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       # taz.de -- Protest in Berlin-Kreuzberg: Mieter lassen sich nicht wegdämmen
       
       > Die Otto-Suhr-Siedlung ist der ärmste Kiez Berlins. Ausgerechnet dort
       > sollen jetzt die Mieten massiv steigen. Doch die MieterInnen organisieren
       > Widerstand.
       
   IMG Bild: Modernisierungsmaßnahmen werden häufig genutzt, um die Miete hochzutreiben
       
       Ding, ding, ding: Immer wieder lässt Nihat die Fahrradklingel in seinen
       Händen ertönen. Der hohe Ton legt sich über die Stimmen der vielen
       durcheinanderredenden Menschen, die im Stuhlkreis in einem Parterreraum in
       der Kreuzberger Ritterstraße sitzen, und hat schließlich Erfolg: Die
       aufgeregte Diskussion verebbt, die ältere Frau, die eigentlich gerade an
       der Reihe war, kann weiterreden. „Wir müssen uns gegenseitig zuhören, sonst
       kommen wir hier zu nix“, ermahnt der dunkelhaarige Nihat die anderen und
       erntet zustimmendes Gemurmel.
       
       Etwa 30 überwiegend ältere Menschen sitzen an diesem Montagabend hier im
       Kreis. Es sind MieterInnen und Mieter der am westlichen Teil der
       Oranienstraße gelegenen Otto-Suhr-Siedlung. Sie verbindet ein gemeinsames
       Problem: Ihr Vermieter, der private Immobilienkonzern Deutsche Wohnen, will
       die Siedlung modernisieren – und die Miete für die Wohnungen anschließend
       erhöhen. Die seit November eintrudelnden Modernisierungsankündigungen sind
       das Gesprächsthema Nummer eins in der Siedlung: Rund 1.700 Haushalte sind
       betroffen, für viele der MieterInnen sind die angekündigten Mieterhöhungen
       von teilweise mehr als 50 Prozent der bisherigen Nettokaltmiete infolge der
       energetischen Modernisierungen ein existenzielles Problem.
       
       Eine von ihnen ist Manuela Besteck, die in der Siedlung aufgewachsen ist.
       Die 58 Quadratmeter große Wohnung, die sie früher gemeinsam mit ihren
       Eltern und ihrer Schwester bewohnte und in der sie heute alleine wohnt,
       kostet momentan 306 Euro kalt, nach der Mieterhöhung sollen es 486 Euro
       sein. „Was die hier in der Siedlung abziehen, ist eine Schweinerei“, sagt
       die Sozialarbeiterin.
       
       Seit mehreren Wochen organisiert sich Widerstand gegen das Vorgehen der
       Deutsche Wohnen. Auf ihren Treffen entwickeln die MieterInnen gemeinsam
       Pläne, wie sie gegen die Mieterhöhungen vorgehen können. Auf individueller
       Ebene können in vielen Fällen Härtefallanträge helfen, die für all
       diejenigen infrage kommen, bei denen die Warmmiete künftig mehr als 30
       Prozent des Nettoeinkommens verschlingen würde.
       
       ## 800 Unterschriften
       
       Denn auch wenn selbst die künftigen Mieten auf den ersten Blick noch recht
       günstig erscheinen, sind sie für den Großteil der Mieterschaft kaum zu
       verkraften: Im letzten Sozialstrukturatlas wurde das Gebiet nordwestlich
       des Moritzplatzes als ärmster Kiez in ganz Berlin identifiziert, die
       Arbeitslosenquote ist hier doppelt so hoch wie im Berliner Durchschnitt.
       Dem gegenüber steht die Renditeerwartung der Deutsche Wohnen: Aufgrund
       ihrer zentralen Lage weise die Otto-Suhr-Siedlung ein „deutliches
       Potenzial“ auf, schreibt die in ihrem letzten Geschäftsbericht.
       
       Jenseits der individuellen Ebene geht es den MieterInnen aber vor allem
       darum, gemeinsam politischen Druck aufzubauen: Am heutigen Mittwoch wollen
       die MieterInnen auf der Sitzung des Bezirksparlaments
       Friedrichshain-Kreuzberg einen offenen Brief an die Bezirkspolitiker
       überreichen, für den sie mehr als 800 Unterschriften in der Siedlung
       gesammelt haben. Sie fordern vom Bezirk, sich für den Verbleib der
       momentanen Mieterschaft einzusetzen – kurzfristig etwa durch ein
       unabhängiges Gutachten zum Nutzen der Modernisierungsmaßnahmen, langfristig
       durch die Rekommunalisierung der Siedlung.
       
       Die Ende der 1950er Jahre erbaute Otto-Suhr-Siedlung, die sich
       jahrzehntelang in unattraktiver Lage direkt am Mauerstreifen befand,
       gehörte früher zum sozialen Wohnungsbau. 2004 verkaufte die damalige
       Eigentümerin, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Bewoge, die Siedlung an
       eine private Immobilienfirma, seit 2015 ist der Großteil im Besitz der
       Deutsche Wohnen. Die wiederum kauft seit Jahren Berliner Wohnungsbestände
       auf – insbesondere solche, die früher in kommunaler Hand waren – und ist
       mittlerweile der größte private Immobilieneigentümer in Berlin.
       
       Und einer der am meisten kritisierten: Nicht nur in der Otto-Suhr-Siedlung
       beklagen MieterInnen, die Deutsche Wohnen vernachlässige Reparatur- und
       Instandhaltungsmaßnahmen und führe stattdessen auch dort energetische
       Modernisierungsmaßnahmen durch, wo diese nachweislich kaum
       Energieeinsparungen bewirken – nur, um hinterher die Miete erhöhen zu
       können. Denn über die energetischen Modernisierungen ist das auch in
       Milieuschutzgebieten möglich. Dass die Otto-Suhr-Siedlung ein solches
       werden soll, hat der Bezirk im letzten September beschlossen.
       
       Milieuschutz allein hilft hier also nicht, dennoch seien die
       Handlungsspielräume nicht erschöpft, argumentieren die MieterInnen: Bei den
       wenigen noch im kommunalen Bestand verbliebenen Wohnungen in der Siedlung
       sei die Miete nach den energetischen Sanierungen weit weniger stark
       gestiegen – die Erhöhungen der Deutsche Wohnen müssten deswegen genau unter
       die Lupe genommen werden.
       
       In der Siedlung gebe es einen guten Zusammenhalt zwischen den deutschen,
       arabischen und türkischen Nachbarn, erzählt Manuela Besteck. „Viele von uns
       wohnen hier schon lange, man kennt sich und hilft sich natürlich auch
       jetzt“, sagt die Mieterin. Möglich, dass es in der Otto-Suhr-Siedlung doch
       nicht ganz so glatt laufen wird, wie die Deutsche Wohnen sich das
       vorgestellt hat.
       
       8 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malene Gürgen
       
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