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       # taz.de -- Voodoo in Westafrika: Ohne Nadeln und Püppchen
       
       > Nirgends wird Voodoo gefeiert wie in Benin. Die Religion steht dort auf
       > einer Stufe mit Christentum und Islam. Doch darüber wird wenig
       > gesprochen.
       
   IMG Bild: Tanzen und feiern: An der Küste von Benin werden am 10. Januar Voodoo-Zeremonien abgehalten
       
       Ouidah taz | Monsieur Dieudonné grinst breit. „Voodoo? Ich liebe und
       bewundere es. Das ist unser Land, unsere Kultur.“ Der Mann mit den kurzen,
       grauen Haaren möchte sich nicht mit seinem kompletten Namen vorstellen. In
       der Regel outet er sich nicht so offen als Unterstützer der alten Religion.
       Doch in seinem Heimatland Benin sind heute die Voodoosi, wie die Anhänger
       genannt werden, in Partylaune.
       
       Es ist Januar und vor allem an der 120 Kilometer langen Küste sowie rund um
       die alte Königsstadt Abomey finden zahlreiche Feste und Zeremonien statt.
       Mit dem 10. Januar ist ein eigener Feiertag geschaffen worden, der Voodoo
       ebenso wie Christentum und Islam zu einer anerkannten Religion macht.
       
       Möglich wurde das erst nach 18 Jahren sozialistischer Herrschaft, in denen
       Voodoo als rückwärtsgerichtet galt. Mit dem Ende der Ära im Jahr 1990
       änderte sich dieser Status, und Benin ist heute neben Haiti das einzige
       Land auf der Welt, das der Religion einen so großen Stellenwert gibt.
       Voodoo wird hier gelebt.
       
       Das größte Fest im Land findet jährlich am Strand von Ouidah, der
       Voodoo-Hochburg eine Autostunde westlich der Wirtschaftsmetropole Cotonou,
       statt. Rund um das Denkmal Porte du Non Retour, das riesige Denkmal, das an
       den transatlantischen Sklavenhandel erinnert, sind drei riesige Zelte
       aufgebaut worden.
       
       In der Mitte steht eine Bühne. Dafür hat sich Monsieur Dieudonné
       herausgeputzt und trägt einen dunkelblauen Boubou, ein maßgeschneiderter
       Anzug aus Damast. Als er am Vormittag kam, waren die guten Plätze weit
       vorne unter den Zelten längst besetzt. Von den Tänzen hat er kaum etwas
       gesehen, die Trommeln nur gehört. Doch die wenigsten Musikgruppen sind auf
       der Bühne aufgetreten. Sie haben meist inmitten der Zuschauer gesessen und
       immer wieder einige Minuten lang für sich Musik gemacht und getanzt.
       
       ## Voodoo will nicht töten
       
       Jetzt am Nachmittag sind die meisten Gäste, darunter Diplomaten, Politiker
       und ein paar Länder-Delegationen, längst wieder in Richtung Cotonou
       gefahren. Monsieur Dieudonné will noch etwas bleiben und den Moment
       genießen. „Das Schöne am Voodoo ist, dass es so friedlich ist“, sagt er
       lächelnd. Keiner sei laut oder ausfallend geworden. Jeder habe Spaß gehabt,
       sagt er.
       
       Um ihn herum stehen noch ein paar Frauen, die sich ihre Lippen knallrot
       geschminkt und vorhin getanzt haben. Ihnen läuft der Schweiß über Stirn und
       Rücken. Ein paar Jugendliche sitzen auf den schmutzig weißen
       Plastikstühlen, von denen die ersten längst wieder zusammengeräumt wurden.
       
       Was Voodoo jedoch genau ist, das kann er nicht in Worte fassen. Eins ist es
       jedenfalls auf gar keinen Fall: mit Nadeln durchstochene Püppchen, mithilfe
       derer man Feinden Unheil wünscht. Das Bild stammt eher aus amerikanischen
       Horrorfilmen, die die meisten Beniner vermutlich nie gesehen haben. „Voodoo
       will niemanden töten“, erklärt Monsieur Dieudonné und stemmt seine Hände in
       die Hüften.
       
       Der Kunsthistoriker Joseph Adande beschreibt Voodoo als ein komplettes
       System. „In diesem ist alles vorgesehen: Geburt, Krankheiten, Tod; es
       regelt alle Probleme.“ Hier liegt der Unterschied zu anderen Religionen:
       „Klagt jemand bei einem katholischen Priester über Bauchschmerzen, dann
       wird dieser ihn zu einem Arzt schicken. Ein guter Voodoo-Priester kann
       diese aber sehr wohl heilen.“ Damit sei Voodoo eine sehr praktische
       Religion. „Sie hat zum Ziel, dass man jetzt und auf dieser Welt glücklich
       ist“, sagt Adande.
       
       Bis heute bekennen sich 11,6 Prozent der 10,7 Millionen Einwohner Benins
       offiziell zu der Religion. Im Vergleich zu früheren Erhebungen ist das ein
       deutlicher Rückgang. Die tatsächliche Zahl dürfte allerdings viel höher
       sein. Es ist für viele Beniner nicht ungewöhnlich, sowohl in die Kirche als
       auch zu einem Voodoo-Priester oder Heiler zu gehen. Es gibt sogar
       Schätzungen, dass Voodoosi in der Mehrheit sind. Nur: Richtig populär und
       angesagt ist das heute nicht mehr.
       
       ## Viele Präsidentschaftskandidaten bitten um Segen
       
       Damit kämpft auch Monsieur Dieudonné: „Ich kann dir sagen, in welche Kirche
       ich gehe. Kein Problem.“ Aber eine Unterhaltung über die Zeremonie am
       vergangenen Abend zu führen, etwa darüber, dass die eigene Frau zu Mami
       Wata gebetet hat, um endlich schwanger zu werden?
       
       Mami Wata wird gerne als Nixe dargestellt und gilt als Göttin der
       Fruchtbarkeit, die auch für materiellen Wohlstand zuständig ist. Er kichert
       laut und winkt ab. Das würde sich nicht gut machen, vor allem nicht, wenn
       man in der Stadt ist und dort auch noch Fremden begegnet. Es ist nie üblich
       gewesen, laut darüber zu sprechen und viel zu erklären. Jetzt gilt es
       außerdem als altmodisch.
       
       Längst nicht alle Voodoosi sind so vorsichtig wie Monsieur Dieudonné. In
       Ouidah etwa lebt Daagbo Hounon, der als höchster Voodoo-Priester im Land
       bezeichnet wird. Wer ihn in seinem Haus im Zentrum der Stadt besuchen
       möchte, muss Schnaps und mehrere der violetten 10.000-CFA-Scheine – einer
       entspricht rund 15 Euro – mitbringen. Ansonsten lehnt Daagbo Hounon eine
       Audienz, aber auch ein Interview mit Journalisten ab.
       
       Sein Rat ist zahlreichen Menschen dennoch wichtig. Im März vergangenen
       Jahres hat er beispielsweise betont, dass viele der anfangs 33
       Präsidentschaftskandidaten um seinen Segen gebeten haben. Ein guter Kontakt
       zu den traditionellen Eliten gilt bis heute in der beninischen Politik als
       wichtig. Für die Feier in Ouidah war in diesem Jahr sogar Präsident Patrice
       Talon angekündigt worden, der aber kurzfristig absagte.
       
       Auch in Cotonou, der mit Abstand größten Stadt im Land, ist die alte
       Religion sichtbar, auch wenn sie oft nicht auf den ersten Blick erkennbar
       ist. Ihr System erinnert vom Prinzip an die germanische Götterwelt. Es gibt
       einen Schöpfergott, mit dem jedoch nicht direkt kommuniziert werden kann.
       Das ist mit seinen Kindern möglich, die mal als Götter, mal als Heilige
       bezeichnet werden. Von den Erd-, Wasser- und Feuergottheiten gibt es mehr
       als 400.
       
       ## Keine Religion für junge Menschen
       
       Manchmal sieht man in der Ferne etwas, das aussieht wie ein Müllhaufen an
       einer Hausmauer. Ein paar Federn liegen dort, ein paar Steine, vielleicht
       auch ein winziges Gefäß aus Ton. Tatsächlich ist es ein kleiner Altar.
       
       In den Wohnvierteln finden sich immer wieder sorgfältig gemalte Bilder an
       Häuserwänden. Sie zeigen beispielsweise das Gesicht eines Voodoo-Priesters,
       der für seine Dienste wirbt. Manchmal sind es auch zahlreiche
       Kauri-Muscheln, mit denen das sogenannte Fa-Orakel gelegt wird. Es wird
       aufgesucht, wenn entscheidende Lebensfragen anstehen. Tabu ist es jedoch,
       nach dem eigenen Tod zu fragen.
       
       Junge Menschen, die sich mit dem Fa-Orakel beschäftigen oder Zeremonien und
       Lebensberatung anbieten, trifft man jedoch so gut wie nie. In Ouidah feiern
       zwar zahlreiche mit, aber eher, um die anschließende Party, für die ein
       neuer Getränkeanbieter riesige Boxen und eine Bar aufgebaut hat, nicht zu
       verpassen. Das wird gerne kritisiert: Die Feier am Strand gilt vielen als
       zu touristisch und längst nicht mehr spirituell.
       
       Mit seinen Studenten kann Joseph Adande nicht gut über Voodoo sprechen. „Es
       ist keine Religion der Städte“, sagt er. Zwar gebe es überall Orte, die für
       Gott bestimmt seien. „Aber davor sitzen keine junge Menschen und warten
       darauf, dass Gott ihnen Geld gibt.“ Sie seien viel mehr damit beschäftigt,
       ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dafür müssen sie in einer modernen Welt
       leben.
       
       So populär die Feier am Strand ist, so sehr wird Voodoo aber auch
       abgelehnt. Für Kritiker ist es ein Glaube, der Misstrauen schürt. Viele
       Menschen würden in ständiger Sorge leben, dass ihnen Nachbarn oder Bekannte
       etwas Schlechtes wünschen würden. „Das darf man aber gar nicht“, so Adande.
       
       ## Voodoo muss sich anpassen
       
       Häufig heißt es auch, dass schlechte Wünsche zurückkommen. Alleine diese
       Vorstellung soll zur Selbstkontrolle führen. So allgegenwärtig Voodoo ist,
       so wenig wird aber öffentlich darüber gesprochen. Wer nicht eingeweiht ist,
       hat viele Vorurteile. Wer jedoch eingeweiht ist, darf in aller Regel nicht
       darüber reden. Schriftliche Dokumente oder gar Unterricht gibt es so gut
       wie nicht.
       
       Professor Adane ist der Meinung, dass Voodoo weiter bestehen bleibt.
       Wichtig dafür sei die Gleichberechtigung mit dem Christentum und dem Islam.
       Im Vergleich zu den Nachbarländern, in denen die Religion ebenfalls
       praktiziert wird, gilt das als großer Vorteil.
       
       Außerdem sei die Religion für zahlreiche Beniner identitätsstiftend.
       „Voodoo wird sich aber auch wandeln und an eine moderne Welt anpassen
       müssen“, so Adande. Was genau geschehen muss, darauf hat er allerdings noch
       keine Antwort gefunden.
       
       In Ouidah sind längst alle Plastikstühle zusammengestellt worden, und die
       Zelte werden abgebaut. Die Musikgruppen sind weitergezogen. Auch Monsieur
       Dieudonné will nach Hause gehen. „Bis zum nächsten Mal“, winkt er. Er ist
       sich sicher. Voodoo wird bleiben.
       
       8 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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