# taz.de -- Nach Terrorermittlungen in Sachsen: Selbstkritik nach Fahndungspannen
> Weil die Polizei einen Islamisten davonspazieren ließ, plant die
> Regierung nun Reformen. Weitere Konsequenzen soll es keine geben.
IMG Bild: Innenminister Markus Ulbig während der Regierungserklärung im sächsischen Landtag
Dresden taz | So viel Selbstkritik der Staatsregierung haben die
Abgeordneten des Sächsischen Landtags lange nicht gehört. Die
Regierungserklärung zum Fall des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr konnte
am Mittwoch aber auch kaum hinter dem Untersuchungsbericht zurückbleiben,
den eine Expertenkommission eine Woche zuvor vorgestellt hatte.
Innenminister Markus Ulbig (CDU) räumte Fehler insbesondere beim
gescheiterten Festnahmeversuch al-Bakrs am 7. Oktober in Chemnitz ein.
Justizminister Sebastian Gemkow (ebenfalls CDU) sah hingegen nur
Informationsdefizite bei der Einlieferung des Gefangenen in die Leipziger
Haftanstalt.
Der junge Syrer war nach Hinweisen des Bundesverfassungsschutzes Anfang
Oktober in Chemnitz aufgespürt worden. In der Wohnung wurde Sprengstoff
gefunden, der möglicherweise einem Anschlag auf einen Flughafen dienen
sollte. Al-Bakr konnte zunächst fliehen, wurde nach Hinweisen syrischer
Landsleute aber in Leipzig gestellt. In der Haft konnte er sich trotz
Bewachung zwei Tage später erhängen.
Die fünfköpfige Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen
Bundesverfassungsrichters Herbert Landau hatte sowohl den Bundes- als auch
den sächsischen Behörden Versäumnisse vorgehalten und die mangelnde
Abstimmung zwischen allen Ebenen gerügt. So hätten Bundeskriminalamt und
Generalbundesanwalt den Fall an sich ziehen müssen.
## Mehr Stellen, mehr Koordination
Im Sächsischen Landtag empfand man es als Erleichterung, dass die
Kommission keine vorsätzlichen und keine „typisch sächsischen“ Fehler
konstatiert hatte. Gleichwohl müsse man sich „zuallererst an die eigene
Landesnase fassen“, wie der Justizexperte Klaus Bartl von der Linken sagte.
Das tat Innenminister Ulbig mit der Vorstellung konkreter Konsequenzen.
Anstelle des überforderten Landeskriminalamts sollen vergleichbare Einsätze
künftig von den dafür besser geeigneten regionalen Polizeidirektionen
geführt werden. Das LKA soll künftig eine funktionierende Stabsorganisation
vorhalten. Einsätze gegen Terroristen werden trainiert, die Ausrüstung von
Spezialeinsatzkommandos wird verbessert.
Das bislang vorwiegend gegen politisch motivierte Kriminalität von rechts
eingesetzte Operative Abwehrzentrum soll auch die Terrorismusbekämpfung
übernehmen und wird dafür auf 250 Stellen personell verdoppelt. Das
Vorgehen gegen Terroristen sollte bundesweit vereinheitlicht werden, regte
Ulbig an. Die Innenministerkonferenz hat dazu bereits eine Projektgruppe
unter sächsischem Vorsitz eingesetzt.
Justizminister Gemkow kündigte mehr Stellen im Justizvollzug an, darunter
mehr Dolmetscher. Mit einem neuen Haftraumtyp solle der „zunehmenden Zahl
ausländischer und extremistischer Gefangener“ Rechnung getragen werden.
Der Opposition kommen die Maßnahmen zu spät. Enrico Stange (Linke)
verlangte den Rücktritt von LKA-Chef Jörg Michaelis. Der Grüne Valentin
Lippmann richtet seine Kritik eher an die Staatsregierung. Es gehe nicht um
individuelle Schuld, sondern um politische Verantwortung.
1 Feb 2017
## AUTOREN
DIR Michael Bartsch
## TAGS
DIR Sachsen
DIR Markus Ulbig
DIR Schwerpunkt taz Leipzig
DIR CDU
DIR Terrorabwehr
DIR Dresden
DIR Lesestück Recherche und Reportage
DIR Generalbundesanwalt
DIR Terrorismus
DIR Terrorismus
DIR Terrorismus
DIR Schwerpunkt Islamistischer Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Hamster Heribert Brumm ermittelt: „Spricht dieses Insekt mit mir?“
Drama in einem Akt: Der Suizid des Terroverdächtigen al-Bakr in der JVA
Leipzig hat keine juristischen Folgen – doch eine Ratte könnten alles
verändern.
DIR Umstrittenes CDU-Institut in Sachsen: Eine konservative Denkfabrik?
Die CDU nutzt die Beziehung zum Bildungsministerium für ihr „Institut für
gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Grüne kritisieren das.
DIR Anti-Terroreinsatz in Chemnitz: Spezialkräfte stürmen Wohnhaus
Bei dem Einsatz im Chemnitzer Stadtteil Gablenz wurde mindestens eine
Person in Gewahrsam genommen. Weitere Informationen gibt es bisher kaum.
DIR Kunst und Geschichte in Dresden: Debatte über Gedenken im Gange
Dresden gedenkt der Zerstörung der Stadt vor 72 Jahren. Am Montag werden
10.000 Menschen bei einer Menschenkette für Frieden und Toleranz erwartet.
DIR Rechte Szene in Chemnitz: Als die Nazis Reißaus nahmen
Farbbeutel, Fäkalien und eine tote Ratte vor der Tür: Wie Rechte eine linke
Abgeordnete in Chemnitz drangsalierten. Und Widerstand hervorriefen.
DIR Behörden und der Terrorfall Al-Bakr: Nicht völlig versagt
Die Expertenkommission zum Fall al-Bakr legt ihren Bericht vor: Behörden
hätten keine Regeln verletzt, aber „grobe Fehleinschätzungen“ getroffen.
DIR Geplanter Anschlag auf Flughafen: Vorwurf der Beihilfe
Ausschüsse des sächsischen Landtags befassen sich mit dem Suizid des
Terrorverdächtigen al-Bakr. Sein mutmaßlicher Komplize wurde nach Karlsruhe
gebracht.
DIR Selbstmord des Terrorverdächtigen: „Fiasko!“, „Skandal!“, „Versagen!“
Linken-Chefin Kipping wirft der sächsischen Regierung totales Versagen vor.
Die Grünen-Politikerin Künast fordert einen Untersuchungsausschuss.
DIR Anschlagspläne in Chemnitz: Verdächtiger war wohl in der Türkei
Wo sich der Terrorverdächtige aus Chemnitz in den vergangenen Monaten
aufhielt, ist nicht gesichert. Einem Bericht zufolge führt die Spur in die
Türkei.
DIR Terrorverdächtiger aus Chemnitz: Von drei Landsleuten überwältigt
Drei Syrer übergeben den Terrorverdächtigen Jaber A. in Leipzig gefesselt
der Polizei. In seiner Wohnung findet die Sprengstoff – und geht von
„IS-Kontext“ aus.