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       # taz.de -- Kolumne Hier und dort: Freiwillige Rückkehr
       
       > Drei Jahre war ich fort. Nun träume ich davon, dass der Krieg zu Ende
       > ist. Ich begebe mich auf eine lange Reise und kehre nach Damaskus zurück.
       
   IMG Bild: Vor dem Krieg war die Umayyaden-Moschee ein Besuchermagnet für Touristen aus aller Welt
       
       An einem Wintermorgen beschloss ich, nach Damaskus zurückzukehren. Denn ich
       träumte, der Krieg sei zu Ende.
       
       Ich verließ meine Straße in Berlin, durchquerte Europa und überquerte das
       Mittelmeer in Richtung Damaskus. An der syrischen Grenze holte ich tief
       Luft, als wollte ich das Einatmen der ganzen Luft der vergangenen drei
       Jahre in der Fremde nachholen.
       
       Von der Grenze aus begab ich mich auf einen langen Weg, der bis zu meiner
       Wohnung in einem Damaszener Viertel normalerweise drei Stunden dauert.
       
       Die Wohngegend, in der ich viele Jahre verbracht hatte, sah vollkommen
       normal aus – als hätte sich dort nichts geändert seit meinem Fortgehen. Ich
       legte mein Gepäck in meiner alten Wohnung ab und ging hinaus in Richtung
       des Stadtzentrums von Damaskus.
       
       Auf dem Weg dorthin kam ich an dem Gebäude der syrischen Nachrichtenagentur
       Sana vorbei. Ich blieb kurz stehen, um die halbe Wahrheit über den Zustand
       des Landes zu erfahren.
       
       ## „Vor drei Jahren war Kefah noch unter uns“
       
       Dann ging ich weiter zum Nationalmuseum, dem Ort, an dem „man“ dem Land
       seine Geschichte raubte. Im Museumscafé erblickte ich einige alte Freunde,
       die im Gegensatz zu mir geblieben waren und die Hoffnung auf bessere Zeiten
       nicht aufgegeben hatten. Ich ging ganz nah an ihnen vorbei, ohne dass sie
       mich bemerkten. Ich hörte eine von ihnen sagen: „Vor drei Jahren war Kefah
       noch unter uns!“
       
       Ich unterdrückte meine Tränen und zog weiter, entlang der
       Buchhändler-Straße, die zur Burg von Damaskus führt. Ich ruhte mich kurz im
       Park aus, dann erhob ich mich wieder und ging zum nächsten Café am Fluss
       Barada, wo ich früher häufig saß.
       
       Es war kalt, und ich beschloss weiterzugehen, um nicht zu frieren. Am
       Stadttor angekommen ging hinein in das Herz der Stadt, wo die
       Umayyaden-Moschee steht und wo in früheren Zeiten ein Kultort für den Gott
       Hadad errichtet worden war. Die Umayyaden-Moschee war zuvor eine Synagoge
       gewesen, die später durch eine christliche Basilika ersetzt wurde. Heute
       ist sie eine islamische Moschee, die vor dem Krieg ein Besuchermagnet für
       Touristen aus aller Welt war.
       
       Diesmal sah ich das Dach der Moschee und erblickte die Tauben in ihren
       Nestern. Ich konnte die Spitze des Minaretts mit meiner bloßen Hand
       anfassen, und ich rief sogar zum Gebet. Es war die Zeit des Mittagsgebets.
       Viele Menschen strömten zum Gebet herbei, andere setzten ihre Arbeit fort,
       und manche gingen kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen.
       
       ## Ins Hamam
       
       Dann setzte ich mich in meine Lieblingsecke in dem alten Café und Teehaus
       gegenüber der Moschee, bestellte den in Damaskus beliebten Kümmeltee mit
       Zitrone, trank ihn und verließ das Café, bevor die Betenden aus der Moschee
       kamen.
       
       Ich schlenderte durch die Gassen der Altstadt. Einige dufteten nach dem
       Holz, aus dem die alten Haustüren mit ihren bemalten Glasscheiben waren.
       Dann kam ich an den Damaszener Bädern in türkischem Stil vorbei. In diesen
       Hamams gab es damals eine Abteilung für Frauen und eine andere für Männer.
       Die Damaszener pflegten ein bestimmtes Hochzeitsritual: Sie brachten das
       Brautpaar in das Hamam, wo die Frauen die Braut wuschen und die Männer den
       Bräutigam.
       
       Ich beschloss, zum Abschluss dieses Ausflugs ein Dampfbad zu nehmen, und
       ging hinein ins Frauenbad. Dort waren die meisten Frauen nackt, wenige von
       ihnen trugen Unterwäsche. Ihre Körper verströmten einen betörenden Duft,
       sie saßen in Zweier- oder Dreiergrüppchen, und der Geruch von Alepposeife
       erfüllte den Raum. Ich erinnerte mich an das Gemälde „Szene im Hamam“ von
       Jean-Léon Gérôme. Ich dachte mir: Wie elend müssten sich die heutigen
       Dichter fühlen, die das Frauenhamam nicht betreten dürfen. Wäre ich ein
       Dichter, hätte ich bestimmt ein Loch in die Wand gebohrt, um die Szene im
       Hamam zu sehen, selbst auf die Gefahr hin, den Rest meines Lebens Gedichte
       schreibend hinter Gittern verbringen zu müssen.
       
       Ach…! Ich verlasse das Hamam, bevor ich auf noch „extremere“ Gedanken
       komme, und kehre zurück in meine Wohnung in Berlin. Dort werde ich nach der
       langen Reise auf Google Maps in Ruhe den Schnee hinter dem Fenster
       betrachten.
       
       Aus dem Arabischen Mustafa Al-Slaiman
       
       19 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kefah Ali Deeb
       
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