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       # taz.de -- US-Film „Hidden Figures“: Respekt und Raketen
       
       > „Hidden Figures“ erzählt von drei schwarzen, lange ignorierten
       > Nasa-Forscherinnen. Ein Film über Rassismus und den Wettlauf ins All.
       
   IMG Bild: Taraji P. Henson als Mathematikerin Katherine Johnson in „Hidden Figures“
       
       Anfang der 1960er Jahre mitten im scheinbaren Nirgendwo in Virginia: Drei
       schwarze Frauen sind mit ihrem Auto mitten auf der Landstraße
       liegengeblieben. Während zwei der drei ihre Wartezeit totschlagen, liegt
       die dritte unter dem Auto und repariert. Ein Polizeiauto nähert sich, ein
       weißer dicklicher Polizist steigt aus dem Wagen.
       
       Wer die Eröffnungsszene in Theodore Melfis „Hidden Figures“ sieht, glaubt
       ein Bürgerrechtsdrama um den weißen Rassismus heraufziehen zu sehen – und
       dann kommt es doch etwas anders: Dorothy Vaughan, Mary Jackson und
       Katherine Johnson, die drei Frauen am Auto, zeigen ihren Dienstausweis der
       Nasa vor und werden flugs vom Provinzpolizisten zur Arbeit eskortiert.
       
       Alle drei arbeiten räumlich bis zu den Toiletten sorgfältig nach Hautfarbe
       segregiert mit anderen schwarzen Frauen in einem vollgestopften Büro am
       Rande des Nasa-Geländes – der West Area Computing Unit. Dort stellen sie
       per Hand und mit Rechenmaschine Berechnungen an.
       
       Nach und nach arbeiten sich die drei aus diesem Büro heraus: Katherine
       Johnson wird als Mathematikerin in die neu gegründete Space Task Group
       versetzt. Mary Jackson arbeitet unter den Fittichen eines polnischen
       Ingenieurs, der den Holocaust überlebt hat, an der Raumkapsel, die einen
       Astronauten ins Weltall und wieder zurück befördern soll. Dorothy Vaughan
       kämpft lange vergeblich darum, offiziell Vorgesetzte der Angestellten der
       West Area Computing Unit zu werden – bis sie beginnt, sich in ihrer
       Freizeit die nötigen Kenntnisse anzueignen, um den neuen raumfüllenden
       IBM-Rechner bedienen zu können.
       
       ## Rassistische Strukturierung des Alltags
       
       Der Kampf der drei Frauen um Gleichstellung findet vor allem innerhalb der
       Nasa statt und dreht sich um Respekt. In Momenten wie jenen mit dem
       Polizisten ist die Konfrontation mit der Möglichkeit rassistischer Gewalt
       jedoch immer präsent, dafür sorgen die abendlichen Fernsehbilder von
       Übergriffen weißer Rassisten auf Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung.
       
       In dieser Gegenüberstellung des Arbeitsalltags der drei Frauen mit den
       medialen Bildern körperlicher Gewalt gelingt Melfi eine Miniatur über den
       drohenden Rückfall in ebenjene Jahre vor der Einführung des Civil Rights
       Act von 1964, der freien Zugang zu Wahlen und ein Ende der rassistischen
       Strukturierung des Alltags bedeuten sollte.
       
       Melfis Film beruht auf dem gleichnamigen Sachbuch von Margot Lee Shetterly,
       das letztes Jahr in den USA erschien ist. Fox hat sich schon vor der
       Veröffentlichung des Buchs die Rechte gesichert. Einige Zeit wurde das
       Projekt vor allem von der Produzentin Donna Gigliotti und der
       Drehbuchautorin Allison Schroeder, die bislang vor allem Fernsehfilme
       geschrieben hat, vorangetrieben. Erst im Mai 2016 stand mit Janelle Monáe,
       die Mary Jackson spielt, die letzte der drei Hauptrollen fest. Zwischen dem
       Beginn der konkreten Arbeiten an dem Film, der Verpflichtung von Theodore
       Melfi als Regisseur und dem fertigen Film verging nur ein knappes Jahr.
       
       ## „Hidden Figures“ ist ein Schnäppchen
       
       Schwer zu sagen, ob es diese Eile oder der mangelnde Wille Melfis ist, dem
       bisweilen doch arg staatstragenden Gestus formal etwas entgegenzusetzen –
       sehen wird man „Hidden Figures“ jedenfalls eher aus thematischem Interesse
       denn mit filmischem Genuss. Die Umsetzung ist solide. „Hidden Figures“ ist
       filmisches Handwerk. Mit einem geschätzten Budget von 25 Millionen Dollar
       ist „Hidden Figures“ wie zuvor Ava DuVernays „Selma“ ein Schnäppchen. Eben
       darin könnte die Chance für Filme wie diesen liegen.
       
       Liberalen Medien in den USA stehen vier bis acht harte Jahre bevor. Wenn
       sich auch nur einige der großen US-Filmstudios entschließen könnten, nicht
       der Schleimspur zu folgen, die Unternehmer wie der Amazongründer Jeff Bezos
       auf ihrem Demutsgang zu Trump hinterlassen haben, sondern jenseits der auf
       Refinanzierung angewiesenen Großproduktionen wenigstens in kleinen bis
       mittelgroßen Filmen einen Raum für gesellschaftliche Debatten und filmische
       Experimente zu öffnen – es wäre kein kleiner Gewinn.
       
       „Selma“-Regisseurin Ava DuVernay hat mit ihrer Netflix-Dokumentation „13th“
       über das US-Justizsystem eben diesen Weg eingeschlagen. So sehr die
       Autorität der wahren Lebensgeschichte der drei schwarzen Pionierinnen der
       Nasa auf „Hidden Figures“ lastet – die Sichtbarkeit und späte Anerkennung
       ist den drei Frauen und allen ihren Kolleginnen zu gönnen. Es steht zu
       hoffen, dass folgende Filme sich daran versuchen, für den ermutigenden
       Girls’-Day-Charme des Films auch eine einladend-ermutigende Filmsprache zu
       finden.
       
       2 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
       ## TAGS
       
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