhaben anschiebt, wie das
       Musicaltheater, die Galopprennbahn oder den Spacepark.
       
       Auch der Ökonom Rudolf Hickel warnt davor, diese Formulierung als Lizenz
       zum Betonmischen zu deuten. Aber erfüllen Investitionen in soziale
       Infrastruktur das Kriterium? 
       
       Selbstverständlich. Eine gute soziale, kulturelle und sportliche
       Infrastruktur zieht Einwohner an. Mehr Einwohner steigern die Wirtschafts-
       und Finanzkraft. Ein ausreichendes Angebot an Arbeitskräften, ein guter
       Naherholungswert, ein guter ÖPNV – das sind standortstärkende Maßnahmen. Es
       ist ein Ammenmärchen zu glauben, dass man quantifizierte Effekte einer
       einzelnen Maßnahme in der Steigerung der Wirtschaft- und Finanzkraft
       nachweisen könnte. Genau damit versuchte ja die große Koalition ihre
       überdurchschnittliche Investitionsquote zu rechtfertigen.
       
       … für die besagten Großprojekte? 
       
       Das hat sich als volkswirtschaftlicher Irrweg erwiesen.
       
       Die Grünen hatten schon damals etwas kitschig mit Kinderbildern plakatiert:
       „Das sind unsere Großprojekte.“ 
       
       Ich finde das Plakat immer noch gut. Zumal die ja auch immer größer werden,
       die Kinder. Aber man darf tatsächlich die Bedarfe nicht einfach
       gegeneinander ausspielen. Wir benötigen nicht nur Bildungsinfrastruktur,
       sondern wir brauchen auch ein ausreichendes Angebot an Gewerbeflächen. Und
       niemand findet Löcher in den Straßen gut. Ich wünsche mir, dass wir das an
       der Sache entscheiden – und nicht anhand von ideologischen Labels zwischen
       guten und schlechten Investitionen.
       
       Die Linke würde die Tilgung der Schulden dagegen am liebsten ganz der
       Inflation überlassen. 
       
       Wer nur auf eine Karte setzt, ist nicht so zukunftsfähig. Es kommt auf die
       Mischung an: Wahr ist, dass bei langfristig niedrigen Zinsen die
       fiskalischen Effekte der Schulden ziemlich gering sind. Es geht aber auch
       um etwas Psychologisches. Der Einstieg in die Schuldentilgung entspricht
       auch einem Wunsch, dass da mal etwas besser werden soll. Wir wollen ein
       Zeichen setzen, dass wir uns aktiv dafür einsetzen, dass unsere Schulden
       abnehmen.
       
       Dieser psychologische Faktor verliert durch die Festschreibung in der
       Bund-Länder-Vereinbarung aber an Gewicht: Die Entlastung ist nicht so groß,
       wenn Bremen durchs Schuldentilgen bloß eine Pflicht erfüllt, wie sie sein
       könnte, wenn man freiwillig sein Geld abstottern würde. Waren Sie deshalb
       gegen die Festschreibung? 
       
       Nein. Dabei geht es um eine grundlegende Frage. Ich wünsche mir möglichst
       viele Rechte für das vom Volk gewählte Parlament. Und das bedeutet:
       Möglichst keine Festlegung von außen. Denn es kann Jahre geben, in denen
       diese 50 Millionen mit Leichtigkeit bezahlt werden können – aber auch
       solche, in denen das sehr viel ist oder sogar zu viel: Darüber zu
       entscheiden, was zum gegebenen Zeitpunkt das Beste ist, dafür werden
       Abgeordnete auch gewählt.
       
       3 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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