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       # taz.de -- Essay Linke in den USA: Das „We the People“-Gefühl
       
       > Gegen Trump formiert sich Widerstand. Aber wenig spricht dafür, dass das
       > progressive Folgen hat. Eine US-Linke – gibt's die überhaupt?
       
   IMG Bild: US-Bürger votieren seit dem Unabhängigkeitskrieg gegen ihre ökonomischen Interessen
       
       Seit dem Wahlsieg Trumps werde ich in Europa immer wieder gefragt, ob seine
       arbeitnehmerfeindliche Politik die amerikanische Linke neu beleben werde.
       Eine amerikanische Linke – gibt’s denn so was?
       
       Es gab eine „Linke“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sie wurde von
       europäischen Immigranten und den amerikanischen „Wobblies“ getragen (der
       Gewerkschaft Industrial Workers of the World), mit sozialistischen und
       anarchistischen Tendenzen. Es gab bis in die siebziger Jahre eine
       bedeutende reformistische Arbeiterbewegung, die immer weiter an Kraft
       verliert. Aber eine „Linke“ hatte nie denselben politischen oder
       ideologischen Einfluss wie in Europa.
       
       Könnte Trump das, was von dieser amerikanischen „Linken“ übrig ist, aus dem
       Dämmerschlaf wecken? Also eine Reformbewegung aus Unterstützern von Sanders
       und Clinton erzeugen, die sich für eine sozialere Wirtschaft einsetzt und
       vor allem für eine größere Rolle des Staates in der öffentlichen Versorgung
       (Bildung, Umwelt, Infrastruktur, Gesundheit), für strengere Finanzregeln
       und Schutz vor Marktmissbrauch, die die einfachen Leute im Alltag
       unterstützt, etwa mit finanzieller Hilfe fürs College, für die Gesundheit
       und beim Hauskauf?
       
       Keine Sorge, heftiger Widerstand regt sich bereits. Mit Protesten gegen
       Trump, die den Verkehr in Manhattan zum Halten brachten, durch Zeit- und
       Geldspenden an zivilgesellschaftliche Organisationen. Die
       Bürgerrechtsvereinigung ACLU etwa erhielt in der Woche nach Trumps Wahl 7,2
       Millionen Dollar Spenden. 2012 waren es im gleichen Zeitraum 27.806 Dollar.
       
       Wird das die oppositionellen Demokraten im Kongress stärken?
       Wahrscheinlich. Wird sich etwas ändern, solange die Republikaner in
       beiden Häusern die Mehrheit haben? Weniger, als die Eigenwerbung des
       Kongresses für die „Suche nach Kompromissen“ suggeriert.
       
       ## Misstrauen gegen jegliche Staatsmacht
       
       Werden Trumps Unterstützer 2018 und 2020 wieder die Demokraten wählen? Sein
       bevorzugtes Personal kommt von der Wall Street, von
       Fossile-Energie-Konzernen und anderen Großfirmen, die sich
       arbeitnehmerfreundlicher Politik widersetzen. Da sich die wirtschaftliche
       Lage vieler Leute mutmaßlich verschärft, ist doch anzunehmen, dass dann
       wieder mehr für die Demokraten stimmen.
       
       Machst du Witze? US-Bürger votieren seit dem Unabhängigkeitskrieg gegen
       ihre ökonomischen Interessen, als die langfristigen Wirtschaftsaussichten –
       und erst recht schlichter Anstand – den Verbleib im britischen Empire
       geboten hätten.
       
       Die amerikanischen Kolonien hatten mit die niedrigste Steuerlast, und die
       Briten hatten sie gerade aufwendig im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763)
       gegen die Franzosen verteidigt. George Washington lernte in diesem Krieg,
       wie man kämpft, und dann setzte er das Gelernte gegen seine Ausbilder ein.
       Das nenne ich Dankbarkeit! Die Briten erhöhten darauf die Gebühren für
       Behördenstempel und die Steuer auf Zucker. Der Rest ist Geschichte.
       
       Die Bürger der USA votieren wie die meisten Leute nicht gemäß ihren
       wirtschaftlichen Interessen, sondern nach ihren generellen Überzeugungen.
       Warum wählen die Amerikaner keine Regierung, die sich um diese Probleme
       kümmert?
       
       Also hör mal! Die Amerikaner glauben nicht mehr daran, dass eine Regierung
       Probleme löst, seit sie 1774 Zollbeamte der britischen Krone geteert und
       gefedert haben. Die Ursprünge der USA liegen im Machtkampf zwischen Karl I.
       und dem englischen Parlament (1620 bis 1640), vor dem die ersten Siedler
       nach Nordamerika flüchteten. Deren Misstrauen gegen jegliche Staatsmacht
       lebt bis heute fort. Viele der neuen Siedler kamen aus religiösen Motiven,
       sie lehnten die Staatsmacht auch wegen der religiösen Verfolgung ab.
       
       ## Zentrale Autoritäten unter Verdacht
       
       Der reformierte Protestantismus mit seinem großen Einfluss auf das
       politische Denken in Amerika wollte dem neuen Staat keine zentrale
       Regierung geben; die Nation sollte sich aus einem Bund
       zusammengeschlossener Gemeinden konstituieren, die ihre Regeln selbst
       festlegen und sich in Netzwerken zusammenschließen. Dazu kam die Erfahrung
       der Siedler auf dem Weg nach Westen, denen die Staatsmacht nicht genug
       beistand.
       
       Es ist also in unserem nationalen Erbgut verankert, dass individueller und
       lokaler Einsatz viel gilt und zentrale Autoritäten unter Verdacht stehen.
       Wenn es ein Problem gibt, neigen wir zu dem Glauben, „we, the people“,
       könnten es besser lösen als eine korrupte, inkompetente Regierung.
       
       Schon daher ist es unwahrscheinlich, dass Trumps Wählerbasis für die
       Demokraten und damit für eine größere Rolle des Staates stimmt. Sie glauben
       nicht daran.
       
       Nehmen US-Bürger etwa keine staatlichen Dienstleistungen in Anspruch? Sie
       vertrauen ihnen nicht, auch wenn sie sie nutzen – und sie hassen sich
       dafür, dass sie nicht selbst für sich sorgen können.
       
       Sie nehmen es auch dem Staat übel, dass er diese Dienstleistungen anbietet.
       Ende 2016 beantragten 6,4 Millionen eine Krankenversicherung, also
       Obamacare. Die meisten Anträge kamen aus Florida, North Carolina, Georgia
       und Pennsylvania. In allen siegte Trump.
       
       ## Ruf nach „Wandel“
       
       Der Wunsch, die korrupte und inkompetente Politikerkaste in Washington
       davonzujagen, überschreitet Parteigrenzen. In den USA hat der Ruf nach
       „Wandel“ Tradition. Aus der Sicht der Demokraten bedeutet „Wandel“ aber,
       die Regierung mehr in die Pflicht zu nehmen, die einfachen Leute im Alltag
       zu unterstützen. Ein Denkansatz, der sich angesichts der fürchterlichen
       Arbeitsbedingungen Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitete.
       
       Am Ende standen Teddy Roosevelts (ein Republikaner) Reformen der
       Progressiven Ära sowie der New Deal seines Cousins Franklin (ein Demokrat).
       Beide standen für staatliche Zügelung der Wohlhabenden und der Hilfe für
       die Bedürftigen. Lyndon Johnson folgte mit den Bürgerrechtsgesetzen und
       Sozialreformen der Great Society.
       
       Im Wahlkampf 2016 erlebten die USA, wie die New York Times schrieb, wie
       „Donald Trump die wirtschaftlichen Probleme mancher Gegenden zum Thema
       machte und dabei populistische Kritik am Freihandel mit traditionellen
       republikanischen Forderungen nach weniger Steuern verband, während Clinton
       eine stärkere Rolle der Regierung bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und
       der Erhöhung der Löhne in Aussicht stellte.“
       
       Unterschiedliche Ansichten über die Rolle des Staates trennen auch die
       städtischen Wähler von denen auf dem Land. Auf dem Land wird republikanisch
       gewählt, da man dort dazu tendiert, sich selbst oder gegenseitig zu helfen.
       In den Städten bekommen die Demokraten mehr Stimmen, dort wird größerer
       Wert auf öffentliche Fürsorge für die Bürger gelegt.
       
       Werden die, die so denken, denn beim nächsten Mal auch entsprechend
       abstimmen? Ja doch, sicher, wahrscheinlich, vielleicht, irgendwie. Aber das
       stünde in Konkurrenz zu älteren, tiefer sitzenden nationalen Überzeugungen.
       Die Leute könnten für die Demokraten stimmen oder weiter nach rechts
       rücken.
       
       ## Städtische Wähler sind unterrepräsentiert
       
       Im November haben genug Leute für einen des Staats überdrüssigen Populismus
       gestimmt, um Trump den Sieg zu bescheren – obwohl sich die Wirtschaftslage
       in den USA seit 2009 stetig verbessert hat. Die Zahl der Jobs ist seit 75
       Monaten gestiegen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 4,9 Prozent. Das mittlere
       jährliche Haushaltseinkommen stieg von 2014 auf 2015 um 5,2 Prozent, der
       stärkste Anstieg seit 1967.
       
       Sollte aber eine Mehrheit für die Demokraten – Clinton erhielt drei
       Millionen Stimmen mehr als Trump – in einer repräsentativen Demokratie
       nicht mehr demokratische Amtsträger an die Macht bringen?
       
       Die USA sollen eine repräsentative Demokratie sein? Nun, unsere Wahlbezirke
       verleihen den republikanischen ländlichen Gegenden mehr Gewicht als den
       demokratisch kontrollierten in den Städten. Demokraten können zwar in einem
       Bundesstaat die Stimmenmehrheit erringen, aber die Mehrheit der Wahlbezirke
       verlieren, dann stehen sie dort ohne Mehrheit im Kongress da.
       
       In Washington ist das ländliche und republikanische Wyoming mit zwei
       Senatoren und einem Mitglied im Repräsentantenhaus dreifach
       überrepräsentiert. Das spiegelt sich auch im Wahlmännerkollegium wider.
       Städtische Wähler sind unterrepräsentiert – eine amerikanische Tradition.
       
       Die Demokraten holten bei sechs der letzten sieben Präsidentschaftswahlen
       die Mehrheit, verloren die Wahl aber zweimal im Wahlmännerkollegium. Es
       kann also sein, dass eine Mehrheit der US-Bürger eine demokratische „Linke“
       unterstützt, es aber nicht schafft, sie an die Macht zu bringen? Ja – genau
       das ist 2016 passiert. 
       
       Aus dem Englischen: Stefan Schaaf
       
       22 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marcia Pally
       
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