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       # taz.de -- Prozess gegen Göttinger Abschiebegegner: Blockade vor Gericht
       
       > 2014 versuchten Aktivisten aus Göttingen, eine Abschiebung zu verhindern,
       > und gerieten mit einer Spezialeinheit aneinander. Jetzt stehen sie vor
       > Gericht
       
   IMG Bild: Übung macht die Meister: Beamte trainieren in Ex-Kaserne in Hannover, wie man Demonstranten abführt
       
       GÖTTINGEN taz | Entschlossen wirkte Richter Philipp Moog nur zu Beginn der
       Verhandlung. „Alle, die sitzen geblieben sind, bekommen eine erste
       Verwarnung“, sagte er am Donnerstagmorgen an die rund 30 Zuschauer im Saal
       gewandt. „Bei einer weiteren Störung fliegen Sie raus.“ Eine knappe Stunde
       später sinnierte Moog halblaut über Möglichkeiten, den kaum begonnen
       Strafprozess am Göttinger Amtsgericht gegen drei Abschiebungsgegner
       auszusetzen. Und fand den Grund für eine Vertagung schließlich darin, dass
       das Verfahren nicht wie von ihm angenommen an diesem Tag beendet werden
       könne.
       
       Er habe die Verhandlung gegen die zwei Frauen und den einen Mann wegen
       Widerstandes und Körperverletzung eigentlich gar nicht leiten sollen, sagte
       Moog, und sich nach kurzfristigen Änderungen im Richter-Verteilungsplan nur
       ganz kurzfristig in den Fall einarbeiten können.
       
       Zuvor hatten die Verteidiger angekündigt, jeden der sechs gestern als
       Zeugen geladenen Polizeibeamten ausführlich vernehmen zu wollen. „Jeden
       mindestens eine Stunde“, sagte Rechtsanwalt Sven Adam. Es bestehe nämlich
       der Verdacht, dass die Ordnungshüter am fraglichen Tag selbst Straftaten
       begangen haben könnten.
       
       ## Ruppige Einsätze
       
       Der fragliche Tag ist der 10. April 2014. 50 bis 60 Aktivisten hatten
       Eingang und Flur eines Hauses in der Göttinger Weststadt blockiert, um die
       Abschiebung eines Geflüchteten aus Somalia zu verhindern. Beim Versuch, die
       Blockade zu durchbrechen, habe die wegen ruppiger Einsätze ohnehin in der
       Kritik stehende Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Göttinger
       Bereitschaftspolizei die Situation eskalieren lassen, berichteten
       Augenzeugen schon damals der taz.
       
       Mehr als ein Dutzend Menschen seien durch Faustschläge, Schmerzgriffe,
       Hundebisse und den Einsatz von Pfefferspray im geschlossenen Treppenhaus
       verletzt worden. „Die BFE drang nicht nur durch eine Parterrewohnung in das
       Haus ein, sondern sie schleppte auch Dutzende zum Teil verletzte und
       bewusstlose Menschen durch das Fenster des Kinderzimmers hinaus, indem sich
       sowohl Mutter als auch Kind zu dieser Zeit befanden“, erklärte Anfang
       dieser Woche die Rote Hilfe, ein Verein, der linke Aktivisten unterstützt.
       
       Die Grüne Jugend Göttingen beschrieb den Einsatz als „beängstigend und
       vollkommen skrupellos“. Protestierende Menschen, die sich untergehakt
       hatten, seien „geschubst, geschlagen, mit Schmerzgriffen traktiert und in
       mehreren Fällen die Kellertreppe heruntergeworfen“ worden. Mehrere
       Demonstranten hätten Beulen, Prellungen und Blutergüsse davongetragen.
       
       ## Polizei verteidigt sich
       
       Die Polizei bewertete die Ereignisse anders: Einige Blockierer hätten sich
       der Räumung massiv widersetzt, die Beamten hätten daraufhin Pfefferspray
       eingesetzt. Vier Polizisten seien bei dem Einsatz verletzt worden, ein
       Beamter sei vorübergehend dienstunfähig gewesen.
       
       Zwei der drei Angeklagten wird vorgeworfen, sich der Räumung der Blockade
       widersetzt, Beamte in die Hand gebissen und in einem Fall auch geschlagen
       zu haben, las die Staatsanwältin am Donnerstag aus der Anklageschrift vor.
       Die zweite Frau wird beschuldigt, einem Polizisten im Getümmel den
       Armschutz aus Plastik abgerissen zu haben.
       
       Die 60-Jährige soll zuvor bereits mehrere Sachbeschädigungen begangen
       haben. Sie soll etwa den Schriftzug „Göttingen welcomes Refugees“ auf eine
       Straße und eine Plastikplane gemalt und ein Bundeswehr-Werbeplakat mit der
       Parole „Kein Werben fürs Sterben“ versehen haben. Außerdem habe sie dem
       Anführer des rechtsextremen Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen, Jens
       Wilke, im Göttinger Kreishaus rote Glitzersterne über den Kopf gestreut,
       als dieser seine Bewerbung als Landratskandidat der NPD abgab. Der
       Freundeskreis überzieht die Region seit 15 Monaten mit ausländerfeindlichen
       Kundgebungen, für den 1. April hat er eine neuerliche Demonstration in
       Göttingen angekündigt.
       
       Wann der Prozess weitergeht, war gestern noch unklar. Klar ist aber: Sofern
       es keine neuen Turbulenzen im Dienstplan gibt, wird Richter Moog dann nicht
       mehr den Vorsitz führen.
       
       2 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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