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       # taz.de -- Die Wahrheit: Weniger Status quo wagen
       
       > Die AfD hat es geschafft, ein Klima zu erzeugen, in dem das Grundgesetz
       > einfach mal außer Kraft gesetzt wird. Das hat durchaus auch etwas
       > Positives.
       
       Für die einen sind Höcke, Petry, Gauland und Konsorten eine Bedrohung der
       Demokratie. Für andere sind sie ein Synomym für „schlimmer geht immer“.
       Denn seit Pegida und die AfD auf den Plan getreten sind – und ähnliche
       rechte Wahlerfolge drohen wie in manchem Nachbarland –, geht es bei uns
       nicht mehr um eine Verbesserungen der Verhältnisse, sondern nur noch darum,
       wie eine Verschlimmerung zu verhindern ist.
       
       Dass unsere Bildungssystem sozial und ethnisch segregiert, Menschen nicht
       mehr von ihrer Arbeit leben können, Männer und Frauen ungleich bezahlt
       werden, Mieten ins Astronomische steigen, multinationale Konzerne wie
       Monsanto und Nestlé darüber bestimmen, was wir essen, oder dass wir Waffen
       in Krisengebiete liefern – alles wurscht, alles Nebenprobleme.
       
       Die Rechten bestimmen die politische Diskussion: Alles dreht sich nur noch
       um Einwanderung, die Nation, um Abgrenzung, letztlich ums Völkische. Im
       positiven Fall fühlen sich Politiker immerhin noch genötigt, den Rechten zu
       widersprechen. Oft ist es aber so, dass die anderen Parteien ihnen
       hinterherhecheln, in dem sie Asylgesetze verschärfen, Bürgerkriegsgebiete
       zu sicheren Herkunftsländern erklären oder wie Sahra Wagenknecht gleich
       ganze Argumentationsketten übernehmen: Merkel öffnet Grenzen –
       unkontrollierte Einwanderung – Terror! Da kann man hinterher noch so
       differenzieren: Diese Aussage bleibt stehen. Alle hoffen, auf diese Art
       Wähler zurückzugewinnen oder sie davon abzuhalten, die verharmlosend
       „Rechtspopulisten“ genannten Faschisten überhaupt erst zu wählen.
       
       Die AfD hat es so geschafft, ein Klima zu erzeugen, das dafür sorgte, dass
       der Artikel 3 des Grundgesetzes zu Silvester einfach mal außer Kraft
       gesetzt wurde. Damit stellte man klar: Es ist okay, wenn Menschen aufgrund
       ihrer Abstammung diskriminiert werden, auch wenn die Verfassung etwas
       anderes sagt. Zwar passierte das vorher auch immer wieder, aber dass ein
       Großteil der Öffentlichkeit und der Medien lauthals verkündet, dass er
       damit kein Problem hat, und alle Kritiker niedergeschrien werden, ist in
       dieser Form neu. Das Argument dafür ist in seiner strunzdummen
       antidemokratischen Selbstreferenzialität zwingend und duldet keinen
       Widerspruch: „Wieso? Hat doch funktioniert!“
       
       Das einzig Positive an der ganzen Entwicklung könnte sein, dass man sich im
       Rahmen der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit bestimmter Positionen das
       Grundgesetz zu Kontrollzwecken mal wieder genauer anschaut. Vielleicht
       würde man dann feststellen, dass vieles, was da als Anspruch formuliert
       wird – in Bezug auf Freiheiten, Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit –,
       bei uns noch nie Realität war. Und dass das vielleicht eine Option wäre:
       unsere Verfassung endlich mal umzusetzen. Damit könnte man den
       Rechtsradikalen mehr entgegensetzen als den verzweifelten Versuch, einen
       mediokren, für viele unbefriedigenden Status quo zu verteidigen – nämlich
       eine positive Veränderung der Gesellschaft.
       
       25 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hartmut El Kurdi
       
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