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       # taz.de -- Inklusive Disco in Berlin: Hier isses immer schön
       
       > Im Mensch Meier feierten am Samstag Menschen mit und ohne Behinderung.
       > Mit und ohne Glitzer. Ein Besuch bei der Partyreihe Spaceship.
       
   IMG Bild: Bei der Partyreihe Spaceship feiern Menschen mit und ohne Behinderung in einer Szenedisko
       
       „Hallo, ich heiße Steffi.“ Fester Händedruck. Dann ein lautes „Ich will
       tanzen!“ Und schon verschwindet Steffi Richtung Tanzfläche. Reißt die Arme
       in die Luft und dreht sich. Um sie herum klatschen viele Menschen im Takt
       der Musik, lachen. Es ist kurz nach sieben an einem Samstagabend in Berlin.
       Doch der Club Mensch Meier ist schon gut gefüllt.
       
       In der Schlange vor dem Club in Lichtenberg wird diskutiert. Über das
       verschuldete Berlin, Flüchtlingspolitik, über Trump. Die Menschen sind
       unterschiedlich gekleidet. Jogginghosenträger findet man in der Reihe
       genauso wie eine Frau mit blinkenden Schuhen, einen Mann mit Hertha-Jacke
       oder einen jungen Mann im schwarzen Hemd. Er hat das Downsyndrom.
       
       Auch viele Menschen im Rollstuhl warten auf den Einlass, alle unterhalten
       sich angeregt. Einige sind in Gruppen, mit Autos und Shuttle Services in
       die Storkower Straße gekommen, andere auch alleine. Zum Beispiel der
       56-jährige Harry, der kognitiv beeinträchtigt ist: „Ich war schon oft da“,
       erzählt er. Er hofft, dass es diese Partyreihe noch lange gibt, schließlich
       „isses immer schön hier“.
       
       Beim Einlass ist es noch ein seltsames Gefühl, um 18 Uhr schon in einen
       Club zu gehen. Drinnen, bei lauter Musik, Kaltgetränken und eingehüllt in
       Nebelmaschinenluft in blinkenden Räumen, ist die Uhrzeit schnell vergessen.
       Nur das Gefühl, ein bisschen fitter und wacher als bei anderen Clubbesuchen
       zu sein, bleibt. „Fetter Sound“, sagt meine Begleitung, als wir den ersten
       Floor betreten. Das finde ich auch, wir pilgern in den zweiten Raum zur
       Bar.
       
       ## Glitzer und Fotos
       
       Nicht nur der frühe Beginn ist eine Besonderheit an diesem Abend. Es gibt
       eine Fotoecke, eine Siebdruckstation, bei der das Raumschiff-Logo der
       Partyreihe Spaceship auf Taschen und T-Shirts gedruckt wird, und einen
       Schminkraum, aus dem alle bunt glitzernd und thematisch passend mit
       spacigen Kostümteilen rauskommen. Die inklusive Partyreihe ist von der
       Aktion Mensch gefördert: „Sonst könnten wir uns diese Aktionen und den
       geringen Eintritt von zwei Euro nicht leisten“, sagt Markus Lau von der
       Lebenshilfe Berlin. Er organisiert zum vierten Mal die Party in
       Zusammenarbeit mit dem linken Kollektiv Mensch Meier.
       
       In den Räumen ist alles übersät mit Aufklebern, die Wände bemalt. Eine
       Szenedisko. Für die inklusive Partyreihe werden bekanntere Bands angefragt,
       um viele Berliner anzusprechen. „Letztes Mal waren über 200 Leute da,
       vielleicht knacken wir heute Abend den Rekord“, sagt Lau. Am Ende sind über
       300 Menschen gekommen. „Besonders schön finde, ich, dass man irgendwann am
       Abend nicht mehr merkt, wer ein Freak von uns und wer ein Freak vom Club
       ist“, witzelt Lau über die linke Partylocation. Auf der Tanzfläche sind
       Menschen mit Leuchtstäben an den Ohren, Glitzer auf den Wangen und
       bedruckten T-Shirts. Es ist eine schöne Mischung.
       
       Den Glitzer verteilt an diesem Abend die Studentin Helena. Sie schminkt die
       Discogäste ehrenamtlich: „Alle freuen sich total. Und geben uns damit viel
       zurück.“ Besonders gut kommen die bunten Knicklichter an. Doch auch
       silberne Perücken, Masken und Haarreifen mit wackelnden Bommeln werden
       verteilt.
       
       „Schminke ist nichts für mich. Nee, nee“, sagt der 23-jährige Özcan. Er ist
       in den Club gekommen, um nette Menschen kennenzulernen und gute Musik zu
       hören. Die Partybemalungen schaut er sich aus sicherem Abstand trotzdem an.
       Hier könne man sich besser unterhalten, in dem anderen Raum sei es auch „so
       stickig“. Er erzählt, dass er beim Lwerk Berlin-Brandenburg im Garten- und
       Landschaftsbau arbeitet. Übers Internet hat er von der Disco erfahren und
       ist mit seiner Betreuerin gekommen: „Nächstes Mal komme ich alleine“, sagt
       er.
       
       Auch Armin ist regelmäßiger Besucher im Mensch Meier. Die Spaceship Party
       unterscheide sich in seiner Wahrnehmung nicht groß von anderen Feiern hier,
       meint der Wahlberliner aus Stuttgart.
       
       ## Tanga Electra heizt ein
       
       Dann beginnen die Brüder Elias und David von Tanga Electra zu spielen. Vor
       der kleinen Bühne sitzen mehrere Menschen in Rollstühlen. Auf der Bühne
       feuert die Jungs eine Besucherin mit Downsyndrom an. Der Raum ist gefüllt
       mit alten und neuen Fans der Band. Zu ihrem Elektrosoul wird gewippt,
       gehüpft, geklatscht.
       
       Maximilian ist mit seinem Vater Maik und drei Freunden aus seiner
       Wohngruppe gekommen. „Mega nice“, sagt der 23-Jährige. Er sitzt in seinem
       Rollstuhl, wippt zur Musik. Ihm gefällt besonders der Rap der Gruppe Die
       Tsootsies, dem zweiten Liveact des Abends. In einer inklusiven Disco sind
       die beiden heute Abend zum dritten Mal. Bisher waren sie immer im Lido in
       Kreuzberg. „Im Mensch Meier sind wa das erste Mal. Aber ganz sicher nicht
       das letzte Mal“, sagt Maik. Die Stimmung gefällt ihnen, außerdem seien auch
       die Toiletten hier groß genug. „Dit war een Problem im Lido“, sagt Maik.
       „Hier gefällt’s uns besser, wa?“, fragt er seinen Sohn. Maximilian stimmt
       zu. Schon seit seiner Kindheit hat er eine Muskelkrankheit. Seine
       Lebenserwartung ist nicht hoch. Die Gruppe bleibt, bis die Livemusik zu
       Ende ist.
       
       Als wir gegen halb eins nachts gehen, sitzt Harry, den wir in der Schlange
       kennengelernt hatten, noch an der Theke, trinkt ein Bier und sortiert
       akribisch einen Stapel der Getränkekarten vom Mensch Meier. Müde scheint er
       auch nach sieben Stunden Disco nicht zu sein. Offiziell endete die
       Spaceship Party um elf. Doch wer wollte, durfte auf der Anschlussparty
       weiterfeiern. Ein Angebot, das es leider nicht bei allen inklusiven Partys
       gibt. Im Mensch Meier wurde es gern angenommen.
       
       1 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Linda Gerner
       
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