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       # taz.de -- Bühnenfassung „Auerhaus“: Man hängt herum in der Küche
       
       > Die Uraufführung von Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ am Düsseldorfer
       > Schauspiel bleibt nah am Text. Sie wird dafür gefeiert – völlig zu Recht.
       
   IMG Bild: Die Generation der Best-Ager erkennt sich mühelos in der Geschichte, die in den 1980er Jahren in einem schwäbischen Dorf spielt
       
       Wilfried Schulz hat ein Näschen für gute Stoffe: 2011 sicherte sich der
       damalige Intendant des Dresdner Staatsschauspiels die Uraufführung von
       „Tschick“ nach Wolfgang Herrndorfs Bestseller. Robert Koall besorgte die
       Bühnenadaption, seitdem hält sich „Tschick“ auf den Spielplänen.
       
       Inzwischen ist Wilfried Schulz Intendant am Düsseldorfer Schauspielhaus,
       und nun hat er wieder als Erster zugeschlagen: Der Roman „Auerhaus“ von Bov
       Bjerg, ebenfalls Bestseller der Kategorie „Coming of Age“, und wiederum hat
       Robert Koall dessen Bühnenfassung besorgt, deren Uraufführung im
       Düsseldorfer „Central“ nun einhellig gefeiert wurde.
       
       Schon die Tatsache, dass Schulz mit Kampfgeist ein Stück an Land zog, um
       das viele rangelten – bis Ende Mai kommt „Auerhaus“ auch in Wiesbaden,
       Augsburg, Hannover, Dresden, Darmstadt und Berlin heraus –, sollte die
       Düsseldorfer Lokalpolitik stolz machen auf ihren tapferen Intendanten. Denn
       Schulz ist alles andere als auf Rosen gebettet in der reichen
       Landeshauptstadt, denn er muss um Existenz und Standort ringen.
       
       Schulz musste nicht nur gleich zum Amtsantritt im Herbst aus dem Stammhaus
       am Gustav-Gründgens-Platz aus- und in die Ersatzspielstätte in finsterster
       Bahnhofsgegend umziehen. Er musste auch erleben, wie der sportverliebte OB
       Thomas Geisel (SPD) infrage stellte, ob die Sanierung des Stammhauses nicht
       viel zu teuer sei und der Bau nicht besser abgerissen oder als
       Konferenzzentrum zu nutzen sei. Seine beiläufig geäußerten Bemerkungen in
       Trump’scher Twitter-Manier bemäntelt Geisel, der lieber Millionen in einen
       albernen Tour-de-France-Umweg über das Dorf an der Düssel steckt, genannt
       „Grand Départ“ mit dem Universalargument, es dürfe keine Denkverbote geben.
       
       ## Herrlich retro
       
       In dieser populistisch vergifteten Atmosphäre muss Schulz nun Programm und
       Quote machen. Mit „Auerhaus“ kann er nun einen Erfolg einfahren. Ob sich
       das Stück allerdings so festbeißen wird wie „Tschick“, ist schwer
       vorstellbar. Denn „Auerhaus“ ist zwar ein atmosphärisch dichtes, lakonisch
       sprechendes Stück über die Jugend. Es ist aber zugleich auch herrlich
       retro. Die Generation der Best-Ager erkennt sich mühelos in der Geschichte,
       die in den 1980er Jahren in einem schwäbischen Dorf spielt. Aber wird sich
       auch die Generation Facebook in „Auerhaus“ wiederfinden?
       
       Bjergs Roman erzählt weitgehend chronologisch aus der Sicht des
       Ich-Erzählers Höppner die Geschichte einer Gruppe „randständiger
       Jugendlicher“ kurz vor dem Abitur. Frieder unternimmt einen Suizidversuch,
       in der Psychiatrie rät man ihm, zu Hause auszuziehen. Gemeinsam mit Höppner
       bezieht Frieder ein leer stehendes altes Haus der Familie, weitere vier
       Außenseiter – der drogenerfahrene Harry, die Brandstifterin Pauline, die
       ehrgeizige Cäcilia und die klauende Vera – gesellen sich hinzu. In einer
       schwäbelnden Verballhornung des Hitsongs „Our House“ von Madness, der in
       der Küche pausenlos läuft, nennen alle die WG „Auerhaus“.
       
       Man hängt herum in der Küche, raucht, kocht, redet über alles und nichts.
       Die Kasse ist knapp, die Truppe klaut sich den Kühlschrankinhalt
       systematisch zusammen. Harry baut gigantische Joints, die Stimmung kippt
       ins Anarchische, Frieder fällt den Weihnachtsbaum auf dem Dorfplatz, später
       brettern sie mit Harrys Auto nachts durchs Dorf und Frieder bedroht die
       Bullen mit einer Spielzeugwaffe.
       
       ## Melancholie und Verzweiflung
       
       Das geht fast ins Auge, wie überhaupt Witz und Party immer durchsetzt sind
       von Melancholie und Verzweiflung. Am Ende bricht die WG auseinander,
       Frieder bringt sich tatsächlich um, und der Rest der Truppe lebt vermutlich
       doch nach der Formel „birth – school – work – death“, zu der sie im
       „Auerhaus“ nach einer Alternative suchte.
       
       Roberts Koalls Bühnenfassung bleibt eng an Bjergs Vorlage. Höppner (Kilian
       Land) gibt als Erzähler manchen Text sogar mit einem „sagte er“ weiter an
       die anderen, die – bis auf Harry – ihren Rollen treu bleiben.
       
       Robert Gerloff inszeniert schnörkellos am Text entlang, gönnt sich
       allenfalls ein paar Ausflüge in choreografierte Musiknummern und surreale
       Vergrößerungen, Maximilian Lindner hat mit Laub auf dem Boden, einem alten
       Golf und ein bisschen Sperrmüllmobiliar einen Raum zwischen drinnen und
       draußen geschaffen, der das Unbehauste der Auerhäusler sinnfällig macht.
       Die Regie setzt nicht auf laute Effekte, sondern eher auf die leise
       Verzweiflung des Stoffs.
       
       Das ist wenig spektakulär, aber ganz nah dran an Bjergs melancholischer
       Lakonie.
       
       10 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Regine Müller
       
       ## TAGS
       
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