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       # taz.de -- Kolumne Unter Leuten: In Fort Providence, Kanada
       
       > Stimmt es, dass Alkoholismus zunimmt, je nördlicher man reist? Nach fünf
       > Minuten auf einer kanadischen Party glaubt man das sofort.
       
   IMG Bild: Sonnenaufgang am MacKenzie River
       
       Wenn es Dayna nicht mehr aushält, setzt sie sich ins Auto und fährt drei
       Stunden Richtung Osten, auf die andere Seite des Waldes. Dort besucht sie
       ihre Freunde, sagt sie. Es ist die einzige Abwechslung, die ihr das Leben
       in Fort Providence bietet, einem Provinznest im hohen Norden Kanadas.
       
       Ich lerne Dayna in der Dorfkneipe kennen, einer Spelunke mit dunklen
       Holzwänden und einem Spiegel hinter der Theke, wie in einem schlechten
       Italowestern aus den frühen 80ern. Dayna ist Mitte 20, ihr Haar ist schwarz
       und glatt, ihr Lächeln leicht schief, aber geheimnisvoll. Wir sitzen an der
       Bar, bestellen eine neue Runde Canadian Lager und hochprozentigen
       mexikanischen Tequila. Mit jeden weiteren vier Zentilitern fühlen wir uns
       dem fernen Süden etwas näher.
       
       Es ist Samstag, sage ich. Und trotzdem so still im Dorf. Nicht bei mir zu
       Hause, sagt sie. Da feiert meine Family. Kommst du mit? Wir stürzen unsere
       Getränke runter und ziehen los. Die einzige Hauptstraße führt am Mackenzie
       River entlang, einem klaren, eiskalten Fluss. Es ist Sommer, selbst am
       Abend erleuchtet die Sonne hier im Norden den Horizont. Wir sind da, sagt
       Dayna nach wenigen Minuten. Ein Holzhaus, ganz unspektakulär. Zumindest von
       außen.
       
       Ich habe mal gelesen, dass Alkoholismus zunimmt, je nördlicher man reist.
       Nach fünf Minuten auf Daynas Party glaube ich das sofort. Überall leere
       Wodkaflaschen, Menschen kreischen und singen. Daynas Bruder schläft im Flur
       in seiner eigenen Kotze, ihr Vater hängt über einer Stuhllehne, stammelt
       Unverständliches. Ich setze mich neben ihn und beobachtete, wie ein
       Spuckefaden aus seinem Mundwinkel auf den Boden läuft und dort ein Rinnsal
       bildet.
       
       So ist es immer, sagt Dayna. Jedes Wochenende. Wir verlassen die Party
       durch die Hintertür und setzen uns an den Mackenzie River. Dayna rollt mit
       äußerster Akribie einen Joint, wir trinken zwei weitere Bier. Was für ein
       Ausblick, sage ich. Dayna schaut auf. Ich hasse diesen Ort, flüstert sie.
       
       7 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Eins
       
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