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       # taz.de -- Orthodoxie in Russland: Kirchenkampf in St. Petersburg
       
       > Die geplante Übergabe der Isaaks-Kathedrale an die orthdoxe Kirche stößt
       > auf Widerstand. Die Gegner wollen, dass sie ein Museum bleibt.
       
   IMG Bild: Proteste in der St. Isaaks-Kathedrale gegen die Rückgabe
       
       Moskau taz | „Bloß keine neue Revolution!“, warnte der Expertenrat der
       russisch orthodoxen Kirche (ROK) in einer Mischung aus Besorgnis und Humor.
       Immerhin jähren sich in ein paar Tagen der Ausbruch der Februarrevolution
       und die Abdankung des Zaren 1917 zum 100. Mal. Ort des Geschehens damals
       wie heute: Sankt Petersburg. Wieder geht es um die Eigentumsfrage.
       
       Diesmal dreht es sich vorerst nur um ein Objekt. Die Isaaks-Kathedrale, die
       mit einer goldenen Kuppel von 101 Metern Höhe zum UNESCO Kulturerbe zählt
       und ein Wahrzeichen der nördlichen Hauptstadt Russlands ist.
       
       Die ROK verlangt die Kathedrale seit langem zurück. Erst im letzten
       Frühjahr wies der Petersburger Gouverneur Georgi Poltawtschenko das
       Ansinnen jedoch zurück. Monate später, im Januar, segnete er die Übergabe
       überraschend ab. 49 Jahre soll die ROK nun die Nutzungsrechte erhalten.
       Dass der Gouverneur diesen Beschluss nicht ohne den Petersburger Wladimir
       Putin traf, gilt als ausgemacht.
       
       Am Wochenende zogen 2000 Bürger gegen diese Entscheidung aufs Marsfeld in
       Sankt Petersburg. Sie verlangten, dass die Kirche weiterhin als Museum
       genutzt und auch vom Staat verwaltet werde. Redner plädierten dafür, per
       Referendum über den Sakralbau entscheiden zu lassen. Das hatte die
       Stadtverwaltung jedoch schon abgelehnt.
       
       ## Treffen mit Wählern
       
       Der öffentliche Protest kam überhaupt nur zustande, weil ein paar
       Stadtverordnete die Veranstaltung als „Treffen mit ihren Wählern“
       ausgegeben hatten. Noch ist dies nicht anmeldepflichtig. Sonst wäre der
       Protest dem repressiven russischen Versammlungsrecht zum Opfer gefallen.
       
       Mehr als 200000 Bürger unterzeichneten bereits eine Petition im Internet
       gegen die Verfügung. Diese Dimension hatte der Expertenrat der Kirche wohl
       vor Augen, als er vor einem neuen Aufstand warnte.
       
       Russlands Museumsverband läuft ebenfalls Sturm. Es stehen nicht nur 400
       Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die museale Fachwelt fürchtet, die ROK könne
       den Erhalt der Kunstwerke und die schwierige technische Versorgung nicht
       garantieren, fürchtet Direktor Nikolai Burow.
       
       Rund drei Millionen Touristen besichtigen die Kathedrale jedes Jahr. Zu den
       Gottesdiensten der ROK in einer Seitenkappelle finden sich selten mehr als
       30 Gläubige ein, so Direktor Burow. Auch die Einnahmen für die Stadtkasse
       sind mit umgerechnet 10 Euro pro Ticket nicht unbeträchtlich.
       
       ## Plötzlicher Sinneswandel
       
       Was veranlasste den plötzlichen Sinneswandel? Beobachter vermuten, Kirill,
       Patriarch der ROK, sei bei Kremlchef Wladimir Putin persönlich vorstellig
       geworden. Denn der Zeitpunkt sei kein Zufall. Im Zusammenhang mit dem
       Jahrestag der Revolution möchte der Kreml Russlands Geschichte als eine
       Spazierfahrt durch die Jahrhunderte dank weiser politischer Führungen
       präsentieren. Das revolutionäre Blutbad 1917 stört jedoch.
       
       Der Versöhnungsversuch des Kreml, den Zarewitsch Alexej und Großherzogin
       Maria im Kreise der Zarenfamilie beizusetzen, scheiterte bislang am
       Einspruch der ROK. Beide waren damals fernab der Familie ermordet worden.
       Die ROK behauptet, die DNA sei trotz anderslautender wissenschaftlicher
       Analysen nicht authentisch. Anberaumte Beisetzungen ließ die Kirche
       mehrmals platzen.
       
       Soll nun ein Kuhhandel stattfinden, damit die Geschichte im Rückblick doch
       noch harmonischer daherkommt? Das vermuten russische Beobachter zumindest.
       Der Kreml bräuchte eine Show, um die nationale Einheit zu zelebrieren. Eine
       Beisetzung wäre eine starke Geste.
       
       Die Isaaks-Kathedrale war im 19. Jahrhundert wichtigste zentrale Kirche des
       Zarenreichs. Sie wurde als Symbol des Imperiums errichtet. Auch das reizt
       die ROK, die unter Präsident Putin bereits deutlich an Machtfülle zulegen
       konnte.
       
       ## Am längeren Hebel
       
       Durch Nutzung des Wahrzeichens möchte die ROK auch an das staatskirchliche
       Selbstverständnis erinnern. In der aus Byzanz überkommenen „Symphonie“ aus
       Staat und Kirche ist letztere auch nur eine staatliche Agentur.
       Entscheidend ist die Hierarchie zwischen beiden. Zurzeit sitzt der
       Patriarch scheinbar am längeren Hebel.
       
       2016 gab der Staat der ROK 133 Objekte aus dem alten Kirchenfundus zurück.
       Die Rückführung regelt ein 2010 erlassenes Gesetz. Tausende Bauten stehen
       noch auf der Liste der Behörde für Staatseigentum.
       
       1 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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