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       # taz.de -- Kohlegegnerin in der Lausitz: Protest in Tracht
       
       > Für die Sorbin Edith Penk ist ihr traditionelles Outfit genauso wichtig
       > wie ihre Weltoffenheit. Regional und global gehören zusammen.
       
   IMG Bild: Mit Schirm, Charme und Haube: Edith Penk bei der taz-Veranstaltung in Schleife
       
       Edith Penk steht da, wo sie ihren Gegnern am nächsten ist. Gefühlt
       zumindest. Ein Aussichtsturm, errichtet von Vattenfall. „Technikgeschichte
       zum Erfahren“. Ein paar Karten und Erklärtexte hängen an den Holzwänden –
       Aufklärung durch den Betreiber. Erfahren soll man hier vor allem, wie toll
       sich Vattenfall beim Braunkohleabbau um die Umwelt kümmert. Edith Penk, die
       vielleicht bekannteste Kohlegegnerin der Lausitz, kann da nur lachen.
       
       Im Hintergrund rumpelt und donnert es. Durch ein Fenster blickt man auf
       eine riesige schneebedeckte Ebene mit dunklen Streifen. Am Horizont kann
       man die Umrisse eines Kraftwerks erahnen, alles andere verschwindet hinter
       Wolkenfetzen. Wie ein Riesenkrake gleitet ein schwarzer Kran über die
       Fläche und spuckt die abgetragene Erde an den Seiten aus. „Da ist ja schon
       wieder einiges weggekommen seit dem letzten Mal. Das war früher alles
       Wald“, sagt Edith Penk und markiert einen Teil der Fläche mit dem Finger.
       
       Vor ihr liegt das zweitgrößte Braunkohleabbaugebiet Deutschlands, Nochten
       I. Betrachtet man die Oberlausitz aus der Luft, schaut man auf einen
       Flickenteppich aus grauen und braunen Flecken – Kohleabbaugebiete,
       Truppenübungsplätze, Kiesgruben. Während sie immer mehr Platz einnehmen,
       drohen die Dörfer drumherum auszusterben. Tausende Menschen mussten bereits
       umgesiedelt werden. Doch wenn es nach dem Betreiber geht, soll mit Nochten
       II schon bald das nächste Abbaugebiet kommen.
       
       Geht es nach Edith Penk, sollte man möglichst schnell aus der Kohle
       aussteigen. Und ein weiteres Abbaugebiet – undenkbar. Denn dann würde auch
       ihr Heimatort Rohne von der Landkarte verschwinden. 1.700 Menschen müssten
       umgesiedelt werden. „Wenn ich das sehe, reicht es mir schon wieder“, sagt
       die 76-Jährige und stapft durch den Schnee zurück zum Auto. Nur das gelbe
       Kreuz auf ihrer Brust erinnert an die letzte Begegnung.
       
       ## Eine Art Ikone
       
       Das war Ende November, als taz.meinland zu Besuch in Schleife war. Auch
       damals ging es um die Braunkohle. Edith Penk stand in sorbischer Tracht und
       mit dem gelben Anti-Kohle-Anstecker am Mikrofon. „138 weggebaggerte
       sorbische Dörfer sind genug“, rief sie. „Warum wird nicht unter den
       Truppenübungsplätzen gegraben? Wir wollen doch eh alle Frieden!“
       
       Eine Kampfansage. Bei den Gästen aus dem fernen Berlin hinterließ das
       Eindruck. Für die meisten im Ort war es nichts Neues. „Die ist hier eine
       Art Ikone“, sagte einer der Besucher.
       
       Man täuscht sich leicht in Edith Penk. Eine konservative
       Sittenverteidigerin der sorbischen Minderheit könnte man hinter ihrer
       Tracht vermuten. Eine, der es um die Erhaltung ihrer eigenen Kultur geht
       und die gegen alles von außen ist. Heimatverbundenheit im engsten Sinne.
       Doch für Edith Penk ist die sorbische Tracht genauso wichtig wie ihre
       Weltoffenheit.
       
       Von außen stört sie nur eine Sache: Vattenfall. Aber ihr Blick geht über
       den Tagebau hinaus. Schließlich gefährdet die Braunkohleabbau nicht nur
       ihre Heimat. „Meine Heimat ist mein Umfeld“, sagt sie. Heimat – für sie ein
       offener, ein wandelbarer Begriff. Ähnlich wie die Natur um sie herum.
       
       ## Tee und Kekse für Demonstranten
       
       Als es an Ostern letzten Jahres zu Protesten kam und Demonstranten einen
       Bagger besetzten, war Edith Penk auch vor Ort. Sie versorgte die
       Demonstranten mit Tee und Gebäck. „Wäre ich jünger, würde ich solche
       Aktionen auch noch mitmachen“, sagt sie lächelnd. Man nimmt es ihr ab.
       
       Ob sie das nicht merkwürdig findet, wenn junge Menschen aus Frankreich und
       Italien in der Lausitz gegen die Braunkohle protestieren? „Warum? Die sind
       ja auch alle vom Klimawandel betroffen. Wir stehen für die ganze Welt ein.“
       Der Erhalt regionaler Identitäten und ein globales Bewusstsein – Edith Penk
       hat verstanden, dass beides irgendwie zusammengehört. Und sie weiß das für
       sich zu nutzen.
       
       Woher ihre Offenheit kommt? „Ich wurde so erzogen“, sagt sie, „meine Eltern
       haben mit mir sorbisch gesprochen, aber wir waren immer offen.“ Vielleicht
       liegt es auch in der Natur der Sorben. Seit dem 9. Jahrhundert lebt das
       westslawische Volk in der Lausitz. Immer mussten sie sich anpassen, nie
       wehrten sie sich gegen die Herrschaft. Mehrsprachig, multikulturell,
       anpassungsfähig mit einer engen Verbundenheit an die eigene Kultur, Sprache
       und – die Natur.
       
       Aber nicht alle in der Region teilen diese Einstellung. Man will die
       Probleme selbst lösen. Ohne die Eindringlinge von außen. „Das ist oft so in
       Bauerndörfern wie hier, dass die Menschen eher verschlossen sind“, sagt
       Edith Penk. Mehrmals wurde sie schon beschimpft für ihr Engagement.
       
       ## Unterwegs im Umsiedlergebiet
       
       Im Januar sitzt sie auf dem Rücksitz eines Toyota. Am Steuer ihr Sohn
       Christian Penk, sie dirigiert: „Fahr doch mal ins Umsiedlergebiet,
       Christian.“ Der Aussichtsturm verschwindet im Rückspiegel. Am Rand des
       Abbaugebiets spaziert ein älteres Ehepaar vorbei. Edith Penk nickt ihnen
       kurz hinüber. „Das sind zwei Vattenfall-Rentner“, fügt sie trocken hinzu.
       Mehr muss sie nicht sagen. Damit ist klar: Die stehen auf der anderen
       Seite.
       
       Trebendorf. „Hier bin ich aufgewachsen“, sagt Edith Penk, während das Auto
       in das „Baugebiet Kranichweg“ einbiegt. Heute sieht man hier kaum noch alte
       Häuser. Stattdessen große, schicke Anwesen in experimentellen Farben, eine
       italienische Villa und das moderne Sportzentrum, mitfinanziert von
       Vattenfall.
       
       „So schöne Häuser, da muss man ja für die Umsiedlung sein.“ Edith Penk
       lächelt. Sie weiß, dass sie eigentlich gar keine Chance gegen die
       finanziellen Argumente von Vattenfall hat. Jahrelang sponserte der
       schwedische Energieriese die Infrastruktur ganzer Dörfer.
       
       Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird hier Braunkohle abgebaut. In den
       sechziger Jahren begann man mit den Vorbereitungen für Nochten I.
       Widerstand gab es kaum. Edith Penk ist damals Mutter von vier Kindern und
       arbeitet im Hort, später in der Schneiderstube. Der Tagebau scheint da noch
       fern.
       
       „Haltet zu eurem Wort“ 
       
       Der Wagen verlässt Trebendorf. Links von der Straße erstreckt sich das
       erweiterte Gebiet von Nochten I. Bald wird auch hier die Oberfläche
       abgetragen. Ein grüner Bagger steht vor zwei Erdlöchern, daneben ein sauber
       aufgestapelter Haufen Betonklötze. Dass hier einmal mehr als ein
       Legohäuschen stand, kann man sich kaum vorstellen. Ein Stück weiter
       zeigt Edith Penk auf eine Holzscheune. „Die haben wir mit acht Leuten
       verteidigt, sonst wäre die jetzt auch weg“, sagt sie.
       
       2003 sei sie aktiv geworden, erzählt Edith Penk. Die DDR war da bereits
       Geschichte, bis auf Christian Penk hatten alle Kinder die Heimat verlassen.
       Und der Tagebau – kam immer näher. „Als sie angefangen haben, den Urwald
       wegzubaggern, war Schluss“, sagt Edith Penk. Der Urwald Weißwasser, das war
       ein Treffpunkt für Generationen. Hier ging schon Graf Pückler auf die Jagd.
       
       Bis 2008 war der Park Naturschutzgebiet. Dann kamen die ersten Bagger.
       Pücklers Jagdschloss wurde gesprengt, auch der von ihm angelegte Märchensee
       wurde vom Erdboden verschluckt. Und mit ihm Hunderte geschützte Pflanzen.
       Vor dem Ortseingang von Mühlrose liegen einige Überreste aus dem Urwald.
       Ein Kreuz, der Jagdschlossstein und ein riesiger Baumstamm.
       
       „Bei dem Baum wolltest du auf den Waldarbeiter losgehen“, sagt Christian
       Penk und schielt lachend in den Rückspiegel zu seiner Mutter. Edith Penk
       nickt zufrieden. Teile des Dorfs wurden schon umgesiedelt. Inzwischen
       gleicht Mühlrose einer Halbinsel im Abbaugebiet. Gleich hinter dem
       Ortsschild hängt ein großes Banner an einem der Häuser: „50 Jahre war die
       Kohle unser Leben. Haltet endlich zu eurem Wort. Lasst uns zu unserem neuen
       Heimatort“.
       
       „Sie müssen mich schon wegtragen“ 
       
       In Rohne, Edith Penks Wohnort, das Gegenstück. Ein weißes Banner,
       zerschnitten, der Aufdruck ist nicht mehr lesbar. Ein gelbes
       Anti-Kohle-Kreuz ragt aus dem Loch. „Das wurde uns schon mehrmals
       kaputtgemacht“, sagt Edith Penk. Mühlrose und Rohne – zwei Orte, zwei
       Meinungen.
       
       „Die Kohle hat hier alles zerstört: die Natur, die Kultur und andere
       Industrien“, sagt sie, zurück in ihrem Haus. In einem Glasschrank stehen
       Puppen in sorbischen Trachten. An der Wand hängen sorbische
       Landschaftsbilder. Vor Edith Penk liegt eine englische
       Klimawandel-Broschüre.
       
       An Ostern sind wieder Proteste geplant. Edith Penk hofft auf möglichst
       viele internationale Unterstützer. „Ich gehe hier nicht weg. Da müssen sie
       mich schon wegtragen“, sagt sie , kurz innehaltend.
       
       24 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paul Toetzke
       
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