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       # taz.de -- taz-Serie Gut vorankommen: In der Hand der Bus-Mafia
       
       > Vor drei Jahren war der Unmut über hohe Ticketpreise in Rio der
       > Ausgangspunkt für eine Protestwelle. Was ist daraus geworden?
       
   IMG Bild: Mit dem Taxi wäre es billiger gewesen: Busfahren in Rio de Janeiro
       
       Rio de Janeiro taz | Es dauert nicht lange, bis der 415er Bus angerauscht
       kommt. Zielsicher bremst er direkt vor den ausgestreckten Armen der
       Wartenden, die vom Ipanema-Strand ins Stadtzentrum oder weiter bis in den
       Stadtteil Tijuca fahren wollen. Die Strecke verläuft parallel zur U-Bahn,
       die seit Mitte dieses Jahres auch den schicken Stadtteil Ipanema erreicht
       und zwischen Atlantik und der Lagune in Richtung des Olympiaviertels Barra
       da Tijuca verkehrt. Doch die Metro ist teurer und viele Menschen scheuen
       die längeren Fußwege zur Station, da ist ihnen egal, wenn der Bus etwas
       langsamer ist.
       
       Statt der Busnummer und dem Fahrtziel leuchtet vorne auf dem Band der
       Werbespruch „Noch ein neuer Bus mit Aircondition“. Drinnen ist es angenehm
       kühl gegenüber den sommerlichen 35 Grad draußen. Ein Luxus, denn eigentlich
       ist längst vergessen, dass alle Buslinien bereits zur Fußball-WM 2014 per
       Gesetz verpflichtet wurden, nur noch klimatisierte Fahrzeuge einzusetzen.
       Zweieinhalb Jahre später liegt die Quote bei nicht einmal 50 Prozent. Die
       privaten Busunternehmer gelten als Mafia mit großem politischem Einfluss,
       mit der es keine Stadtregierung aufnimmt.
       
       Jüngste Sparmaßnahme: In fast allen Bussen wird auf den Kassierer
       verzichtet, sodass jetzt der Fahrer das Geld von den Passagieren nimmt, die
       keine Abo-Karte haben. Der Fahrstil wird dadurch noch waghalsiger, denn
       aufgrund der ständigen Zeitdrucks fährt der Bus immer bereits an, während
       noch Leute einsteigen. Und bis das Wechselgeld gezählt und ausgegeben ist,
       ist der Bus schon zwei Ampeln weiter gekurvt.
       
       Immerhin gibt es seit einigen Jahren Busspuren. Die Hälfte der vierspurigen
       Hauptstraße im Stadtteil Copacabana darf nur von Bussen und Taxis mit
       Fahrgästen befahren werden. Für die gut vier Kilometer bis zum Tunnel am
       Ende des Strands braucht der Bus am Nachmittag knapp 30 Minuten – früher
       waren es deutlich mehr.
       
       ## Busse haben die Schiene verdrängt
       
       Die Fahrt ist langweilig. Stopp and go entlang der endlosen verschmutzten
       Hochhausfassaden aus den 50er- und 60er- Jahren. Voll ist es nicht, keiner
       der 23 Passagiere muss stehen. Das gibt es nur hier in der edlen Südzone,
       wo eher zu viele Busse den Verkehr verstopfen. In den ärmeren Außenbezirken
       fahren sie seltener und sind meist überfüllt, obwohl sie hier am
       dringendsten gebraucht werden.
       
       Der öffentliche Nahverkehr in Brasilien lässt zu wünschen übrig. Die
       Verkehrsplanung priorisiert den Autoverkehr, von dem ein Großteil der
       Bevölkerung ausgeschlossen ist. Busse haben die Schiene überall fast
       vollständig verdrängt. Erst jetzt wird in Rio de Janeiro wieder eine erste
       Straßenbahn eingeweiht – teilweise in denselben Straßen, in denen frühere
       Gleise längst überasphaltiert wurden.
       
       Jede einzelne Busfahrt kostet umgerechnet etwas mehr als einen Euro. Außer
       bei bestimmten Umsteigeverbindungen muss bei jedem Verkehrsmittelwechsel
       neu bezahlt werden. Die Preise werden periodisch erhöht, im Schnitt immer
       weit über der Inflationsrate. Eine Goldgrube für die Busunternehmer. Die
       Politik winkt die Fahrpreiserhöhungen regelmäßig durch, obwohl Kritiker
       immer wieder vorrechnen, dass sie unangemessen sind – zumal der Service
       eher schlechter als besser wird.
       
       Mitte 2013 war der Unmut darüber Ausgangspunkt einer landesweiten
       Protestwelle gewesen, die ganz Brasilien erschütterte. Doch die
       Mobilisierung für bessere öffentliche Dienstleistungen angesichts von
       Millionenausgaben für Sportevents nach Fifa-Maßstab wurde zur Keimzelle
       einer rechten Bewegung gegen die amtierende Linksregierung.
       
       ## Fahrradfahren ist keine Alternative
       
       2016 übernahm eine rechtsliberale Koalition und setzt seitdem auf
       Sparpolitik. Mitte Dezember fror der Kongress die Höhe der staatlichen
       Ausgaben für die nächsten 20 Jahre ein. Die „Bewegung für den Nulltarif“,
       die 2013 Furore machte, hat sich längst von diesen Folgen ihres Protests
       distanziert und versucht mit anderen Organisationen, zu analysieren, wieso
       es zu diesem Bumerang-Effekt kam.
       
       Nach einem endlosen Stau im Stadtzentrum zuckelt der Bus Richtung Tijuca in
       die Nähe des Maracanã-Stadiums. Vier Passagiere hätten in einem Taxi nur
       wenig mehr gezahlt – und ein Drittel der Fahrzeit gebraucht. Mit Uber, der
       in Rio legalen und von den Taxitas vehement und teilweise mit gewaltsamen
       Übergriffen bekämpften Konkurrenz, wäre es sogar billiger gewesen.
       
       Trotz Werbekampagnen der Stadt ist das Fahrrad kaum eine Alternative.
       Abgesehen von der Hitze sind die Verkehrsteilnehmer rücksichtslos, die viel
       beworbenen Fahrradwege sind entweder zugeparkt oder enden abrupt an hohen
       Bordsteinkanten. So bleibt nur die Hoffnung auf neue U- und
       Straßenbahnlinien. Doch Rio ist nach WM und Olympia pleite.
       
       3 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Behn
       
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