# taz.de -- Eröffnung der 67. Berlinale: Um sein Leben spielen
> Étienne Comars Regiedebüt „Django“ verdichtet das Leben des Jazzmusikers
> Django Reinhardt auf sein Schicksal als Sinto im Nationalsozialismus.
IMG Bild: Keine gute Zeit für Jazz und Gipsy-Swing: Étienne Comars Film über Django Reinhardt beginnt im Jahr 1943
Ein Wald in den Ardennen. Sinti-Frauen und -Kinder sammeln Hölzer. Ein paar
Meter entfernt sitzen Männer um das Lagerfeuer, spielen Gitarre, ein Alter
mit schwarzem Hut und erloschenen Augen singt. Plötzlich fällt ein Schuss.
Dann noch einer. Die Holzsammler ergreifen die Flucht, auch die Musiker am
Feuer. Der blinde Sänger bleibt allein zurück, seinen Gesang beendet eine
Kugel.
Der französische Regisseur Étienne Comar lässt sein Biopic „Django“ im Juni
1943 beginnen, inmitten der deutschen Besetzung Frankreichs im
Nationalsozialismus. Wenn der Film endet, wird der Zweite Weltkrieg gerade
erst vorüber sein. Damit gibt er die Richtung seines Regiedebüts über Jean
„Django“ Reinhardt vor: Der Film beschränkt sich auf genau diese zwei Jahre
im Leben des Jahrhundertmusikers und Vorreiters des europäischen Jazz, der
als Pionier des Gipsy-Swing mit virtuos federndem und rasendem Spiel sein
Publikum euphorisierte.
Dass auch die Nazis für Reinhardts „Negerrhythmen“ empfänglich waren,
illustriert der Film vom ersten Konzert an, wenn Django vor einer Mischung
aus Pariser Publikum und Nazi-Eliten spielt. Trotz Swing-Verbots beginnen
auch die uniformierten Zuhörer nach und nach mit den Fingern zu schnippen,
ihre Körper lassen sich von den als „entartet“ verschrienen Synkopen und
Breaks bereitwillig affizieren.
In Momenten wie diesen gewinnt „Django“ eine unerwartete Aktualität, zeigen
sich die Nazis in ihrem Umgang mit Swing doch den heutigen Islamisten
erstaunlich ähnlich. Denn sie lehnen nicht die Musik als solche ab, weil
sie damit nichts anfangen können, sondern weil ihr verführerisches
Potenzial ihre vermeintlich wahre Lehre zu bedrohen scheint.
## Unpolitischer, weltfremder Vollblutmusiker
Django, mit stoischer Mimik und einem gelegentlichen Anflug von ironischem
Lächeln gespielt vom französisch-algerischen Schauspieler Reda Kateb, tritt
dabei als unpolitischer, etwas weltfremder Vollblutmusiker in Erscheinung,
der gleichwohl sehr genau merkt, vor wem er da auftritt. Wie groß die
Gefahr tatsächlich ist, der er sich aussetzt, als er einwilligt, auf
Deutschlandtour zu gehen, merkt er erst, als es fast zu spät ist.
Seine Geschichte inszeniert Comar mit Mitteln, wie man sie vom historischen
Ausstattungskino gewohnt ist: die Wohnwagen im Zigeunerlager mit den
Pferden, die durchs Bild laufen, die forsch-zackigen Nazis, mit ihren
kantigen Gesichtern, denen lediglich der feinsinnige „Dr. Jazz“ mit seiner
Vorliebe für Reinhardts Musik einen anderen Akzent verpasst. Konsequent
hält der Film seine Bilder durch bewährte Braun-Patina auf Distanz, lässt
sie leicht angestaubt wirken.
Kateb bewährt sich dabei als Stütze des Films. Sein freundlich-spöttischer,
stets leicht abwesender Django wird als Figur am feinsten gezeigt. Auch die
motorischen Eigenheiten seines Vorbilds hat sich Kateb angeeignet:
Reinhardt erlitt als Kind starke Verbrennungen und konnte seitdem die
Finger der linken Hand nur noch eingeschränkt bewegen. Für das Spiel auf
dem Griffbrett entwickelte er daher eine Zwei-Finger-Technik, mit der er
sein Handicap mehr als kompensieren konnte. Was der Film mehr als deutlich
in Szene setzt.
## Es fehlt mehr weißes Nichts
„Django“ ist nach Wim Wenders’ jüngstem Spielfilm „Die schönen Tage von
Aranjuez“ die zweite Kinohauptrolle des 39-jährigen Kateb. Mit „Django“ hat
sich Comar allemal einen wichtigen Stoff ausgesucht, über den er zugleich
das Schicksal der Sinti im Nationalsozialismus miterzählen kann. So
gesehen, macht Comar inhaltlich alles richtig.
Ein bisschen mehr zutrauen können hätte er sich dennoch. Nicht, dass
„Django“ keine guten Regieeinfälle hat: Einer davon ist die Szene, in der
Reinhardt vor den Nazis in die Schweiz flieht. Nachdem er einen
winterlichen Wald durchquert hat, in dem er sich vor einer Patrouille im
Schnee vergraben muss, steht er plötzlich vor einem weißen Nichts. Das
rettende Exil sieht man nicht, man wird es sich später erschließen können.
Von solchen Momenten hätte der Film mehr gebrauchen können.
10 Feb 2017
## AUTOREN
DIR Tim Caspar Boehme
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