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       # taz.de -- Neue Biografie über Johnny Cash: Der Mann in Schwarz
       
       > In Nordirland ruhten 1979 seinetwegen die Waffen: Robert Hilburns
       > Lebensgeschichte über Johnny Cash, die Ikone des US-Country.
       
   IMG Bild: War kein Schwarz-Weiß-Denker: der Musiker Johnny Cash
       
       Johnny Cash war ein Künstler mit vielen Facetten, aber nur einem Gesicht.
       Egal, ob angriffslustig und leicht verknautscht zu Beginn seiner
       beispiellosen Karriere in den 1950er Jahren, eingefallen und fahl während
       der Sechziger, als Amphetamine sein Leben bestimmten, oder von Schmerzen
       gezeichnet in den letzten Lebensjahren: Es war Sinnbild für die
       unkorrumpierbare Haltung des größten Country-Sängers, den es jemals gab.
       
       Eine Tatsache, für die dem 2003 verstorbenen Musiker, der 1980 im Alter von
       48 Jahren als jüngster lebender Künstler in die Country Music Hall of Fame
       aufgenommen wurde, noch heute weltweit Respekt gezollt wird.
       
       In Nordirland war der sogar so groß, dass während des Bürgerkriegs 1979 ein
       Waffenstillstand ausgerufen wurde, damit sein Konzert in einer Kirche in
       Belfast stattfinden konnte. „Führende Persönlichkeiten der rivalisierenden
       Fraktionen saßen in den Kirchenbänken, nur durch den Mittelgang getrennt“,
       schreibt der renommierte US-amerikanische Musikkritiker Robert Hilburn in
       seiner breit angelegten Biografie über Johnny Cash.
       
       Hilburns Bericht fußt auf zahlreichen Interviews mit Cash, seiner gesamten
       Familie, Mitgliedern seiner Band The Tennessee Three und Weggefährten wie
       Kris Kristofferson. Hinzu kommt ein ganzer Handapparat einschlägiger Cash-
       und Musikliteratur und Zeitungsartikel. Sachlich erzählt er von Cashs
       bettelarmer Kindheit im ländlichen Arkansas, wo die Grundsteine für Cashs
       Liebe zur Musik, seinen tiefen Glauben und ein ausgeprägtes
       Gerechtigkeitsgefühl gelegt wurden.
       
       ## Eine Art Prediger
       
       Der junge J. R., wie Cash eigentlich hieß, sang gern, ob gegen die Angst
       auf der dunklen nächtlichen Landstraße oder im Dienst Gottes in der
       örtlichen Baptistengemeinde, hörte obsessiv Radio, in dem zumeist Country,
       R&B oder Gospelmusik zu hören war, und brachte sich selbst das
       Gitarrenspiel bei.
       
       Der frühe Unfalltod seines älteren Bruders Jack, für den sein Vater ihn
       mitverantwortlich machte, und der Wunsch, die Anerkennung seines Vaters zu
       bekommen, werden von Hilburn als Motoren für Johnny Cashs Schaffen
       angeführt, was er sich gegen Ende der Biografie von einem Psychiater noch
       einmal bestätigen lässt. Dem Bruder, der sich eine Karriere als Prediger
       vorstellte, huldigte Cash, in dem er selbst zu einer Art Prediger wurde,
       sein enormes Talent als Entertainer und Geschichtenerzähler setzte er dabei
       zielgerichtet ein.
       
       Alle Befragten berichten von Cashs elektrisierendem Charisma, das das
       Publikum bei Konzerten fesselte und den Fans das Gefühl vermittelte, etwas
       Besonderes zu sein. Egal welchen Themas sich Cash in seinen mehr als 500
       selbstkomponierten oder den unzähligen gecoverten Songs annahm, seien es
       die Beschreibungen des harten Alltags von Farmarbeitern, sozialer
       Ungerechtigkeit oder menschlicher Verfehlungen – er wirkte glaubhaft.
       
       Cashs Verständnis für die Gefühlswelt von Gefängnisinsassen führt Hilburn
       nicht nur auf Cashs Kurzaufenthalte in Gefängnissen zurück – die er etwa in
       Mexiko wegen des Schmuggels unglaublicher Mengen von Speed antreten musste.
       Während seiner Militärzeit in Landsberg am Lech in den frühen 50er Jahren
       war Cash in seiner Funktion beim Abhören sowjetischer Funksignale oft
       tagelang von der Außenwelt abgeschnitten und fühlte sich laut eigener
       Angaben eingesperrt.
       
       ## Die Welt durch Musik besser machen
       
       Redundanzen, wie die fast mantrische Erwähnung von Cashs Glauben und seinem
       Willen, Gutes zu bewirken, der Unterstützung der sogenannten Kreuzzüge des
       Erweckungspredigers Billy Graham und die akribische Auflistung der
       Chart-Platzierungen machen die Lektüre bisweilen etwas langatmig.
       
       Hilburn trägt der von allen Befragten geteilten Meinung Rechnung, dass Cash
       „etwas zu sagen hatte“, in dem er viele Songtexte zitiert, die in Englisch
       und in griffiger deutscher Übersetzung – im Gegensatz zum mitunter etwas
       hölzernen Fließtext, in dem Übertragungen wie „Kaukasier“ anstatt schlicht
       „Weißer“ für caucasian verwundern – abgedruckt sind. „Es war wie bei Woodie
       Guthrie; er sprach über Menschlichkeit und Menschenrechte. Er war einer,
       der glaubte, er könne die Welt durch seine Musik besser machen“, sagte Kris
       Kristofferson über Cash.
       
       Bedauerlicherweise hält sich der Musikjournalist – er war bis 2005
       langjähriger Musikredakteur der Los Angeles Times – ausgerechnet bei der
       Beschreibung von Cashs Musik zurück. Tut er es einmal nicht – etwa bei
       „Ring of Fire“ –, wirkt der Text ungleich lebendiger. Wie auch bei seiner
       Schilderung des legendären Konzerts 1968 im Folsom Prison, bei dem Hilburn
       als einziger Musikjournalist dabei war.
       
       Hilburn streicht heraus, dass Cash eine Haltung hatte, Ungerechtigkeiten
       anprangerte – wie auf dem Konzeptalbum „Bitter Tears – Ballads of the
       American Indian“ –, sich aber nie parteipolitisch vereinnahmen ließ. So
       verwies er sowohl auf das Leid der GIs in Vietnam als auch der
       Einheimischen, das er bei Konzertreisen ins Kriegsgebiet gesehen hatte,
       positionierte sich aber nicht eindeutig gegen den Krieg. Er folgte sogar
       der Einladung US-Präsident Nixons, im Weißen Haus ein Konzert zu spielen –
       und fand endlich die Genugtuung, dass sein Vater stolz auf seinen Sohn
       wirkte, als Nixon sich mit ihm fotografieren ließ.
       
       ## Zerstörerische Kraft der Tabletten
       
       Er lud schwarze Kollegen wie Ray Charles und Louis Armstrong in seine von
       1969 bis 1971 im TV ausgestrahlte „Johnny Cash Show“ ein und setzte so ein
       Zeichen gegen den Rassismus im Süden der USA, aber auch in der
       Country-Szene.
       
       Johnny Cash vermochte es, mit seiner Musik Junge wie Alte gleichermaßen in
       den Bann zu ziehen, ob gebildet oder nicht, ob vom Land oder aus der Stadt,
       war offen für andere Musikstile wie Folk oder Rock ’n’ Roll. Der
       Versuchung, eine ungebrochene Lobrede auf Cash zu halten, erliegt Hilburn
       dennoch nicht. Er erwähnt die zerstörerische Kraft von Cashs
       Tablettenabhängigkeit und moniert allzu eilige Veröffentlichungen, die Cash
       – im Gegensatz zu seinem Freund Bob Dylan – fragwürdige künstlerische
       Entscheidungen treffen ließ. Aber Cash hatte monatlich die Gehälter von bis
       zu 30 Angestellten zu zahlen.
       
       Dass Johnny Cash nicht das Bild des abgehalfterten Stars, der nicht
       abtreten kann, nachhängt, ist dem Produzenten Rick Rubin zu verdanken, auf
       dessen American-Recordings-Reihe Johnny Cash sparsam instrumentiert und mit
       bereits brüchiger Stimme alte und neue Songs meisterlich interpretiert.
       Diesem würdevollen Vermächtnis trägt Hilburn respektvoll Rechnung.
       
       20 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sylvia Prahl
       
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