URI: 
       # taz.de -- Kunst-Ausstellung „Postwar 1945-65“: Die Bilder der Anderen
       
       > Das Münchner Haus der Kunst fungiert noch bis März als globales Museum.
       > Die Ausstellung trägt den Untertitel „Kunst zwischen Pazifik und
       > Atlantik“.
       
   IMG Bild: Roy Lichtenstein, „Atom Burst“, 1965
       
       Die Ausstellung im Münchner Haus der Kunst, „Postwar 1945–1965“ ist ein
       Großprojekt, das einen Einblick in die Auseinandersetzungen der Kunst im
       globalen Maßstab bietet – „Kunst zwischen Pazifik und Atlantik“ so der
       Untertitel. Damit ist auch angezeigt, dass der Umfang gewaltig und die
       Ausstellung nahezu unüberschaubar ist, mit Werken von 218 KünstlerInnen aus
       mehr als 60 Ländern.
       
       Eingeübte Sehgewohnheiten müssen beiseitegelegt werden und einer Offenheit
       für Neues, Anderes, bisher noch nicht so Gesehenes Platz machen. Denn sehr
       schnell stößt einen der Kurator der Schau, Okwui Enwezor, darauf, wie
       vertraut einem der westliche Kanon der Kunst ist und wie die Weise, Kunst
       zu lesen, mit der eigenen Sozialisation verbunden ist. Dabei stellt die
       Ausstellung dem Westen nicht auf anschauliche Art die übrige Welt
       gegenüber, sondern sie verknüpft alles mit allem –und überhaupt lässt sie
       eine Didaktik außen vor, die ein linear aufgebautes Mantra zum Nachbeten
       anbietet.
       
       Das Konzept dieser Ausstellung ist eben nicht eine Taxonomie nach Zeit,
       Region oder vorgeformten thematischen Vorgaben, in die das Viele
       eingeordnet werden kann. Acht Abteilungen werden entworfen, die sich aus
       der Logik der politischen, sozialen und historischen Situation, den darin
       agierenden KünstlerInnen und den entstandenen Kunstwerken ableiten.
       
       Den Anfang macht: „Nachwirkungen: Die Stunde Null und das Atomzeitalter“.
       Wir denken kurz an Helmut Kohl, vergessen ihn gleich wieder, weil es hier
       darum geht, die vorangegangenen Erfahrungen aufzunehmen und zu verarbeiten.
       Zentral werden hier gesetzt die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und
       Nagasaki, die die erschreckende Einsicht auf das Vernichtungspotenzial
       durch menschliches Handeln geben, und der Holocaust.
       
       ## Kunst der Nachkriegszeit
       
       Gleich zu Beginn steht man vor Joseph Beuys „Hirschdenkmal“. Ganz sicher
       eine der einflussreichsten Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus
       in der deutschen Kunst der Nachkriegszeit. Vielleicht war und ist dieser
       Arbeit immer auch die Flucht ins Geistige, Spirituelle zu eigen. Aber sie
       wird hier gezeigt in der Einbettung in einen größeren Kontext.
       
       Ein Blick auf das „Hirschdenkmal“ schließt immer den Blick auf weitere
       Werke mit ein, die in einem ähnlichen Erfahrungszusammenhang stehen wie
       eben – gleich um die Ecke – Roy Lichtensteins „Atom Burst“, in bekannter
       Pop-Art-Manier wie aus einem unendlich oft reproduzierten Comic-Heftchen.
       Oder – auch noch in der ersten Abteilung – die Fotografien von Yosuke
       Yamahata, einem japaischen Mitiltärfotografen, der wenige Stunden nach der
       Explosion in das zerstörte Nagasaki gegangen ist, um die Folgen des
       Schreckens unmittelbar festzuhalten.
       
       „Form ist bedeutsam“, die zweite Abteilung, macht deutlich, wie sehr und
       zwar in einem globalen Sinne, nach dem Zweiten Weltkrieg, die Formsprache
       der Kunst sich verändert hat oder zumindest auf der Suche nach anderen,
       veränderten formalen Mitteln war, etwa in der Rekonstruktion oder
       „Nach-Schöpfung“ von Gustav Metzgers „Erster Öffentlicher Vorführung
       Autodestruktiver Kunst“ von 1960.
       
       Aufgespannt auf einen Rahmen, die Reste eines Tuchs, zerschnitten,
       durchlöchert, dazu beigegeben die Werkzeuge der Zerstörung. In ihrer
       Sprödigkeit und Reduzierung ist das eine Arbeit, die wohl die geringste
       Distanz zur Gegenwart anzeigt. Keine Frage, Metzgers Haltung gehört zu den
       radikalsten, wo sie die Erfahrung der Zerstörung nicht durch geistige
       Transformationen vernebelt, sondern als Reflexion über das
       Selbstzerstörerische formuliert. Gleich daneben Tetsumi Kudos „Philosophy
       of Impotenz“ von 1959. Auch hier ein Nachdenken über die Ursachen
       gesellschaftlicher Grausamkeit, das zu eigenwilligen und irritierenden
       Formfindungen führt.
       
       Die weiteren, dann nicht linear angeordneten Abteilungen bieten es an,
       durch Räume und Seitenräume zu mäandern, wobei man immer wieder den
       zentralen Bereich durchquert. Es ist nicht die Logik des Ordnens, die einen
       führt, es sind Wege des Betrachtens, die man geht. Den Bereich „Neue
       Menschenbilder“, die dritte thematische Abteilung, betritt man meist erst
       am Ende der Ausstellung. Wirklich erstaunlich ist hier wie im Übrigen in
       der ganzen Ausstellung, dass es nur selten oder eigentlich gar keine
       psychologische Auffassung des Menschen zu sehen gibt. Vielleicht, noch im
       Ansatz, das fratzenhafte Gesicht in Francis Bacons „Pope“ von 1955/1956.
       Eine fast zynische Physiognomie der Macht.
       
       ## Neue Kartografie der Welt
       
       Es folgt „Realismen“. Wie leicht anzunehmen, thematisiert sich hier der
       Einfluss der einen Seite des Dualismus des Kalten Krieges, der figurative
       Ansatz des Sozialistischen Realismus. Das beschränkt sich nicht auf
       Russland und China, es werden viele Spielarten einer politischen
       Programmatik vorgeführt. Hamed Owais „Nasser und die Verstaatlichung des
       Kanals“ (1957), einem wirklich hinreißenden Bild politische und sozialer
       Begeisterung in der Phase eines Aufbruchs. Gegenüber befindet sich Boris
       Taslitzkys „Gegenschlag“ (1951), die Darstellung eines Aufstands
       französischer Arbeiter, die sich weigern, Schiffe zu beladen, die auf dem
       Weg in den Krieg nach Vietnam, Laos oder Kambodscha sind. Klar wird bei
       einem solchen Bild, wie sehr es in der Tradition zum 19. Jahrhundert steht,
       auch wenn es formal eine andere Richtung einschlägt.
       
       In den weiteren Abteilungen wird die globale Aufsplitterung wohl am
       deutlichsten, „Konkrete Visionen“, „Kosmopolitische Moderne“, „Formsuchende
       Nationen“ wie schließlich „Netzwerke, Medien & Kommunikation“. Auch hier
       werden die Blickachsen nie von eindeutigen Zuordnungen auf bestimmte
       Nationen beherrscht. Der den meisten Besuchern vertraute westliche Kanon
       verwebt sich an jeder Stelle mit anderen, weiteren
       Erfahrungszusammenhängen. Die Kreuzigung Jesu an einem Kampfflugzeug von
       Leon Ferrari, betitelt mit „Die westliche christliche Zivilisation“ (1965),
       sieht aus wie eine spielerische Montage von Symbolen eines leicht politisch
       angehauten Pop-Art-Exegeten als Provokation. Bei Ferrari ist sie mehr, ist
       sie Anklage.
       
       Insofern ist die Diskussion der Nachkriegsmoderne, wie sie in dem
       fulminanten und sehr schweren Katalog diskutiert wird, nur ein
       Ausgangspunkt. Der Eindruck, der hier vermittelt wird, die Moderne bilde
       eine einheitliche Klammer, wird durch die in der Ausstellung aufscheinenden
       Widersprüche und Paradoxe immer wieder unterlaufen. Und so erhebt sich die
       Frage, ob es die eine große Geschichte (Lyotard) damals wirklich noch gab
       oder – das gilt für heute – ob nicht das postmoderne Wissen „unsere
       Sensibilität für die Unterschiede verfeinert und unsere Fähigkeit
       verstärkt, das Unkommensurable“ zu betrachten.
       
       „Postwar“ bildet das Entree zu einer großangelegten Ausstellungstrilogie,
       gefolgt von „Postkolonialismus“ und „Postkommunismus“. Es ist der Eintritt
       in eine neue Kartografie der Welt, vor allem der Welt der Kunst, in der
       schon immer andere Wahrnehmungs- und Reflexionsformen gegenüber dem
       Bestehenden zum Ausdruck gebracht wurden. In der Aufhebung der gewohnten
       Fokussierung verschieben sich die Größenverhältnisse, die Relationen der
       Teile entziehen sich eindeutigen Zuordnungen, eingeübte Strukturierungen
       zerfallen – das Ganze ist nicht ein Mehr, das Ganze ist die Summe seiner
       Teile.
       
       Die gegenwärtige Ausstellung macht deutlich, dass neben der auf sich
       bezogenen westlichen Moderne Bilder existieren, die die
       Einheitskonstruktion des Westen zum Kippen bringt, aus abgelegenen Gebieten
       heraus agieren und einen verinnerlichten Kanon zu Fall bringen. Das
       passiert, wenn Pollock neben Armanjani in den Blick kommt, Dieter Roth sich
       irgendwie einbettet in die neokonkreten Arbeiten von Lygia Clark, Ibrahim
       El-Salahi direkt neben Picasso hängt oder Zenderoudi unweit von Twins Seven
       Seven und Avinash Chandra. Dabei kommt die Frage in den Blick, ob es nicht
       genau diese Verflechtungen sind, die dem irritierendes Potenzial der Kunst
       seinen Platz (wieder) einräumen.
       
       9 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Sehl
       
       ## TAGS
       
   DIR Kunst
   DIR Ausstellung
   DIR Nachkriegszeit
   DIR Atomkatastrophe
   DIR Ethnologie
   DIR Schwerpunkt Iran
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Museen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Museen vor Umzug ins Humboldt Forum: Großer Kehraus in Dahlem
       
       Bevor das Ethnologische und das Asiatische Museum am 8. Januar 2017
       endgültig schließen, geht es in Dahlem mit einem Langen Wochenende noch
       einmal hoch her.
       
   DIR Keine Kunst aus Iran in Berlin: Teheran-Ausstellung abgesagt
       
       Eine spektakuläre iranische Kunstsammlung sollte in Berlin gezeigt werden.
       Erst wurde die Schau verschoben, jetzt ganz abgesagt.
       
   DIR Nordische Kunst zur NS-Zeit: Hitler in stabiler Seitenlage
       
       Kernige Halligbauern, norddeutsche Landschaften und Schäferhunde: Eine
       Ausstellung untersucht die Politik des Flensburger Museumsbergs rund um die
       NS-Zeit
       
   DIR Winter-Ausstellungen in Hamburg: Zweimal in die Eiszeit und zurück
       
       Passend zur Jahreszeit locken zwei Hamburger Museen mit Ausstellungen, die
       in die kalten Gefilde führen. Einmal geht es zurück in die Eiszeit, ein
       andermal rund um den Polarkreis.