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       # taz.de -- Berliner Flüchtlinge in Brandenburg: Nix wie raus
       
       > Berlin darf im brandenburgischen Wünsdorf bis zu 1.000 Flüchtlinge
       > unterbringen. Genutzt wird das bisher fast nicht. Die Senatorin will den
       > Vertrag deshalb wohl kündigen.
       
   IMG Bild: Flüchtlinge in der sanierten Kaserne in Wünsdorf.
       
       Berlin will offenbar den Vertrag über die Aufnahme von Flüchtlingen im
       brandenburgischen Wünsdorf kündigen. Das jedenfalls behauptet ein Vertreter
       der Linkspartei, der namentlich nicht genannt werden will. „Sozialsenatorin
       Elke Breitenbach sucht einen Weg, um aus dem Vertrag mit Brandenburg
       auszusteigen. Aber die Entscheidung liegt nicht bei ihr allein, sondern
       auch bei der Senatskanzlei“, sagte er der taz.
       
       Im Herbst hatte der damalige Sozialsenator Mario Czaja (CDU) nach
       monatelangen Verhandlungen mit dem Nachbar-Bundesland vereinbart, dass ab
       November 2016 insgesamt 995 Berliner Flüchtlinge in gut 50 Kilometer
       südlich von Berlin gelegenen Wünsdorf untergebracht werden können. Die Idee
       lag nahe: In der Hauptstadt leben – auch weiterhin – viele Flüchtlinge in
       Turnhallen und Flughafen-Hangars. In Brandenburg dagegen sind zahlreiche
       Plätze in Flüchtlingsheimen frei.
       
       Doch der Vertrag funktioniert nicht: Derzeit sind in Wünsdorf lediglich 17
       Flüchtlinge aus Berlin untergebracht. Anfang Januar waren es 64 – die
       bisher höchste Zahl. Unabhängig von der Nutzung muss Berlin jedoch für
       mindestens 330 Plätze zahlen: Pro Tag und Platz fallen 34 Euro für
       Unterbringung, Verpflegung, ärztliche Versorgung, Fahrgeld und soziale
       Betreuung an. Berlin zahlt derzeit also insgesamt 11.220 Euro – pro Tag.
       Das macht fast 340.000 Euro monatlich.
       
       Warum sind so viele Plätze in Wünsdorf nicht besetzt? Regina Kneiding,
       Sprecherin von Sozialsenatorin Breitenbach, begründet das mit „den
       vertraglichen Festlegungen zwischen Berlin und Brandenburg, wer dort
       untergebracht werden darf“: lediglich Flüchtlinge in der
       Erstaufnahmephase, also in den ersten drei bis sechs Monaten ihres
       Aufenthalts, und ausschließlich „Flüchtlinge mit einer höheren Verweildauer
       im Asylverfahren“, also überwiegend Pakistaner, Afghanen, Somali und
       Eritreer.
       
       Weil das nicht dem Berliner Bedarf entspricht, verhandelte der damalige
       Sozialsenator Czaja im November mit Brandenburg neu und konnte dem
       Nachbarland abringen, auch sogenannte Dublin-Fälle sowie Bürger aus
       sicheren Herkunftsstaaten und Moldauer zu akzeptieren. Der neue Vertrag ist
       aber noch nicht in Kraft. Und: Auch laut dem neuen Vertrag wird Brandenburg
       weder anerkannte Asylberechtigte noch Asylbewerber aufnehmen, die länger
       als drei beziehungsweise sechs Monate in Deutschland leben.
       
       ## Zu wenig Kandidaten
       
       Das liegt daran, dass das Heim in Wünsdorf Vollverpflegung anbietet und
       keine Küchen für die Selbstversorgung besitzt. Vollverpflegung ist in den
       ersten Monaten des Aufenthalts gesetzlich zwingend vorgeschrieben. Danach
       bekommen Flüchtlinge Geld, um sich ihr Essen selbst zuzubereiten.
       Desweiteren sperrt sich Brandenburg gegen bestimmte Gruppen von
       Flüchtlingen wie Bürger der Russischen Föderation. „Weil wir von denen
       selbst genug haben“, wie Ingo Decker vom Brandenburger Innenministerium
       erklärt.
       
       Decker weiter: „Wir stehen zu unserem Angebot. Berlin muss sich jetzt zu
       dem geänderten Vertragsentwurf äußern.“ Berlin habe laut Decker dem
       Brandenburger Innenministerium aber mitgeteilt, dass in der Verwaltung noch
       Abstimmungsbedarf bestehe.
       
       Das bestätigt Regina Kneiding von der Berliner Sozialverwaltung. Die oben
       zitierte Aussage eines Linken, wonach Berlin ganz aus dem Vertrag mit
       Brandenburg aussteigen will, möchte sie zwar weder bestätigen noch
       dementieren. Aber Kneiding nennt Gründe, warum der Vertrag für Berlin nicht
       gut ist: „Es ist ein Problem, Plätze zu bezahlen, die gar nicht genutzt
       werden können. Und gegenwärtig haben wir wenige Leute, die den
       Brandenburger Kriterien genügen.“
       
       Das liege vor allem daran, dass weniger neue Asylbewerber nach Berlin
       kommen und deren Asylverfahren schneller ablaufen. „Wenn ein Syrer schon
       nach einem oder zwei Monaten Asyl erhält, darf er nicht mehr nach
       Brandenburg, weil Berlin für die Integration zuständig ist“, erklärt
       Kneiding. „Unsere größte Herausforderung ist es, die zahlreichen
       Flüchtlinge unterzubringen, die schon lange in Berlin leben und hier auch
       bleiben werden. Das ist in Wünsdorf nicht möglich.“ Laut taz-Recherchen
       werden in Berlin derzeit Erstaufnahmeheime mit Küchen ausgestattet, um sie
       in reguläre Heime umzuwandeln.
       
       Lotte Schwendler vom Brandenburger Flüchtlingsrat nennt die Vor- und
       Nachteile für Berliner Flüchtlinge in Wünsdorf: „Die Wohnbedingungen sind
       natürlich viel besser als in jeder Berliner Turnhalle. Aber die
       Infrastruktur ist schlechter.“ Damit meint sie nicht nur, dass das Heim auf
       einem einstigen Kasernengelände knapp zwei Kilometer vom Regionalbahnhof
       entfernt ist. „In Brandenburg gibt es für Flüchtlinge in der
       Erstaufnahmephase anders als in Berlin weder freie Arztwahl noch
       Schulpflicht“, so Schwendler. „Das ist aus der Sicht des Flüchtlingsrats
       kritikwürdig.“ Genau das sei auch ein Kritikpunkt der Berliner Linken, sagt
       das anonym bleibende Parteimitglied.
       
       Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram würde eine Kündigung des Vertrags
       unterstützen: „Ich danke Brandenburg für sein Hilfsangebot. Doch das
       Experiment muss nach drei Monaten für gescheitert erklärt werden. Ich traue
       Senatorin Breitenbach zu, die Unterbringungssituation in Berlin zu lösen,
       ohne dass dazu Hilfe aus Brandenburg notwendig sein wird.“
       
       Allerdings: Selbst wenn die politische Entscheidung fällt, keine
       Flüchtlinge mehr in Wünsdorf zu kasernieren, muss Berlin wohl weiter
       zahlen. Eine Kündigung ist nach taz-Informationen erst zum September
       möglich.
       
       27 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
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