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       # taz.de -- Streit um Andrej Holm: Vom roten Teppich gerutscht
       
       > Der Berliner Regierung sollte ein Vorbild für die Bundespolitik sein.
       > Doch im Streit um Holm wird Rot-Rot-Grün zum Schreckgespenst.
       
   IMG Bild: Im Dezember war noch alles in Ordnung. Inzwischen ist Rot-Rot-Grün in Berlin zerstritten
       
       Berlin taz | Schneeflocken fallen sacht auf die Gedenkstätte der
       Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde, Männer und Frauen mit Pelztschapkas
       und roten Nelken pilgern wie jedes Jahr am zweiten Januarwochenende zu den
       Gräbern der ermordeten KPD-Gründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
       
       Vor dem Mahnmal steht die Führungsmannschaft der Berliner Linkspartei im
       Halbkreis zusammen: Fraktionsvorsitzende Carola Bluhm,
       Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher und Landesvorsitzende Katina
       Schubert haben die Mützen über die Ohren gezogen, nur der Kultursenator
       Klaus Lederer trotzt dem Schneefall barhäuptig.
       
       Ist Rot-Rot-Grün in Berlin so kurz nach dem Start schon am Ende? Die
       Forderung von Regierungschef Michael Müller (SPD), dass die Linkspartei den
       stasibelasteten Staatsekretär Andrej Holm (parteilos) zu entlassen habe,
       hat die Genossen kalt erwischt. „Wir müssen in der Koalition beraten“,
       wiegelt Lederer ab.
       
       Aber was soll er auch sagen? Dass Rot-Rot-Grün in Berlin einen
       katastrophalen Fehlstart hingelegt hat? Dass die drei Parteien, von denen
       man sich im Bund eine Alternative zur Großen Koalition erhofft, in Berlin
       mehr mit sich selbst beschäftigt sind als damit, den ambitionierten
       Koalitionsvertrag in die Praxis umzusetzen?
       
       Der Fall Holm hat gezeigt, dass vor allem die SPD mit ihrem
       Koalitionslatein am Ende ist. Bereits im Dezember wollte der Regierende
       Bürgermeister die Causa Holm abräumen. Das war, nachdem herausgekommen war,
       dass Holm seine hauptamtliche Tätigkeit bei der Stasi verschwiegen hatte,
       als er sich 2005 um eine Stelle an der Berliner Humboldt-Universität
       beworben hatte.
       
       ## Müller will Holm entlassen
       
       Doch die Linke wollte sich dem Druck damals nicht beugen. Müller blieb
       nichts anderes übrig, als sich auf einen Kompromiss einzulassen. Man wolle
       abwarten, wie die Universität sich zum Fall Holm äußerte. Statt selbst eine
       politische Entscheidung zu treffen, wollte sich Rot-Rot-Grün hinter einer
       arbeitsrechtlichen Bewertung verstecken.
       
       Als nun führende Linke – und auch Holm selbst – in der vergangenen Woche
       exakt jenen Kompromiss kritisierten, platzte Müller der Kragen. „Andrej
       Holm hat in den letzten Wochen Gelegenheit gehabt, sich und seinen Umgang
       mit der eigenen Biografie zu überprüfen und zu entscheiden, ob er ein hohes
       politisches Staatsamt ausfüllen kann“, erklärte der Regierende am Samstag
       und betonte. „Seine Interviews und Aussagen in dieser Frage zeigen mir,
       dass er zu dieser Selbstprüfung und den dazugehörigen Rückschlüssen nicht
       ausreichend in der Lage ist.“ Lompscher solle Holm entlassen.
       
       Die Berliner Linkspartei reagiert konsterniert. Zunächst heißt es, Holm
       werde einer Entlassung durch seinen Rücktritt zuvorkommen. Später
       verbreiten Fraktions- und Parteispitze ein Statement, in dem es hieß: Die
       Erklärung, laut der die SPD versuche, die anderen Koalitionspartner über
       die Öffentlichkeit zu Entscheidungen zu zwingen, „erschwert die Suche nach
       gemeinsamen Lösungen“.
       
       Am Abend spicht schließlich der linke Kultursenator Lederer von einer
       „schwierigen Situation“: „Wir sind ja eigentlich vor die Frage gestellt,
       uns entweder für die Personalie Andrej Holm oder für R2G zu entscheiden.“
       
       ## Am seidenen Faden
       
       Müsste Senatorin Lompscher Holm entlassen, hätte sie auch jene 15.000
       Unterstützer Holms brüskiert, deren Unterschriften am Donnerstag vor dem
       Berliner Abgeordnetenhaus übergeben wurden.
       
       Tritt Holm nicht zurück und weigert sich Lompscher, ihn zu entlassen, wird
       am Dienstag der Senat mit den Stimmen von SPD und Grünen Holm abberufen.
       Rot-Rot-Grün hinge dann am seidenen Faden.
       
       Ein Menetekel für das Bündnis auf Bundesebene? Die Parteiführung schweigt
       dazu, ohnehin sind die demoskopischen Aussichten für ein solches Bündnis
       derzeit schlecht und die Linke ist „irritiert“ über die Flirts von SPD-Chef
       Sigmar Gabriel mit der FDP.
       
       Auch die Verantwortung für die Regierungskrise in Berlin schiebt die
       Bundespartei nun den Sozialdemokraten zu: „Die Aussagen von Müller zu
       Andrej Holm sind eher Ausdruck dafür, dass die Berliner SPD intern
       zerstritten ist“, teilt Parteichefin Katja Kipping mit.
       
       Doch selbst in der Berliner Linkspartei herrscht die Ansicht, dass man
       nicht ganz unschuldig am jetzigen Dilemma ist. „Wir hätten uns besser
       vorbereiten müssen“, sagt Landeschefin Schubert im Schneewirbel. „Wir haben
       nicht mit so viel Ablehnung und Hass gerechnet.“
       
       ## An Holm soll es nicht scheitern
       
       Auch mancher an der Basis in Berlin-Friedrichsfelde findet, dass die Linke
       es mit verbockt hat. „Bevor er aufgestellt wird, hätte man eben alles auf
       den Tisch packen müssen“, sagt ein Parteimitglied mit, wie er sagt,
       „Opferakte“.
       
       Obwohl der Mann es ungerecht findet, dass nun alle auf Holms
       Stasivergangenheit herumhacken, ist er auch der Meinung: „Rot-Rot-Grün hat
       noch so viel vor. An Holm sollte man es nicht scheitern lassen.“ Und Holm
       selbst? Schweigt und hat sein Handy ausgeschaltet.
       
       Aber auch für den Fall, dass sich irgendwann der Rauch um den Fall Holm
       verzieht, ist Rot-Rot-Grün noch lange nicht auf Kurs. Die Opposition greift
       den Senat scharf an. Der Vorwurf: Mit Klientelpolitik wird versucht die
       eigene Wählerschaft ruhig zu halten: „Sie werden mit Unisex-Toiletten im
       Kampf gegen den Terror nicht bestehen“, so CDU-Fraktionschef Florian Graf.
       
       Selbst in den Reihen der SPD gibt es diese Kritik. Fraktionschef Raed Saleh
       attackierte am Donnerstag einen Kompromiss zur inneren Sicherheit. In der
       Umgebung des Regierenden Bürgermeisters Müller hieß es dazu, Saleh habe
       „eine rote Linie überschritten“.
       
       Müller muss also zwei Konflikte bewältigen. Gut möglich, dass er sich dafür
       entschieden hat, bei Holm klare Kante zu zeigen, und der Opposition im
       Berliner Parlament zu zeigen, dass er noch handlungsfähig ist.
       
       Selbst wenn ihm dies gelingen sollte, ist Rot-Rot-Grün noch lange kein
       Erfolgsmodell. Denn eigentlich muss man in Berlin von Rot-Rot-Rot-Grün
       sprechen. Zwei Sozialdemokraten, die im ewigen Machtkampf stehen, dazu eine
       Linke, die unter Druck steht und nicht weichen will, und eine grüne Partei,
       von der die Berliner SPD einst glaubte, sie wäre der viel schwierigere
       Koalitionspartner als die Linke.
       
       15 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
   DIR Uwe Rada
       
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