URI: 
       # taz.de -- Studenten besetzen Berliner Uni: Ganz nach Holms Lehre
       
       > Aus Protest gegen die Entlassung Andrej Holms haben StudentInnen das
       > Insitut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität besetzt. Sie
       > wollen bleiben.
       
   IMG Bild: Halten zu ihrem Dozenten: StudentInnen der sozialwissenschaftlichen Fakultät
       
       Die Luft ist erfüllt von Stimmengewirr, junge Menschen wuseln durch die
       Räume oder sitzen in kleinen Gruppen zusammen: In den Räumen des Instituts
       für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität herrscht rege
       Betriebsamkeit am Donnerstagvormittag, obwohl hier heute kein einziges
       reguläres Seminar stattfindet.
       
       Soeben haben die StudentInnen auf ihrer morgendlichen Vollversammlung
       beschlossen, die am Mittwoch begonnene Besetzung der Institutsräume nicht
       wie zunächst geplant am Freitag zu beenden, sondern unbefristet
       fortzusetzen. Jetzt ist Arbeitsatmosphäre ausgebrochen: Eine junge Frau
       bahnt sich mit einem Putzeimer in der Hand den Weg durch eine Gruppe, die
       gerade den Raumplan diskutiert, vorbei an einem Studenten auf der Suche
       nach dem Treffen der Presse-AG ist. Daneben versuchen zwei
       Erasmus-Studenten zu verstehen, warum ihr Seminar heute ausfällt.
       
       Ein Plakat verkündet das bisher erarbeitete Programm der Uni von unten, wie
       die StudentInnen ihre Initiative nennen: Heute gibt es interne Workshops,
       Klassiker wie die „Einführung in den Marxismus“ inklusive. Für die nächsten
       Tage hat die Programm-AG – eine Gruppe konzentrierter Menschen, die in
       einer Ecke um ihre Laptops herumsitzen – dann Größeres vor: Sie will
       stadtpolitische Initiativen wie Bizim Kiez oder Kotti & Co dafür gewinnen,
       in den Räumen des besetzten Instituts öffentliche Veranstaltungen
       anzubieten, Podiumsdiskussionen und Vorträge werden gerade organisiert.
       
       ## Klassisches Mittel
       
       „Hä??!? Wer ist Holm und warum sind wir hier“ heißt eine für 14 Uhr
       geplante Veranstaltung. Das klingt naiv, sagt aber auch etwas über die
       Besetzung aus: Längst geht es nicht mehr nur um die Entlassung Andrej
       Holms, die die Humboldt-Uni am Mittwoch verkündet hatte. Es gibt hier
       Studenten wie Jan, der Holm als Dozenten kannte und sagt, er sei vor allem
       hier, weil Holm die StudentInnen „auf Augenhöhe behandelt“ habe, und, noch
       einfacher: „Weil er so nett war.“ Es gibt aber auch StudentInnen, die nie
       bei Holm Seminare belegt haben, die von anderen Instituten oder sogar
       anderen Unis kommen. „Mir geht es um die Verdrängung kritischer Lehre
       insgesamt“, sagt Laura, die eigentlich an der Freien Universität (FU)
       studiert.
       
       Hörsaal- und Institutsbesetzungen sind ein klassisches Mittel studentischer
       Proteste, die letzten vergleichbaren Aktionen sind in Berlin aber eine
       Weile her: Im Wintersemester 2009/2010 wurden aus Protest gegen die
       Umsetzung der Bologna-Reform wochenlang Hörsäle besetzt. Bologna kam
       trotzdem, die Rahmenbedingungen für studentischen Protest haben sich
       seitdem deutlich verschlechtert: Wer um seine Credit Points fürchten muss,
       weil er auf der Anwesenheitsliste im Seminar fehlt, überlegt sich die Nacht
       im Hörsaal lieber zwei Mal.
       
       Dass es nicht mehr nur um Holm geht bei dieser Besetzung, verdeutlichen
       auch die Forderungen der Protestierenden, die in ihrer Mischung aus
       Radikalität und Pragmatismus gut zu dieser Besetzung passen, bei der ein
       Angehöriger der aussterbenden Spezies Punk mit Hund neben einer Studentin
       mit Perlenohrringen sitzt, die auf der Tastatur ihres MacBooks
       herumklappert: Man fordert erstens: eine Rücknahme der Entlassung Holms und
       zweitens – „wenn das nicht möglich ist“ – die Schaffung einer neuen,
       unbefristeten Stelle an seinem Lehrbereich.
       
       Gleichzeitig ist es kein Zufall, dass der Protest sich ausgerechnet an
       diesem Fall entzündet. Denn tatsächlich ist seine Entlassung für die vielen
       linken StudentInnen am Institut ein schwerer Schlag. Ein linker, kritischer
       Wissenschaftler, dessen Stelle mit einer unbefristeten Festanstellung
       gesichert ist – das ist auch an den traditionell linken sozial- und
       geisteswissenschaftlichen Instituten der Berliner Unis selten geworden.
       Viele linke DozentInnen versuchen, sich mit schlecht bezahlten
       Lehraufträgen über Wasser zu halten und verlassen die Uni, wenn sich ihnen
       weniger prekäre Perspektiven eröffnen, das wiederum hinterlässt inhaltliche
       Lücken im Vorlesungsverzeichnis.
       
       Dass bei Unibesetzungen die Polizei eingeschaltet wird, ist unüblich – als
       das Präsidium der FU 2011 bei dem letzten kurzen Aufflackern studentischer
       Proteste schon nach wenigen Stunden räumen ließ, hagelte es Protest. Auch
       jetzt scheint es zumindest in Teilen der Universität Toleranz gegenüber den
       BesetzerInnen zu geben: „Wir räumen nicht. Das ist eine normale Protestform
       von Studierenden“, hatte die Institutsleiterin Julia von Blumenthal am
       Mittwoch gesagt. Da hatten die StudentInnen allerdings auch noch
       angekündigt, die Uni am Freitag freiwillig wieder zu verlassen – am
       Donnerstag war die Dekanin bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.
       
       19 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malene Gürgen
   DIR Lisbeth Schröder
       
       ## TAGS
       
   DIR Andrej Holm
   DIR Humboldt-Universität
   DIR Besetzung
   DIR Andrej Holm
   DIR Freie Universität Berlin
   DIR Freie Universität Berlin
   DIR Freie Universität Berlin
   DIR Humboldt-Universität
   DIR Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
   DIR Katrin Lompscher
   DIR Lesestück Interview
   DIR Andrej Holm
   DIR Die Linke Berlin
   DIR Katrin Lompscher
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Protest für André Holm: HU-Besetzer*innen vor Gericht
       
       2017 besetzten Studierende das sozialwissenschaftliche Institut der
       Humboldt-Uni. Jetzt wurde das Verfahren gegen drei von ihnen eingestellt.
       
   DIR Besetzung an der FU Berlin: Protest unerwünscht
       
       Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage versuchen Studierende der FU, einen
       Hörsaal zu besetzen. Und wieder rückt ein Großaufgebot der Polizei an.
       
   DIR Besetzung an der Freien Uni Berlin: Rückzug statt Räumung
       
       Die Besetzer*innen an der Freien Universität haben sich freiwillig
       zurückgezogen, weil die Uni räumen lassen wollte. Ihr Protest geht aber
       weiter.
       
   DIR Hochschulpolitik in Berlin: Hörsaal an der FU besetzt
       
       Seit Dienstagmittag besetzen Aktivist*innen einen Hörsaal in der FU Berlin.
       Ihre Forderung: selbstverwaltete Freiräume.
       
   DIR Besetzung an der Humboldt-Uni in Berlin: Nachtschicht für eine bessere Uni
       
       Seit der Entlassung von Andrej Holm vor drei Wochen wird am Institut für
       Sozialwissenschaften protestiert. Doch wofür? Die taz hat dort eine Nacht
       verbracht.
       
   DIR Kommentar Staatssekretär für Wohnen: Kein Holm, aber ein Profi
       
       Das war es mit der engen Verbindung von Politik und stadtpolitischen
       Initiativen. Mit Sebastian Scheel folgt ein Berufspolitiker. Keine
       schlechte Wahl.
       
   DIR Nachfolger für Staatssekretär gefunden: Neuer Holm mit Anzug
       
       Sebastian Scheel wird Staatssekretär für Wohnen. In Sachsen hat sich der
       Linken-Politiker einen Namen als Haushälter gemacht.
       
   DIR Runder Tisch Stadt- und Mieteninis Berlin: „Der Koalitionsvertrag reicht nicht“
       
       Rot-Rot-Grün will eine Wende in der Wohnungspolitik. Die Initiativen wollen
       mitentscheiden. Ein Gespräch über eine Neuerzählung der Stadt.
       
   DIR Universität entlässt Andrej Holm: Gegen die Verdrängung
       
       Die Präsidentin der Humboldt-Uni verkündet Holms Kündigung. Die
       Studierenden reagieren empört und besetzen ihr Institut.
       
   DIR Als Folge der Stasi-Affäre: Humboldt-Universität wirft Holm raus
       
       Die HU wirft dem geschassten Staatssekretär „arglistige Täuschung“ vor –
       und entlässt ihn. Anders wäre es gekommen, hätte er Bedauern gezeigt.
       
   DIR Nach Holms Rücktritt: Drohende Legendenbildung
       
       Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) muss nicht nur einen neuen
       Staatssekretär finden, sondern auch verhindern, dass die Initiativen in die
       Opposition gehen.