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       # taz.de -- HSV nach dem Sieg gegen Leverkusen: Der Realismus der Traumtänzer
       
       > Der HSV versucht einen Spagat, der an Schizophrenie grenzt: Erzsoliden
       > Transfers steht mal wieder ein irres Experiment gegenüber.
       
   IMG Bild: Kann Abstiegskampf: Kyriakos Papadopoulos
       
       Hamburg taz | Die gute Nachricht: Beim Hamburger SV ist in der Winterpause
       so etwas wie Realismus eingekehrt. Die schlechte: Der Club scheint
       schizophren, denn gleichzeitig geht die alte Traumtänzerei weiter. Der
       Realismus heißt Mergim Mavraj oder „Kyriakos Papadopoulos. Beide sind
       erfahrene Bundesliga-Innenverteidiger. Für beide wurden überschaubare
       Summen gezahlt. Und beide haben am Freitagabend gezeigt, dass sie den HSV
       sofort weiterbringen.
       
       Sie haben derart geschickt, robust und kantig verteidigt, dass Bayer
       Leverkusens Offensive keinen Fuß auf die Erde bekam, egal ob am Anfang mit
       zwei oder am Ende mit fünf Stürmern auf dem Platz. Und dann macht
       ausgerechnet Papadopoulos, den der HSV von Bayer Leverkusen ausgeliehen
       hat, auch noch das, wofür er vor einer Serie von Verletzungen mal berühmt
       war: Er hält den Schädel in einen Eckstoß, bumm, Tor. Und Sieg.
       
       ## Der HSV ist und bleibt ein Abstiegskandidat
       
       Diese eine Szene überlagert, dass der HSV immer noch keine Spielidee hat.
       Dass jede ernst zu nehmende offensive Regung vom Gelingen der
       Tempodribblings eines Filip Kostić abhängt, oder vom rasanten Konter eines
       Nikolai Müller. Typen wie Papadopoulos muss man holen als Abstiegskandidat.
       Und das ist der HSV immer noch.
       
       Das erkannt zu haben, ist eines der Verdienste des neuen
       Vorstandsvorsitzenden Heribert Bruchhagen und seines noch neueren
       Sportchefs Jens Todt. Dennoch verkündet Todt 27 Stunden vor Ende der
       Transferfrist, dass der HSV Walace Souza Silva unter Vertrag genommen hat.
       Walace ist defensiver Mittelfeldspieler. Das klingt gut, denn der HSV ist
       auf dieser Position bedürftig. Aber Walace ist 21 Jahre alt. Er hat noch
       nie außerhalb Brasiliens gelebt. Er kommt mitten in den europäischen
       Winter. Mitten in den Abstiegskampf in der Bundesliga, einer der
       anspruchsvollsten Ligen der Welt, was Tempo, Taktik und Physis angeht.
       
       Es gibt nicht mehr viele Bundesligaclubs, die Brasilianer direkt aus
       Brasilien verpflichten. Die meisten bauen einen Zwischenschritt in einer
       weniger starken europäischen Liga ein, zur Akklimatisierung. Oder sie
       planen von vornherein mit einem Zeithorizont von Jahren, bis sie voll auf
       den neuen Spieler bauen. Es klingt fast einsichtig, wenn Sportchef Todt
       sagt, Walace könne „nicht über Nacht unsere Probleme lösen“. Wie die Dinge
       liegen, können sie beim HSV froh sein, wenn er nicht ein neues Problem
       wird.
       
       Der HSV hat da relativ frische Erfahrung: Gerade haben sie den Brasilianer
       Cléber Reis, der in Hamburg nie richtig angekommen war, nach Brasilien
       zurücktransferiert. Noch einschlägiger ist die Personalie Alen Halilović:
       Das Können des Kroaten war ähnlich hoch gelobt worden wie nun das von
       Walace. Nun wurde er nach ein paar unglücklichen bis demütigenden
       Auftritten nach Las Palmas verliehen. Der Club von den Kanaren kann ihn
       nach Ende des Leihgeschäfts für jene fünf Millionen Euro kaufen, die der
       HSV vor gerade mal einem halben Jahr an den FC Barcelona überwiesen hatte
       und die schwer auf seinen Schultern zu lasten schienen. Aber niemand
       glaubt, dass sie am Ende wirklich zurück nach Hamburg fließen werden.
       Walace soll nun fast das Doppelte gekostet haben.
       
       ## Warum holen die Hamburger wieder ein teures Talent?
       
       Warum tut der HSV, den rund 100 Millionen Euro Schulden drücken, so etwas?
       In der Erwartung, den Klassenerhalt in der Bundesliga ein weiteres Mal
       irgendwie zu schaffen, könnte man sagen. In der Hoffnung, in der nächsten
       Saison ein neues, spielerisch besseres Team aufzubauen. Und sich in Walace
       das eine Supertalent geangelt zu haben, das man nach ein paar Jahren für
       ein Vielfaches des Kaufpreises weiterveräußern kann.
       
       Die Wahrheit ist einfacher: Der klamme Verein ist für Spielerkäufe,
       insbesondere solange keine üppigen Transfererlöse erzielt werden, auf
       seinen Gönner Klaus-Michael Kühne angewiesen. Der fußballverrückte
       Milliardär und HSV-Anteilseigner hebt oder senkt den Daumen. Und Kühne
       spendiert nun mal nicht begeistert solide Innenverteidiger. Er möchte sich
       im Erfolg eines Sensationstransfers sonnen. Walace ist immerhin Brasilianer
       und Olympiasieger, auch wenn er erst zwei A-Länderspiele gemacht hat. Bei
       allem Realismus: Ehe der HSV gar keine Spieler verpflichten kann, holt er
       lieber die von Kühnes Gnaden.
       
       HSV-Trainer Markus Gisdol hat aus dem Fall Halilović gelernt: Er widerstand
       der Versuchung, den nur noch 46.000 Fans den neuen Hoffnungsträger zu
       präsentieren und ließ Walace gegen Leverkusen 94 Minuten auf der Bank
       frieren.
       
       5 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Kahlcke
       
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