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       # taz.de -- Streit bei Podemos in Spanien: Fundi, Realo oder beides?
       
       > Die spanische Podemos-Partei könnte zufrieden sein, ist aber zerstritten.
       > Die „Pablistas“ wollen Gegenmacht, die „Errejonistas“ Teil der Regierung
       > sein.
       
   IMG Bild: Pablo Iglesias (r.) und Inigo Errejon fingen als enge Vertraute an – inzwischen sind sie die Podemos-Politiker tief zerstritten
       
       Madrid taz | Wenn das keine Erfolgsgeschichte ist: Hinter der nur drei
       Jahre jungen spanischen Partei Podemos („Wir können“) liegen sieben
       erfolgreiche Wahlen. Sie ist im Europaparlament vertreten, regiert mittels
       Bürgerbündnissen in den wichtigsten Städten Spaniens, sitzt in allen
       Regionalparlamenten und ist drittstärkste Kraft im Kongress und Senat, den
       beiden Häusern des Parlaments in Madrid.
       
       Die Regierung stellt zwar weiterhin die konservative Partido Popular (PP)
       unter Mariano Rajoy. Sie wird von der rechtsliberalen Ciudadanos (Cs)
       unterstützt und von den Sozialisten (PSOE) geduldet. Damit ist Podemos die
       einzige echte Opposition Spaniens. Angesichts dessen könnten sich die
       Podemos-Aktivisten einen Moment zufrieden zurücklehnen. Stattdessen gehen
       sie am kommenden Wochenende [1][völlig zerstritten] in den zweiten
       Parteitag ihrer Geschichte.
       
       Das „Schnellboot für die Wahlen“ – das agile, zentralistische
       Parteikonzept, das vor zwei Jahren auf der ersten „Bürgerversammlung“
       entstand, aus der Podemos hervorging – soll einem dezentralisierten
       „größeren Schiff“ für ruhigere Zeiten weichen, darüber sind sich mit
       leichten Nuancen alle bei Podemos einig. Umstritten zwischen den
       „Pablistas“ um Generalsekretär Pablo Iglesias und den „Errejonistas“ um
       Iñigo Errejón, Nummer 2 der Partei und Politsekretär, bleibt, welche
       Oppostionsstrategie die richtige ist.
       
       Die beiden einstigen engen Freunde haben sich völlig überworfen. „Wir
       regieren nicht, deshalb müssen wir uns stärken, indem wir Schützengräben in
       der Zivilgesellschaft ausheben“, erklärt der 38-jährige Politikprofessor
       Iglesias. Das Regime sei zwar angeschlagen – aber dank Unterstützung durch
       Cs und PSOE sei es Rajoy gelungen, eine starke Regierung zu bilden, um die
       geschwächte Ordnung zu restaurieren. Dagegen will Iglesias „Gegenmacht auf
       gesellschaftlicher Ebene“ bilden.
       
       ## Abgeordnete als Aktivisten
       
       Der Generalsekretär sieht die Podemos-Abgeordnete als Aktivisten, die an
       Protesten teilnehmen, wo es sie gibt, und solche organisieren, wo nötig.
       Nur so könne sich Podemos von anderen Parteien abheben, so Iglesias in
       seinem „Plan 2020: PP besiegen und Spanien regieren“, der den
       Podemos-Mitgliedern zur Abstimmung vorliegt. Die Partei ist darin nur eine
       „Kraft des Wandels“ von vielen, die gemeinsam in „etwas Breiterem“ aufgehen
       müssen.
       
       Bei den Wahlen im Dezember 2015 trat Podemos gemeinsam mit regionalen
       Parteien an; bei denen im Juni 2016 tat sich die Partei mit der
       postkommunistischen Vereinigten Linken (IU) zusammen, der Iglesias vor der
       Podemos-Gründung als Berater zuarbeitete. So mancher aus seinem Umfeld will
       das Wahlbündnis in feste organisatorische Strukturen gießen.
       
       Doch über Wahlkoalitionen hinaus will Politsekretär und Podemos-Nummer 2,
       Iñigo Errejón, von einem Linksblock nichts wissen. Für ihn ist dies „alte
       Politik“ ohne Aussicht auf eine breite Mehrheit. Der 33-jährige
       Politikwissenschaftler kommt aus der undogmatischen Studentenbewegung und
       der Empörtenbewegung 15M. Er und die Seinen wollen das „ursprüngliche
       Podemos“ als Erbe der Empörten wahren.
       
       „Nicht links, nicht rechts – sondern transversal“ ist sein Motto. Der
       Verantwortliche für die Wahlkampagnen, die Podemos so schnell wachsen
       ließen, schaut nach Lateinamerika, wo „national-populistische“ Projekte in
       mehreren Ländern breite Mehrheiten schufen und mit fortschrittlicher
       Politik regieren. Seine Doktorarbeit schrieb er über das Bolivien von Evo
       Morales.
       
       „Im Zweiparteiensystem war viel von rechts und links die Rede, dabei
       machten beide die gleiche Politik“, sagt Rita Maestre, Sprecherin der
       Stadtverwaltung der spanischen Hauptstadt, die seit Mai 2015 vom
       Bürgerbündnis „Ahora Madrid“ regiert wird. Sie redet weiterhin von „unten
       gegen die dort oben“ – wie Podemos in den ersten Jahren. „Mit der
       bisherigen linken Politik waren wir nicht in der Lage, neue Mehrheiten zu
       bilden. Warum dorthin zurückkehren?“
       
       Wie Errejón machte die heute 28-jährige Politologin erstmals in der
       Studentenbewegung von sich reden. Barbusig forderte sie die Schließung der
       Kapelle in der Madrider Universität Complutense. Dafür musste sie vor
       Gericht.
       
       Maestre ist eine der engsten Vertrauten Errejóns. Vergangenen November
       versuchte sie bei Urwahlen, Podemos-Generalsekretärin in der Region Madrid
       zu werden – unterlag aber knapp dem von Iglesias unterstützten Kandidaten.
       Seither hat sich der Konflikt zwischen „Pablistas“ und „Errejonistas“
       weiter zugespitzt.
       
       Spanien steckt seit Jahren in einer wirtschaftlichen und sozialen Krise.
       Bei der Debatte in Podemos geht es darum, ob das „Fenster der
       Möglichkeiten“, das die Parteigründer um Iglesias und Errejón einst
       erfolgreich nutzten, weiterhin offen ist – oder ob es den Altparteien
       gelungen ist, die angespannte soziale Lage zu beruhigen. Maestre sagt: „Wir
       müssen all unser politisches Potenzial einsetzen, um die Initiative zu
       ergreifen, um zu einer Kraft zu werden, der die Menschen das Regieren
       zutrauen.“ Rajoy sei schwach, gerade weil er ständig Unterstützung von Cs
       und PSOE brauche. Genau das böte Raum für Politik innerhalb der
       Institutionen.
       
       ## Nicht auf die anderen schielen
       
       Für diese Haltung müssen sich Errejón und Umfeld immer wieder vorwerfen
       lassen, sie seien „zu moderat“ und würden sich „den Sozialisten andienen“.
       Maestre weist dies weit von sich: „Wir dürfen nicht wie die alte Politik
       schauen, was die PSOE macht, um dann einen eigenen Platz zu bestimmen. Es
       muss genau umgekehrt laufen. Wir sind eine politische Kraft mit
       Führungsanspruch, die die dynamischsten Teile unserer Gesellschaft umfasst
       und die Fähigkeit hat, Themen und Diskurse in der politischen Agenda zu
       verankern.“ Mit anderen Worten: Podemos soll mit guter Politik die PSOE
       dazu zwingen, sich zwischen Wandel und PP-Herrschaft zu entscheiden.
       
       Errejón und seine Anhänger fallen Generalsekretär Iglesias ständig in den
       Rücken, meint dagegen Juan Carlos Monedero. Mit 53 ist er der Älteste aus
       der mittlerweile völlig zerstrittenen Podemos-Gründergruppe. Der
       Politikprofessor arbeitete als Berater für die IU in Spanien und die
       Regierung von Hugo Chávez in Venezuela.
       
       Wenn er den Namen des Podemos-Politiksekretärs hört, beginnt er sofort zu
       schimpfen. „Die Auseinandersetzung und deren Zuspitzung durch die Medien
       hat dieses besondere Etwas zerstört, das die verschiedene Sektoren
       zusammengeführt hat“, warnt Monedero, der in Deutschland studiert und
       gelehrt hat.
       
       Er zieht Vergleiche zu Realos und Fundis in den Anfangsjahre der Grünen.
       „Nur der Dialog zwischen Strömungen garantiert eine Mehrheit. Beide
       Strömungen haben einen Teil Realo und einen Teil Fundi. Diese beiden
       Elemente dürfen nie auseinanderdriften. Denn das nutzt nur der Rechten. Die
       Grünen begannen links und endeten bei der Unterstützung der Bombardierung
       von Jugoslawien.“
       
       ## Für Iglesias könnte es knapp werden
       
       Ohne Iglesias als Generalsekretär gebe es keine Zukunft für Podemos, warnt
       Monedero. Dabei bewirbt sich Errejón gar nicht für dieses Amt. Er begnügt
       sich mit eigenen programmatischen Dokumenten und einer Liste für den
       Parteivorstand, dem sogenannten Bürgerrat. Doch dort könnte es für Iglesias
       Strömung knapp werden, denn die „Errejonisten“ erfreuen sich immer größerer
       Beliebtheit.
       
       Das gilt selbst im Parteiapparat, wo viele Aktivisten aus der
       Empörtenbewegung stammen. Iglesias reagiert mit Entlassungen von bisherigen
       Beratern und Mitarbeitern. Mittlerweile umgibt er sich vor allem mit
       ehemaligen Mitgliedern der Kommunistischen Jugend.
       
       Der wohl bekannteste linke Philosoph Spaniens, Santiago Alba Rico (56) –
       bei den Wahlen im Juni Kandidat für den Senat in der Provinz Ávila – ist
       einer derer, die sich von Iglesias und seiner Politik abgewandt haben.
       
       „Die Strömung um Iglesias analysiert das Ende der Möglichkeit, schnell an
       die Regierung zu kommen, und fühlt sich in der alten Linken, aus der sie
       stammen, wohler“, erklärt der Kolumnist, der einst zum engsten Kreis um
       Iglesias gehörte und jetzt Errejóns „ursprünglichen, transversalen Podemos“
       unterstützt.
       
       ## Die Sozialisten verlieren, aber Podemos gewinnt nicht
       
       Alba Rico beobachtet ein Debakel: „Die Sozialisten verlieren in den
       Umfragen ständig an Wählern, seit sie eine erneute Regierung Rajoy
       ermöglicht haben – aber Podemos gewinnt nicht dazu.“ Sollte sich die Linie
       von Iglesias endgültig durchsetzen, „wird es nur noch ein schwaches Podemos
       geben, mit etwas mehr Stimmen, als IU bisher hatte“, befürchtet er. Die
       Vereinigte Linke saß zuletzt mit zwei Vertretern im Parlament, das Bündnis
       um Podemos errang auf Anhieb 71 Mandate.
       
       „Wir brauchen ein Podemos, das wächst und konkrete Lösungsvorschläge macht,
       die die Menschen so dringend brauchen. Wenn Podemos keine Antworten gibt,
       werden die Menschen sie sonst wo suchen“, warnt Alba und hat dabei Le Pen
       in Frankreich oder Trump in den USA vor Augen.
       
       10 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!5369636/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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