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       # taz.de -- Das Kunstwerk „Monument“ in Dresden: Der Schutzwall
       
       > Mit Bussen neben der Frauenkirche will Manaf Halbouni an Krieg und
       > Zerstörung erinnern. Wie der Vorplatz zum Ort der Kommunikation wird.
       
   IMG Bild: Menschen versammeln sich am Montag am „Monument“
       
       Dresden taz | Als sich die Menschen in Dresden an den Händen fassen, lässt
       sich Manaf Halbouni auf einen Stuhl in seinem Atelier fallen. Er zieht die
       Mütze vom Kopf, von der er glaubt, dass ihn damit niemand erkennt.
       Beschissener Tag, sagt er, beschissene Stimmung. Sie warten darauf, ihn
       alleine zu erwischen, da ist er sich sicher. Sie, das sind die Hetzer,
       Pöbler und Nazis, die sein Gesicht kennen, also hat er sich zurückgezogen,
       von diesem Platz, auf dem sein bislang imposantestes Werk steht. Die drei
       Busse, die Halbouni hochkant auf dem Platz vor der Frauenkirche aufstellen
       ließ. Er wollte damit für Frieden sorgen, und doch herrscht in Manaf
       Halbounis Kopf heute Krieg. „Manchmal wünsche ich mir, dass ich so buntes
       Gedöns mache, über das die Leute einfach nur sagen: wie schön.“
       
       Es ist der Abend des 13. Februar. Der Tag, an dem die Menschen in Dresden
       der Opfer der Luftangriffe 1945 gedenken. Und es ist der siebente Tag, an
       dem Manaf Halbouni sie mit seiner Kunst provoziert. Halbouni, 32 Jahre alt,
       ist ein kleiner Mann mit dem Gesicht eines Heranwachsenden, meistens trägt
       er einen Hut mit abgewetzter Krempe, der soll das kaschieren und weckt
       Assoziationen zu Joseph Beuys. Nach Christo noch so ein Gigant, mit dem
       Halbouni seit Tagen verglichen wird. Von jenen, die in den drei Bussen
       große Kunst sehen.
       
       Andere halten Halbouni für einen Terroristen. Nicht, weil es Anzeichen
       dafür gibt, sondern weil es so gut passt. So ist der Neumarkt, der Vorplatz
       der Frauenkirche, ein Ort des Überlebens und Überwindens – der Deutschen.
       Warum sollte hier nun auch noch Syrern gedacht werden? So fragen es dieser
       Tage viele laut auf dem Platz.
       
       ## Die syrischen Opfer
       
       Alles begann mit einem Foto. Aleppo, eine Straßenschlucht, drei Busse,
       hochkant aufgerichtet. Ein Schutzwall gegen Scharfschützen. Die Menschen,
       so zeigen es die Fotos, huschen dahinter entlang, der Schrott ermöglicht
       Alltag. Halbouni beschließt, den Schutzwall zu imitieren, überzeugt erst
       ein kleines Museum, wichtige Stiftungen der Region und schließlich den
       Oberbürgermeister der Stadt. Dann taucht zur Einweihung vergangene Woche
       ein Mob auf, „Schande“ brüllen sie und „Volksverräter“. Auch noch, als der
       Pfarrer der Frauenkirche eine Rede hält. Später erhält der
       Oberbürgermeister Dirk Hilbert eine Morddrohung. [1][Seither bewachen
       Polizisten Hilberts Wohnhaus], und Manaf Halbounis Telefon hört nicht mehr
       auf zu klingeln.
       
       Im Internet kursieren Gerüchte, jeder auf dem Neumarkt kennt sie: Es gibt
       Bilder von den Bussen in Aleppo, auf denen eine Fahne weht. Von der Miliz
       Ahrar asch-Scham. Deutschland stuft sie als terroristische Vereinigung ein.
       Dann recherchieren sie seine früheren Werke und finden Landkarten. Darauf
       europäische Orte mit arabischen Namen. Es ist ein Gedankenexperiment, wie
       die Welt aussehen würde, wenn nicht die Europäer, sondern die Osmanen die
       Welt kolonialisiert hätten. Er will Europa dem Islam unterwerfen, behaupten
       der Mob und dann auch die Menschen vor den Bussen.
       
       „Es ist wahnsinnig mutig, dass die Stadt sich dazu entschlossen hat“, sagt
       Christiane Mennicke-Schwarz über das Monument. Sie ist die künstlerische
       Leiterin des Kunsthauses, einer städtischen Galerie in Dresden. Sie war
       überzeugt von Halbounis Idee und hat die Umsetzung organisiert. Sie glaubt,
       es brauche Mut, um den syrischen Krieg nach Deutschland zu holen, an diesen
       Ort – und ausgerechnet an jenen Tagen, an denen die Stadt darum Jahr für
       Jahr streitet, wie sie der Opfer der Bombenangriffe auf die Stadt gedenkt.
       Für Christiane Mennicke-Schwarz geht es bei der Installation um
       Kunstfreiheit, „für die wir so hart gearbeitet haben“, sagt sie. „Sie ist
       ja längst nicht mehr in allen europäischen Ländern selbstverständlich.“
       
       2015 hat sie zum ersten Mal mit Manaf Halbouni gearbeitet. Er war damals
       noch Student und Pegida noch eine junge Bewegung. Christiane
       Mennicke-Schwarz spürt, dass sich die Stimmung in der Stadt verändert, und
       beginnt, die neuen Fragen zu thematisieren. Halbouni stellt sich damals mit
       einem vollgepackten Auto, das Flucht symbolisieren soll, und die wenigen
       Dinge, die Fliehenden bleiben, neben die Aufmärsche der Rechten. „Sachse
       auf der Flucht“, nennt er das. Doch Pegida wächst und Dresden wird zum
       Symbol pöbelnder Rechtspopulisten. Kunst kann dagegen nichts ausrichten.
       
       Es ist Sonntag, Tag vier seit der Einweihung. Manaf Halbouni steigt auf
       einen Betonklotz, 150 Menschen scharren sich um ihn, blicken ihn an. Nein,
       sagt er, er ist kein Islamist. Er trinkt ja schließlich auch Radeberger.
       Lachen. Nein, er will sich nicht in Politik einmischen, schließlich sei das
       mit der Politik kompliziert und er will doch nur erinnern, an Krieg, an
       Frieden, an Aleppo. Dieser Frieden könne vergehen, sagt er, dass dürften
       gerade die Jungen nicht vergessen. Klatschen. Er entschuldigt sich, die
       Flagge bei seiner Recherche nicht bemerkt zu haben. Es ist ein seltener
       Moment: der Künstler, wie er sein Werk verteidigt. Überhaupt: Wann gab es
       das zuletzt, ein Kunstwerk, das so erregt? Der Wirtschaftsminister Sachsens
       streitet vor dem Kunstwerk mit Bürgern, Jan Böhmermann macht sich über die
       Proteste lustig, Journalisten tragen die Geschichte in die ganze Welt.
       Halbounis Vater ruft an, dass die Nachbarn von den Bussen gehört hätten. Er
       lebt in Damaskus, inmitten des Krieges, an den der Sohn nun in Deutschland
       erinnert. Manaf Halbounis erste Heimat ist Syrien.
       
       2008 hatte er beschlossen, seine Heimat zu verlassen. Wie jeder Student
       hätte er nach seinem Abschluss zum Militärdienst gemusst. Zweieinhalb Jahre
       in Assads Truppen, das wollte er nicht. Er nutzt seinen deutschen Pass,
       kommt nach Dresden, in die Heimatstadt seiner Mutter, lässt sich von der
       Bundeswehr mustern, den Wehrdienst würde der syrische Staat anerkennen.
       Dann wartet er, eingezogen zu werden. Statt einer Einladung schreibt ihm
       die Bundeswehr einen Brief, man brauche ihn derzeit nicht. Also muss
       Halbouni länger bleiben als geplant. Er beginnt wieder zu studieren, zu
       arbeiten. Dann bricht Bürgerkrieg aus.
       
       Vor der Installation stehen zwei Männer im Sonnenschein, der eine redet auf
       den anderen ein, spricht von Kanaken, die alles geschenkt bekämen, Kanaken,
       die sich alles erlauben könnten. Auf der anderen Seite der Busse steht ein
       Klavier, seine Musik tönt über den Platz. Ein Vater kommt mit seinen beiden
       Töchtern auf den Platz, sie kauen kandierte Äpfel, während er erklärt, dass
       sie für so eine Arbeit in der Schule eine Vier bekämen, schließlich seien
       sie ja weder Syrerinnen noch Afghaninnen und die Busse nicht einmal
       Originale aus Aleppo, so viel Mühe hätte man sich ja noch machen können.
       
       ## Die deutschen Täter
       
       Es passiert etwas auf diesem Platz. Menschen kommen, schießen Fotos,
       befestigen Blumen, entzünden Kerzen, selbst nachts, bei klirrender Kälte.
       Fremde kommen miteinander ins Gespräch, anfangs häufig, weil sie sich einig
       sind, dass sie die Installation für falsch halten, dann reden sie über ihre
       eigenen Geschichten. Vom Leben mit Hartz IV. Von der Wende, die ihre
       Gewissheit genommen hat. Von Krankheit, Arbeitslosigkeit und der Wut auf
       die Gesellschaft, die ihre Ausweglosigkeit ignoriert. Von damals, als
       Dresden brannte und sie tagelang in Kellern ausharrten – und den vielen
       Jahren, als der Neumarkt nur ein Trümmerberg war.
       
       Zwei Schüler mit Flyern von der AfD müssen sich die mahnenden Worte eines
       Überlebenden anhören, dass die Dresdner Opfer nicht ohne die deutschen
       Täter gedacht werden dürfen. Der alte Mann, der so lautstark von Kanaken
       spricht, wird von einem jungen Mann zurechtgewiesen, seine Sprache zu
       überdenken. Und so stehen die Dresdner gemeinsam hinter diesem Wall aus
       altem Blech, reden und streiten, zum ersten Mal seit zwei Jahren. Die Busse
       sind auch ihr Schutzwall geworden.
       
       Der Krieg in Syrien hat Manaf Halbouni zu einem Künstler mit Gedanken zu
       den großen gesellschaftlichen Fragen gemacht. Aber Pegida war es, die ihm
       eine Stimme verliehen hat. Dresden, sagt er, ist für ihn wie ein schwarzes
       Loch. Es zieht ihn an und runter. Er, der in Syrien der Deutsche war und in
       Deutschland nun der Syrer, der das fremde Leid vor der Frauenkirche
       thematisiert. Es beflügelt ihn selbst zu großen Worten. „Die Stimmung am
       Monument erinnert mich an die Antike, als Philosophen und Bürger
       zusammenkamen und über Kunst und die Welt redeten.“
       
       Die Nacht ist schon vor Stunden eingebrochen. Ein Mann steht vor dem
       Monument und wirft mit einem Diaprojektor Licht an die Unterseiten der
       Busse. Ein Peace-Zeichen. Eine Friedenstaube. Den Satz des Bürgermeisters,
       der für große Empörung sorgte: Dresden ist nicht unschuldig. Und so steht
       er da, für sich und ohne Publikum, „irgendwas muss man mit den Dingern ja
       anstellen“, murmelt er, dann geht er nach Hause. Er will noch mehr Dias
       drucken.
       
       14 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Christina Schmidt
       
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