URI: 
       # taz.de -- Emikas neues Sinfonie-Album: Streicher gegen die Angst
       
       > Zwischen Dubstep und Klassik: Die britische Musikerin Emika hat ihre
       > Sinfonie „Melafonie“ per Crowdfunding finanziert.
       
   IMG Bild: Ganz der Musik verpflichtet, als Komponistin ebenso wie als DJ: die britische Musikerin Emika
       
       Das erste Wochenende des jungen Jahres: Während die meisten DJs um diese
       Zeit ihre Plattentaschen packen oder mit Managern beim Abendessen sitzen,
       zündet sich Emika auf dem Sofa ihrer Wohnung in Berlin-Friedrichshain eine
       Zigarette an. „Ach, heute ist Freitag?“ 5-Sterne-Hotels, Jetset-Leben,
       PR-Agenturen – für die englische Musikerin mit tschechischen Wurzeln ist
       das „teurer Schnickschnack“, der nichts mit ihrer Musik zu tun hat – und
       nur darum geht es ihr.
       
       Die Karriere der klassisch ausgebildeten Ema Jolly verlief geradezu
       beispiellos: Seit 2009 veröffentlicht sie zahlreiche EPs und zwei Alben auf
       dem britischen Label Ninja Tune, arbeitet mit Größen wie Berghain-Stamm-DJ
       Marcel Dettmann, wird für ihre düster-melodischen Produktionen als
       „Dubstep-Prinzessin“ gefeiert. Doch das war ihr nicht genug.
       
       „Ich wollte nicht nur Dubstep machen, ich brauche größere künstlerische
       Freiheit“, erklärt die 31-Jährige. 2013 trennt sie sich freundschaftlich
       von Ninja Tune, gründet ihr Label Emika Records und ist seither ihr eigener
       Boss. Durch Crowdfunding sammelt sie 25.000 Euro, um sich einen
       langersehnten Traum zu erfüllen: Nach vier Alben komponiert Emika eine
       eigene Sinfonie und nimmt diese mit dem Prager Metropolitan Orchestra auf.
       
       ## Seufzende Oboen, majestätische Stimmung
       
       „Nach dem Abschied von Ninja Tune erschien die Idee, ein längeres Werk zu
       komponieren, gar nicht mehr so angsteinflößend“, gesteht sie. Diese
       Ungewissheit wird zur Inspiration ihrer viersätzigen „Melanfonie“. Ein
       flirrender Streicherteppich eröffnet das Präludium „Grief“. Kurzes
       Innehalten, dann setzt der tieftraurige Sopran Michaela Šrůmovás ein,
       Emikas Muse. „I woke to find you gone“, klagt sie zerbrechlich, die Oboen
       wiederholen das Motiv wie ein seufzendes Echo.
       
       Mit dem ersten Satz „The Miracle“ kommt eine majestätische Stimmung auf.
       „Ich habe beim Komponieren über Freiheit nachgedacht. Plötzlich
       selbstständig zu sein, war ein Wunder für mich, das auch mit Angst
       verbunden war“, erklärt sie. „Letting Go“ lässt diese widersprüchlichen
       Gefühle los. Wie ein neuer Gedanke entspinnt sich das Glockenspielmotiv,
       das Pizzicato der Streicher tänzelt hinweg von den düsteren
       Eingangsgedanken. Über die Sätze „Love“ und „Destiny“ kommt Emika in der
       Coda zum erlösenden Befreiungsschlag: „Finally Free“ – sowohl persönlich
       als auch musikalisch.
       
       „Es gab die Erwartungshaltung, dass meine Sinfonie wie elektronische Musik
       klingt. Ich wollte aber etwas Neues schaffen“, erklärt sie ihre
       eigenwillige Kompositionstechnik: Statt nachträglich elektronische Effekte
       über ihre analoge Musik zu legen, komponiert Emika diese hinein und vereint
       so die beiden musikalischen Welten.
       
       Sie verteilt die einzelnen Töne eines Arpeggios auf unterschiedliche
       Streichergruppen und erzielt damit einen Delay-Effekt. Ähnlich wie bei
       elektronischen Produktionen platziert Emika die Bassgruppe in der Mitte des
       Orchesters – was die Musiker verwirrte. „Bei den Aufnahmen saßen die Flöten
       hinter den Bässen und konnten nichts mehr sehen“, erzählt sie amüsiert.
       
       ## Intime DJ-Sets statt Konzerthäuser
       
       Obwohl Emika schon auf ihrem Album „DVA“ mit einem Orchester arbeitete, ist
       die Erfahrung diesmal besonders intensiv. „Ich saß auf meiner Yogamatte im
       Control Room und hörte Musik, die ich vier Jahre lang nur in meinem Kopf
       gehört habe – da musste ich weinen. Gleichzeitig musste ich aber die
       Produzentin geben: ‚Bitte noch mal die Stelle‘, und mir dabei die Tränen
       aus den Augen wischen“, erinnert sie sich.
       
       Dass es bei „Melanfonie“ tatsächlich nur um die Musik ging, zeigt die
       bescheidene Tourplanung. Zumindest logistisch ließen sich die oft um Jahre
       im Voraus gebuchten Konzerthäuser nicht mit der Spontaneität der Popwelt in
       Einklang bringen. Doch Emika hat eine unkonventionelle Alternative parat:
       Mit DJ-Sets bei intimen Abendessen plant sie eine Tour durch die Wohnzimmer
       ihrer Fans – mit Schlafsack und Isomatte. „Ich möchte mich persönlich bei
       den Leuten bedanken, die mir Geld gespendet haben. Statt einer teuren
       Orchestertournee machen wir eben private Feiern. Das wird dem Projekt
       sowieso mehr gerecht.“
       
       18 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Laura Aha
       
       ## TAGS
       
   DIR Dubstep
   DIR Klassik
   DIR Berghain
   DIR Transgender
   DIR elektronische Musik
   DIR Deutsche Oper
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Album von Berghain-DJ Marcel Dettmann: Die eigene Faulheit überlistet
       
       Marcel Dettmann ist ein reisender DJ und Sounddesigner. Sein Album „Fear of
       Programming“ entstand, als Clubs coronabedingt geschlossen waren.
       
   DIR Webserie über Transmenschen: Therapeut YouTube
       
       In einer Webserie berichten Transmenschen von Krisen und OPs. Mit der Zeit
       wird sichtbar, wie sie Selbstbewusstsein gewinnen.
       
   DIR Festival „Loop“: Schallkanonen und Rauchpanzer
       
       Das englische Künstlerkollektiv Audint nähert sich beim Loop Festival der
       historischen Verwendung von Klang und Musik für militärische Zwecke.
       
   DIR Komplexe Rhythmen: Brandt Brauer Frick: Ach, Oper machen die jetzt auch?
       
       BBF betreten mit ihrem Album „Joy“ das Terrain experimenteller Popmusik.
       Nun vertonen sie „Gianni“ in der Tischlerei der Deutschen Oper.
       
   DIR Musik: Wenn es die ganze Woche rockt
       
       Ab heute lassen es rund 100 Bands und Künstler krachen: Die Berlin Music
       Week beginnt.