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       # taz.de -- Die Wahrheit: Wegen Inventur geschlossen
       
       > Sind die Zeit zwischen den Jahren und die paar Fläztage danach vorbei,
       > kann man es mit dem Ausmisten getrost lassen.
       
   IMG Bild: Auf den Spuren von Veronica Ferres und Abraham Lincoln
       
       Die angenehme Auszeit, in der die Heiligen Drei Könige –
       verantwortungsloser Fraß, Suff und hemmungslose Serienguckerei – die
       Sofabevölkerung regierten, endet leider gerade wieder.
       
       Sie begann mit dem Ritual der Anbetung des schiefsten Tannenbaums, der auf
       dem Markt zu bekommen war. Der Liebste scheut da weder Kosten noch Mühen,
       und er hat die Argumente auf seiner Seite: „Der im letzten Jahr war
       schlimmer!“ Nicht, dass es zu Missverständnissen kommt: Ich will gar keine
       gerade Nadel-Schönheit. Ein Baum hat auch Gefühle, und irgendwer muss die
       spitteligen, schiefen, zu üppigen und zweispitzigen Exemplare schließlich
       aufnehmen. Nämlich wir.
       
       Wenn es dann auf den Dreikönigstag zugeht, flüstern wir in seiner
       Gesellschaft nur noch: „Am Sonnabend ist es so weit, psst, sag mal nix.“
       Denn dann kommt die Jugendfeuerwehr und holt ihn ab. Zehn Euro für die
       Bierkasse ist der Preis dafür.
       
       Vor ein paar Jahren wollten wir dem Baum länger Quartier geben, weil er so
       dankbar war und kein bisschen genadelt hat. Er hatte sogar schon Deutsch
       gelernt, glaube ich. Wir konnten uns ein Zusammenleben vorstellen. Trotzdem
       klingelte am Sammeltag ein käsiger, bierdurstiger Fünfzehnjähriger und
       knöpfte uns schließlich entnervt das Geld ab, ohne die Tanne mitzunehmen.
       Einen Monat nach Weihnachten saßen wir dann mit einer unentsorgbaren
       Baumleiche da.
       
       Das passte schlecht in die große Zeit des Ausmistens und der Inventur. Der
       Januar, ein ekelhafter und vollkommen nutzloser Monat, wird überall mit
       Entrümpelritualen gefüllt, um die Sinnkrise zu übertönen, die der ewige
       Jahreskreislauf bei jedem fühlenden Wesen kurz nach dem Neujahrskater
       erzeugt. Ich hätte deswegen beinah einen kaputten Holzweihnachtsmann
       weggeworfen.
       
       Dann fiel mir ein, dass er schon vor Jahren zerbrochen war und seitdem in
       der Weihnachtsschachtel vergnügt seine Versehrtenrente verzehrt, während
       die Kollegen am Baum Bella Figura machen müssen, und dass das eigentlich
       ganz okay so ist. Würde er sich denn in der Tonne wohler fühlen? Nein.
       Würde es mir besser gehen, wenn ich ihn entsorgte? Ja. Ungefähr zwei
       Sekunden lang.
       
       Ich versuchte es dann mit Büchern, den zusammengelaufenen, die man doch
       nicht liest und die das Regal so blöd verstopfen. Nun, ich verrate hier ein
       Geheimnis: Man liest sie im Januar, stehend vor dem Regal, für ein halbes
       Stündchen, und legt sie mit einem gemurmelten „irgendwann …“ wieder zurück.
       Nur jenes Buch über tauchende Mönche im Spreekanal … na, doch, das könnte
       ich immer noch der ehemaligen Schulfreundin zum Geburtstag schenken.
       Schade, dass sie mich seit zwanzig Jahren nicht mehr einlädt.
       
       Schließlich warf ich weg: ein paar abgelaufene Gutscheine, Flyer zu längst
       abgebauten Ausstellungen, ein nicht mehr aktuelles Prospekt eines
       Schuhhauses und die Müllberatungsbroschüre meines Landkreises. Es war die
       vom vergangenen Jahr.
       
       Ich fühlt mich besser. Drei Sekunden lang.
       
       11 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
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