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       # taz.de -- Über Rassismus reden: Der Sprache ist zu misstrauen
       
       > „Political Correctness“ soll schuld daran sein, dass die Rechten
       > triumphieren. Dabei galt es mal als links, Bestehendes infragezustellen.
       
   IMG Bild: Man muss schon noch den Mund aufmachen dürfen
       
       Keine Ahnung, ob ich befugt bin, über Rassismus zu sprechen. Ich musste
       mich noch nie als Opfer irgendeiner Form von Diskriminierung fühlen – trotz
       unverkennbarer Obesität. Auch versuche ich, den Gebrauch sexistischer und
       xenophober Denkmuster zu vermeiden. Von daher fehlt mir jede Erfahrung. Und
       schweigen sei klüger und philosophischer – so sagt man. Denn ohne Sprache
       kein Rassismus, selbst wenn er sich mit roher Gewalt artikuliert. „Rasse“
       gibt es nur als sprachliches Konzept. Jenseits von Sprache sind weder
       Fremde noch Feindlichkeit überhaupt denkbar. Also läuft nur, wer schweigt,
       nicht Gefahr, rassistisch zu reden.
       
       Derzeit scheint es aber, als mache sich in besonderem Maße des Rassismus
       schuldig, wer diesen kritisiert. So gilt nicht etwa der grassierende
       Rassismus als Ursache dafür, dass mit Donald Trump ein bekennender Rassist
       und Chauvinist Präsident der USA wird. Nein, die Gegenseite soll zu
       penetrant eine diskriminierungsarme Sprache eingefordert haben – die als
       „Political Correctness“ diffamiert wird.
       
       „Political Correctness“, dieser Ausdruck wurde schon im 18. Jahrhundert
       [1][vom Supreme Court geprägt]. Doch populär wurde der Begriff erst ab den
       1970er Jahren. Seither habe es „nur Kampagnen gegen die sogenannte
       Political Correctess gegeben“, [2][schrieb die Publizistin Moira Weigel
       kürzlich im Guardian]. Es sei in den vergangenen 25 Jahren eine
       Lieblingstaktik der Rechten gewesen, mithilfe dieses Mythos einen vagen und
       sich stets wandelnden Feind zu beschwören. In Deutschland gilt das in noch
       stärkerem Maße. Hier war der Ausdruck stets nur Kampfbegriff der Reaktion,
       eine Diffamierung von Rücksichtnahme auf Minderheiten und Schwächere.
       
       Daher befremdet es, zu sehen, wie er nun auch in die Rhetorik von SPD und
       Grünen Einzug hält. Diese Parteien hatten bis dato Wert darauf gelegt, wenn
       schon nicht als links, so doch wenigstens als emanzipatorisch zu gelten.
       Damit ist offenbar Schluss: „Wir dürfen es mit der Political Correctness
       nicht übertreiben“, sagte etwa der Star-Grüne Winfried Kretschmann.
       Polizeiliche Kriminalstatistiken verzeichnen eine Zunahme
       fremdenfeindlicher Gewalttaten, die Mitte-Studie eine Zunahme rassistischer
       Einstellungen in Deutschland.
       
       ## Belege eher als Anekdoten
       
       Doch die Belege für eine angeblich maßlose Political Correctness, die alle
       Leute ständig zwingt, ihren befreienden Rassismus bei sich zu behalten,
       verlieren sich im Anekdotischen. Meist beklagen sich männliche Professoren
       jenseits der 50, dass eines ihrer Seminare von Antira- oder
       LBGT-Aktivist_innen gestört wurde, mit denen zu diskutieren sie sich
       nicht getraut hätten. [3][„Wir werden eingeschüchtert“], heißt es dann.
       Political Correctness kommt nur als Karikatur vor; als Zerrbild von
       Diskursen, die versuchen, die Mehrheitssprache zu kritisieren und die
       Gewalt und autoritäre Struktur der Mehrheitskultur anzugreifen. Der Streit
       für eine menschliche Sprache wird zum Witz, spiegelt man ihn nur in seinen
       exzessiven Kämpfen um einzelne Wörter oder einem Kantinenstreit in einem
       US-amerikanischen Elitecollege.
       
       Es geht nicht darum, ob der Studierende, der ein original vietnamesisches
       Softbaguette für sein BanhMi fordert, kulinarisch im Recht ist oder ob auch
       durch und durch rassistische, antisemitische Literatur wie der „Merchant of
       Venice“ oder „Othello“ ein bedeutendes Werk ist. [4][Es geht um das Recht,
       das infrage zu stellen, was einem vorgesetzt wird.] Darum, die sprachlich
       strukturierte Welt verändern zu können. Das ist ein linkes, wenn nicht
       sogar das linke Projekt.
       
       Maßlos scheint vor diesem Hintergrund nicht der wie auch immer kurios
       argumentierende Protest gegen ein Mensaessen, sondern dass ihm die New York
       Times einen großen Artikel widmet – der wiederum weltweit aufgegriffen
       wird: In Hunderten Artikeln belegt dieser singuläre Protest an einem
       kleinen Elitecollege, dass sie es mit der Political Correctness, dem
       Antirassismus und der Kritik an kultureller Aneignung in den USA
       übertreiben.
       
       „Die Sprache als Performanz aller Rede ist weder reaktionär noch
       progressiv“, hatte der französische Sprachphilosoph Roland Barthes vor 40
       Jahren konstatiert, „sie ist ganz einfach faschistisch.“ Das ist sicher
       eine böse Pointe und hoffentlich eine Übertreibung: Wer das glaubt, dem
       bleibt nur die Wahl zwischen Faschismus und der Sprachlosigkeit der
       Subalternen. In seiner haltlos-romantischen Ironie macht Barthes’ Diktum
       das Dilemma deutlich: Der Sprache ist zu misstrauen. Noch jedes Gute lässt
       sich durch einen einzigen Handgriff zum Übel machen. Jeder Wunsch nach
       sozialer Gerechtigkeit kann als Neid, jede Forderung nach Selbstbestimmung
       als nationalistisch, jegliche Solidarität als paternalistisch betrachtet
       werden.
       
       ## Emanzipation durch Sprache
       
       Jemanden der Lächerlichkeit preiszugeben war schon früher ein sehr
       wirksames Mittel der Zurechtweisung für ein die Norm störendes Verhalten.
       Der demütigende Charakter dieser Maßnahme hilft, nicht nur die sprachliche
       Ordnung wiederherzustellen, sondern sie zugleich zu stabilisieren. Und
       trotzdem: Es gibt historische Hinweise darauf, dass Versuche der
       Emanzipation durch Sprache Erfolg haben können – trotz heftiger
       Verspottung. Im 17. Jahrhundert wurden Frauen, die sich nicht nur als
       Fickfleisch auf dem Heiratsmarkt verstanden wissen wollten, als „Preziöse“
       geschmäht. In ihren Salons forcierten sie die Ausbildung von Medien zum
       Ausdruck von Gefühlen und zur Darstellung von Intimität. Die Männerwelt des
       Hofs hat das schwer verstört. In seiner Farce „Les Précieuses Ridicules“
       (1659) lässt es Molière witzig erscheinen, dass seine Figuren Cathos und
       Madeleine auf einem Mindestmaß an dialogischer Anbahnung beharren, statt
       sofort in die arrangierte Ehe einzuwilligen.
       
       Am Schluss des Stücks weiß der Mann sich nur durch Prügel durchzusetzen.
       Wer schlägt, siegt – aber nur vorläufig. Den langfristigeren Einfluss auf
       Gesellschaft, Literatur und Auswirkungen sogar in die tiefen Strukturen der
       Sprache hinein aber hatten am Ende die Preziösen. Wichtiger aber als der
       Sieg einer Sprecherinnengruppe ist der Weg dorthin: der Versuch, Sprache
       durch Sprache hassfrei zu gestalten, sie brüchig zu machen. Dabei geht es
       weniger um Tabuisierung des einzelnen Ausdrucks als ums Prinzip: [5][„Die
       PC-Norm fördert den freien Ausdruck von Ideen eher, als ihn zu behindern“,
       schlussfolgert etwa die ForscherInnengruppe um Jack Goncalo, Professor für
       Organizational Behavior an der Cornell University, New York.]
       
       Die Freiheit wächst durch Regeln des verträglichen Umgangs. Das gilt
       allerdings nur in heterogenen Gruppen. Wer Freiheit des Gedankens nur für
       sich und die will, die er für Gleichgesinnte hält, dem ist durch Political
       Correctness nicht zu helfen. Aber auch nicht ohne sie.
       
       18 Jan 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://supreme.justia.com/cases/federal/us/2/419/case.html
   DIR [2] https://www.theguardian.com/us-news/2016/nov/30/political-correctness-how-the-right-invented-phantom-enemy-donald-trump
   DIR [3] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/politische-korrektheit-bedroht-die-freie-rede-13994595.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
   DIR [4] /Ueber-Rassismus-reden/!5353892
   DIR [5] http://digitalcommons.ilr.cornell.edu/articles/910/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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