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       # taz.de -- Klage gegen Racial Profiling: Gegen das tägliche Stigma
       
       > Die Kontrollen von Schwarzafrikanern in Hamburg-St. Pauli kommen auf den
       > Prüfstand: Ein Togolese klagt vor dem Verwaltungsgericht gegen die
       > Diskriminierung.
       
   IMG Bild: Im Visier: Kontrolle von Polizisten aus St. Pauli
       
       HAMBURG taz | Jonas John* hat die Faxen dicke: Durch die permanenten
       verdachtsunabhängigen Kontrollen vor seiner Haustür in St. Pauli fühlt sich
       der Togolese der Gruppe Lampedusa in Hamburg diskriminiert. Über seinen
       Anwalt Carsten Gericke hat John Klage beim Verwaltungsgericht gegen das
       Racial Profiling der Task Force Drogen eingereicht. Damit steht die Praxis
       der rassistischen Kontrollen der Sondereinheit auf dem
       verfassungsrechtlichen Prüfstand.
       
       Zwei Vorfälle brachten bei Jonas John das Fass zum Überlaufen. Ohne Grund
       wurde er am 14. November vergangenen Jahres mittags an der Fußgängerampel
       Reeperbahn/Ecke Talstraße von mehrere Zivilbeamten umringt. Ein Beamter
       packte ihn an der Jacke, ein anderer sein Fahrrad. „Polizei, Ausweis
       bitte!“ John erklärte, er käme aus der Schule und wolle nach Hause, zeigte
       demonstrativ seinen Rucksack mit dem Schulmaterial. Ein anderer Beamter
       griff den Rucksack und warf ihn zu Boden. Trotz Protestes, dass die
       grundlose Personalienfeststellung unzulässig sei, legten die Beamten den
       Togolesen Handschellen an und brachten ihn mit einem Streifenwagen zur
       Davidwache – obwohl er seine Aufenthaltsgenehmigung vor Ort vorlegen
       konnte.
       
       Am 9. Januar dieses Jahres eine erneute Kontrolle: In Begleitung eines
       dunkelhäutigen Bekannten stoppten ihn in der Silbersackstraße zwei
       Polizisten auf dem Weg zu seiner Wohnung. Alle weiße Passanten, die vor ihm
       gegangen waren, hatte das Polizisten-Pärchen passieren lassen. Er
       protestierte erneut: Er habe das Recht, unbehelligt nach Haus gehen zu
       können. Die Polizistin drohte daraufhin, ihn festzunehmen, woraufhin er
       sich auswies.
       
       Die vornehmliche Kontrolle von Personen „afrikanischer Herkunft“ ist trotz
       des Gleichheitsgrundsatzes im Grundgesetz ein Konzept der im April 2015 ins
       Leben gerufenen Task Force, um die vermeintliche Dealerszene in St. Pauli
       „zu verunsichern“, wie Task-Force-Chef Enno Treumann und Innensenator Andy
       Grote (SPD) offen zugeben.
       
       Tatsächlich würden sich die polizeilichen Maßnahmen jedoch „unterschiedslos
       gegen Menschen dunkler Hautfarbe“ richten, moniert Anwalt Gericke. „Dies
       hat gravierende negative Auswirkungen auf die Lebensgewohnheiten von
       Menschen dunkler Hautfarbe, die in St. Pauli leben, da sie permanent dem
       Risiko stigmatisierender polizeilicher Kontrollen ausgesetzt werden“, sagt
       Gericke.
       
       So etwas sei ein Einriff in die Grundrechte, denen die
       Ermächtigungsgrundlage fehlte. Die Polizei begründete zuletzt die
       Kontrollen mit dem 2001 ausgerufenen „Gefahrengebiet Kriminalität St.
       Pauli“. Gefahrengebiete auf der Grundlage des Polizeigesetzes waren im Mai
       2015 vom Oberverwaltungsgericht in mehrfacher Hinsicht für
       verfassungswidrig erklärt worden. Sie verstoßen gegen das rechtsstaatliche
       Bestimmungsgebot und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
       
       Nach dieser Richterschelte wurde das Polizeigesetz im Dezember geändert,
       faktisch aber nur das Wort „Gefahrengebiet“ durch „gefährliche Orte“
       ausgetauscht. Auch in neuer Fassung, bedarf das Gesetz laut Gericke einer
       gerichtlichen Überprüfung. Während unter „Ort“ bislang eine Straße oder ein
       Platz gemeint waren, kann nun auch eine ganze Region ein gefährlicher Ort
       sein.
       
       Laut Gericke ist das Gesetz mit einer derart beliebigen Auslegung genauso
       kritikwürdig wie zuvor. „Mit der Neuregelung sind die Defizite, die das
       Oberverwaltungsgericht angemahnt hatte, keineswegs obsolet.“
       
       *Name geändert
       
       5 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kai von Appen
       
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