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       # taz.de -- Spielfilm „Helle Nächte“ auf der Berlinale: Klarheit ohne Pferde
       
       > Thomas Arslans „Helle Nächte“ ist ein Vater-Sohn-Roadmovie mit einer
       > Geschichte, die zu klein ist für die Weite der Landschaft.
       
   IMG Bild: Luis, nicht über die Maßen pubertär
       
       Weit ist die Landschaft, eng die Konstellation. Ein Mann, Michael (Georg
       Friedrich), am Schreibtisch, der Vater ist tot. Derselbe Mann, am
       Frühstückstisch, die Freundin geht nach Washington, aber immerhin fragt
       sie, wie er das findet. Sie verschwindet dann aus dem Film.
       
       Derselbe Mann, im Auto: Jetzt ist er mit dem Sohn, der bei der Expartnerin
       lebt, in Norwegen unterwegs. In Norwegens Norden, da ist es Sommer, die
       Nächte sind hell. Da hat der Vater gelebt, da ist der Vater plötzlich
       gestorben, da hat der Vater noch ein Manuskript über Tunnelbau geschrieben,
       das der Sohn nun liest. Der Vater war ein schwieriger Mann, aber einfach
       ist auch Michael nicht.
       
       Der Sohn, Luis (Tristan Göbel), pubertiert, aber in Maßen. Da hat man schon
       schlimmer pubertierende Söhne gesehen. Kein Fan von Natur, kein Fan von
       intimen Vater-Sohn-Gesprächen, kann man verstehen. Vater und Sohn fahren im
       Auto, zu zweit durch bewaldete, weit geschwungene Landschaft. Natürlich mit
       Fjorden.
       
       Sie sind allein, oder wären es, säßen nicht auf dem Rücksitz die ganzen
       Klischees, die in einer so schlichten Geschichte, einer so vertrauten
       Konstellation gerne mitfahren würden. Und der Regisseur Thomas Arslan
       schmeißt sie nicht raus.
       
       Also stehen Vater und Sohn gemeinsam am Fjord, sprechen wenig, lassen
       Steine über das Wasser springen. Man nähert sich an, aber langsam. Und
       Schnitt. Luis lernt ein gleichaltriges Mädchen kennen, sie gucken einen
       Death-Metal-Clip, sie spielt ihm Musik auf sein Handy, dann fährt sie
       davon.
       
       ## Eine ziemlich großartige Fahrt
       
       „Helle Nächte“ ist ein Vater-Sohn-Road-Movie und zu dem, was man darunter
       erwartet, fügt Thomas Arslan erstaunlich wenig hinzu. Einmal eine ziemlich
       großartige Fahrt durch den Nebel, in den immer dichteren Nebel hinein,
       einen der geschwungenen Berge hinan, eine Autofahrt-Subjektive ohne
       Figuren, ohne Auto im Bild, ein Bewegtbild, das das Fahren, die Bewegung
       selbst ist, darunter zunächst noch das Knirschen der Räder auf der
       unbefestigten Straße, dazu der im Film mehrfach wiederkehrende droneartige
       Sound von Ola Fløttum, der nach und nach das Knirschen verdrängt wie der
       immer dichtere Nebel die Sicht.
       
       Das ist der einsame Höhepunkt dieses Films.
       
       Thomas Arslan ist unter den Regisseuren der Berliner Schule der Klassizist.
       Ein Meister der Reduktion, bei dessen Filmen aber stets die Gefahr besteht,
       dass am Ende nicht viel mehr als Skelette verbleiben: Plot-Skelette,
       Figuren-Skelette, Beziehungs-Skelette. Es geht ihm nicht um Prägnanz,
       sondern um Klarheit; nicht um Auskleidung, sondern um Struktur.
       
       Schon bei „Gold“, dem Western, der vor ein paar Jahren im
       Berlinale-Wettbewerb lief, schien das Genre auf den bloßen Knochen
       geschält. Was die Landschaft angeht und ihre Weite und die für die
       Landschaft zu kleine Geschichte darin, ist „Helle Nächte“ fast so etwas wie
       ein noch einmal reduziertes Remake des Vorgängerfilms. Allerdings ohne
       Pferde. Und auf einen einzigen, wenig dramatischen Konflikt
       heruntergekocht. Vater und Sohn und was sie verbindet und trennt. Ein
       bisschen Entwicklung. Das ist da. Und mehr ist da nicht.
       
       14 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ekkehard Knörer
       
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