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       # taz.de -- Kolumne Herbstzeitlos: Sei jedem Abschied voraus
       
       > Ein Kaffeehaus in Triest, einst Hafenstadt der Donaumonarchie. Die Bora
       > weht kalt, während Donald Trump inauguriert wird.
       
   IMG Bild: Definitiv besser als Trump
       
       Die berühmten Triester Straßenlaternen mit ihren geschwungenen Bögen, an
       denen gläserne Leuchtkugeln aufgehängt sind, schwanken bedrohlich im Wind.
       Wenn es nur Wind wäre, der an diesem Tag in Triest, der italienischen
       Hafenstadt, weht. Es ist der Winterwind Bora, ein kalter, trockener
       Fallwind aus Nordosten, der plötzlich von den Julischen und Karnischen
       Alpen herab starke Böen auf das offene Meer bläst.
       
       In der Bucht von Triest kulminiert die Bora, sogar in der Stadt kann sie
       Geschwindigkeiten von über einhundert Stundenkilometern erreichen; die Bora
       kann katastrophale Auswirkungen haben. Draußen, auf den Straßen Istriens,
       kann sie Lastkraftwagen einfach umwerfen. Und das tut sie auch, sowohl in
       Italien als auch in Slowenien und Kroatien.
       
       An diesem Tag wird Donald Trump in Washington ins Amt eingeführt. Im
       slowenischen Radio sagt eine zugeschaltete Zuhörerin sinngemäß, dass sie es
       satt hat, dass immer wieder über „Melania“ berichtet wird; „sie gibt einen
       Scheißdreck auf Slowenien, sie ist weggegangen“.
       
       ## Der Hafen der Habsburger
       
       Es ist schon dunkel, doch an der Piazza Unità werden die Bauten aus der
       Zeit der Donaumonarchie angestrahlt, dass es eine Pracht ist. In das
       Pflaster auf dem großen Platz, der direkt an das Meer grenzt, sind kleine
       blaue Leuchtelemente eingelassen. Triest, das war einmal die Kapitale des
       Österreichischen Küstenlandes, der Hafen der Habsburger. Kriegsschiffe
       lagen hier vor Anker und die Handelsmarine, von hier aus ging Elisabeth von
       Österreich, Sisi, auf Mittelmeerkreuzfahrt mit ihrer dampfgetriebenen
       Jacht, nachdem sie zuvor im Schloss Miramare genächtigt hatte, einem weißen
       Kleinod auf den Klippen der Bucht von Triest.
       
       Im Caffè degli Specchi an der Piazza Unità sind die Kronleuchter in
       Betrieb, eröffnet wurde es im Jahr 1839. „Torta Linza“ ist in der golden
       ausgeleuchteten Vitrine aufgebahrt, und „Torta Sacher“, Schlagobers gehört
       dazu. Gebäck und Konfekt und Spezereien. Wer einen Aperol Spritz bestellt,
       in der Region keine Mode sondern Tradition, bekommt auch ein kleines
       Tablett mit Kanapees gereicht.
       
       ## Die Pax Americana
       
       Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das gesamte Gebäude an der Piazza Unità
       als Quartier der US-amerikanischen und britischen Besatzungsmächte gedient,
       die von 1947 bis 1954 auch den Bestand des „Freien Territoriums Triest“
       sicherten. Später wurde die Stadt schließlich Italien zugeschlagen. Ihre
       Bedeutung hatte sie zu diesem Zeitpunkt schon verloren, die Donaumonarchie
       war längst zerfallen. Der Faschismus, in Triest blühte er besonders gut,
       hatte die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt. Doch nun kam das
       „amerikanische Jahrhundert“, die Pax Americana. Gleich nebenan vom Eisernen
       Vorhang, an der Grenze zu Jugoslawien.
       
       Das Gestühl im Caffè degli Specchi ist mit rotem Samt bezogen, Palmwedel
       federn, Stuck prunkt. Rainer Maria Rilke – „Sei jedem Abschied voraus!“ –
       verkehrte hier einst, auch James Joyce. Und wenn nicht Sade im Hintergrund
       säuseln würde, Ikone des späten 20. Jahrhunderts, könnte man für einen
       Moment vergessen, dass wir das Jahr 2017 schreiben. So spät schon.
       
       26 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reichert
       
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