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       # taz.de -- „Prepper“-Szene in Deutschland: Die Krise kann kommen
       
       > Sogenannte „Prepper“ bereiten sich auf Katastrophen vor, indem sie unter
       > anderem Lebensmittel horten. Die Szene wächst – Auslöser war die
       > Finanzkrise.
       
   IMG Bild: Der Prepper hat stets etwas für den Notfall dabei
       
       Oldenburg/Berlin taz | Es könnte das Ende der Welt sein, wenn es nicht ein
       normaler Tag wäre hier, an diesem Ort irgendwo in Ostdeutschland. Im
       mehligen Dunst des Morgens breiten sich Felder und Wiesen aus; die Wälder
       im Grau der Ferne sind dunkle Schemen. Dirk Piontek steht am Gatter seines
       Gartens, ein schmaler Mann Ende 40 mit hellblauen Augen und früher Glatze.
       Er fühlt sich wohl in dieser abgelegenen Region. Je weiter weg die Städte,
       umso besser die Überlebenschancen. Was für die meisten nichts ist als ein
       Szenario für Weltuntergangs-Thriller, ist für ihn ein Risiko, das sich
       durch Vorsorge meistern lässt.
       
       Piontek hat VWL und Geografie studiert; an der Uni hörte er von
       Treibhauseffekt, Ozonloch und der Überalterung der Gesellschaft. Auf einer
       Wanderung machte es in seinem Kopf klick!, sagt er, „da kamen die
       Puzzleteile zusammen“.
       
       Das Wort „Prepper“ kommt aus dem Englischen, von to prepare. Denn das ist,
       was Prepper tun. Sich vorbereiten auf den Tag, an dem nichts mehr ist wie
       vorher. „Die Welt wird nicht untergehen“, sagt Piontek, „aber es kann sein,
       dass die Gesellschaft, wie wir sie kennen, sich verändert.“ In der
       Prepperszene gibt es dafür eine feste Wendung: The End of the World as We
       Know it. Es würde schon reichen, wenn ein Hackerangriff das Stromnetz
       lahmlegt: Nach kurzer Zeit würde es kein Benzin mehr geben, die Regale im
       Supermarkt wären leergeräumt. Schon für den fünften, sechsten Tag, sagt
       Piontek, lässt sich keine Vorhersage mehr treffen. „Weil alles denkbar
       wäre.“
       
       Er heißt eigentlich anders, sein echter Name soll hier nicht auftauchen.
       Denn wer Vorräte hat, wird in der Krise als Erster überfallen. Er stapft
       weiter; die Absätze sinken in feuchte Erde, rechts liegt ein Gemüsegarten,
       hinten der Ziegenstall. Piontek stammt aus Bottrop, seine Frau ist von
       hier. „Für mich ist das die Lösung“, sagt er, „zieh aufs Land. Leg mit
       Freunden einen Garten an. Bevorrate Saatgut. Werde glücklich.“
       
       ## Die Ängstlichen haben überlebt
       
       In den USA wird die Zahl der Prepper auf vier Millionen geschätzt. Aber
       auch in Deutschland gewinnt die Szene seit einigen Jahren an Zulauf, und
       damit ist sie auch ein Indikator für die Unsicherheit, die viele Menschen
       erfasst hat. Dazu passt, dass die Bundesregierung im August ein neues
       Zivilschutzkonzept vorgestellt hat; das hatte es seit 20 Jahren nicht mehr
       gegeben.
       
       Darin werden die Bürger aufgefordert, Lebensmittel für zehn Tage zu horten.
       Die meisten Prepper haben deutlich größere Vorräte. Die Finanzkrise 2008
       war für diese Szene eine Initialzündung. Auch die Flüchtlingskrise und die
       Anschläge in Würzburg, Ansbach und Berlin haben so manchen in seiner Angst
       bestärkt.
       
       Der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow sieht die Sache dennoch
       gelassen: „Es gibt immer wieder Wellen, was die Angst angeht“, sagt er,
       allerdings bestimme die Sorge das Leben stärker als anderswo: „Der Gedanke,
       sich gegen alle Eventualitäten schützen zu wollen, hängt mit der
       Frühgeschichte zusammen. Wir leben in einem Land, wo sechs Monate lang
       nichts wächst. Die Fröhlichen, Unbekümmerten sind umgekommen. Die
       Ängstlichen haben überlebt, das steckt in unseren Genen.“
       
       ## Schulung in freier Natur
       
       Ein kalter Samstagvormittag bricht an, als sich in einem Waldstück am Rand
       von Berlin ein gutes Dutzend Menschen im Halbkreis aufstellt. Zwei Männer
       treten vor, Daniel Schäfer und Benjamin Arlet, Gründer der Firma Survicamp,
       die Prepper- und Survivalkurse organisiert. Einmal im Monat bieten sie
       Schulungen in freier Natur an; letztes Mal ging es ums Schlachten von
       Kaninchen, diesmal wird Schießen geübt. Schäfer hält den Teilnehmern ein
       Luftgewehr hin und sagt: „Wir versuchen, das realistisch zu machen: Da ist
       eine Waffe. Ihr werdet verfolgt, nehmt die und schießt. Trefft ihr oder
       nicht?“
       
       Ein älterer Herr legt sich auf die Erde, das Gewehr auf einen Rucksack
       gestützt. Daneben steht ein Anwalt, der sagt, ihn reizt das Abenteuer. Eine
       Frau ist im Internet auf den Kurs gestoßen. „Ich war auf der Suche nach
       etwas, wo man lernt, wie man sich auf den Ernstfall vorbereiten kann.“ Dass
       schlimme Zeiten bevorstehen, ist für sie keine Frage: „Wie fangen die
       meisten Szenarien an? Mit Unruhen und Bürgerkriegen. Und das ist ja nicht
       weit hergeholt.“
       
       Ein paar Tage zuvor sitzen Schäfer und Arlet in einem Büro im Erdgeschoss
       eines Altbaus in Charlottenburg. Schäfer war früher Berufssoldat. Heute
       führt er eine Unternehmensberatung. „Durch meine Ausbildung bei der Armee
       bin ich in der Lage, Risiken einzuschätzen“, sagt Schäfer, „die
       Wahrscheinlichkeit von Krisen steigt von Jahr zu Jahr.“ Arlet, studierter
       Webdesigner, nickt. Vorräte für einen Monat, sagt er, solle jeder zu Hause
       haben. Aber das ist nicht alles. Auch medizinische Grundkenntnisse werden
       wichtig sein, und handwerkliches Können. Deshalb sind die beiden dabei,
       Prepper-Clubs zu gründen. Sie wollen sicher sein, dass im Fall der Krise
       eine Gemeinschaft steht, in der alle Berufe doppelt vertreten sind, sagt
       Arlet, „vom Arzt zum Zimmermann“. Wenn die Krise kommt, steht eine
       Gemeinschaft, auf die sie sich verlassen können.“
       
       ## Rechte Szene ist interessiert
       
       Der Begriff Prepper umfasst ein breites Spektrum. Hausfrauen, die beim
       Einkaufen immer ein paar Dosen mehr in den Wagen packen. Paranoiker, die
       sich in ihrem Bunker verschanzen. Die meisten Prepper sind
       Durchschnittsbürger, Baumarkt-Typen, Menschen, die Probleme gern praktisch
       lösen. Inzwischen hat sich rund um das Thema ein lukrativer Markt
       entwickelt. Auf dem Onlineportal „Survivor Magazin“ gibt es Ratgebertexte:
       „Panikraum – wie baust du einen Sicherheitsraum zu Hause?“ oder „5
       Methoden, deine Bug-out-Bag zu erleichtern“. Der Betreiber sagt, seine
       Zielgruppe sei viel rationaler als befürchtet. Rechte und politisch
       Verirrte seien in der Unterzahl: „Es gibt Schnittmengen. Die rechte Szene
       stürzt sich auf das Thema.“
       
       Wer davon ausgeht, dass eine Krise kommt, dass die Regierung uns nicht
       schützen kann, tätigt eine politische Aussage, ob er will oder nicht. Viele
       Bücher zu Crash und Krise sind im Kopp-Verlag erschienen, der sich auf
       rechtspopulistische Inhalte spezialisiert hat. „Überleben in der Krise“, so
       heißt das Buch, das Herbert Rhein verfasst hat. Der Autor, 79 Jahre, sitzt
       in seinem Arbeitszimmer am Rand von Oldenburg. „Ich glaube nicht, dass die
       Welt gefährlicher geworden ist“, sagt er, „sie ist stabiler als früher.“
       Aber sie sei dichter zusammengewachsen, also könne sich alles schnell
       ändern. Rhein denkt dieser Tage häufiger an die Zeit nach dem Krieg zurück.
       Damals war das, was jetzt unter dem Stichwort Prepping läuft, normal, das
       Einmachen von Konserven, dass Schlachten von eigener Hand, sagt er: „Alles
       steht und fällt mit der richtigen Planung.“
       
       Mit der Bankenkrise wurde ihm klar, dass es wieder an der Zeit ist
       vorzusorgen. Er kaufte für sich und seine Frau dieses Haus. Rhein deutet
       aus dem Fenster, draußen ein Rasen, eingefasst von Holzbohlen. Daraus ließe
       sich ein Schweinestall zimmern. Darunter liegen Steinplatten, die sich für
       einen Räucherofen eignen. Er sagt: „Man muss ja davon ausgehen, dass in der
       Krise kein Strom da ist. Das meine ich mit Planung.“
       
       ## „Wir sind unpolitisch“
       
       Dirk Piontek hat schon oft darüber nachgedacht, an welchen Stellen die
       öffentliche Ordnung am verwundbarsten ist. Er sitzt in einem Café am
       Alexanderplatz; er hatte einen Termin in Berlin. Er nimmt ein Papier und
       zeichnet: Ein Gebäude, das ist unsere Gesellschaft. Über dem Fundament
       liegt ein Dach aus Frieden, Freiheit, Sicherheit; darunter Stützpfeiler:
       Polizei, Katastrophenschutz, Bundeswehr. Dann malt er noch ein paar Blitze,
       die ins Dach einschlagen: Überschuldung, Flüchtlinge, Terror.
       
       Piontek führt ein Online-Forum, das Human Survival Project. „Wir Prepper
       sind unpolitisch. Ich sehe uns als Stabilitätsfaktoren“, sagt er, „denn wir
       sind in der Krise nicht die Leute, die auf die Straße gehen, um Wasser und
       Nahrung zu suchen.“ Ab und an verirrt sich einer ins Forum, der die
       Apokalypse herbeisehnt, Menschen, die nicht zurechtkommen in der Welt, wie
       sie ist. Die sagen, sie brauchen keine Vorräte, nur eine Waffe. „Das sind
       die Anti-Prepper. Kriminelle, die auf die Krise hoffen, um sich zu nehmen,
       was sie schon immer wollten.“
       
       Sorge macht Piontek aber auch die große Zahl der Menschen, die keine
       Krisenvorsorge treffen. Sein Blick geht nach draußen; zwischen Kaufhof und
       Saturn schiebt sich die Masse der Passanten entlang. In Pionteks
       Prepper-Gruppe haben sie sich ihre Gedanken gemacht: Leute, die viel Land
       haben, könnten im Krisenfall Flüchtlinge aus der Stadt aufnehmen. Aber
       würden die Mittel reichen, um alle zu versorgen? Nein, sagt er, jeder muss
       etwas tun. „Je mehr Menschen durch materielle Vorbereitungen oder
       Weiterbildungen krisenfester werden, umso besser für uns alle.“
       
       Ein kalter Abend fällt über Berlin. Im Büro von Benjamin Alert und Daniel
       Schäfer sitzen etwa 15 Leute, bei dem Workshop geht es um die Grundlagen
       der Krisenvorsorge. Alert hat eine Plastikbox mitgebracht, darin Konserven,
       Speiseöl, Klopapier. Er lässt eine Dose mit Gulasch herumgehen, dann eine
       Packung vakuumiertes Rührei. „Sind denn da auch alle Vitamine drin?“, fragt
       eine Dame im rosa Tweedjackett. Arlet drückt auf den Laptop, hinter ihm
       erscheinen Fotos, Überschwemmungen in Sachsen, verwüstete Straßen nach den
       Anschlägen in Paris. Er klickt weiter, es kann so viel passieren:
       Chemieunfälle, Epidemien. Leere Geschäfte, plündernde Banden. The End of
       the World as We Know it.
       
       15 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriela Keller
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Prepper
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR taz-Serie: Die Reichsbürger
   DIR Atomkraftwerk
       
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