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       # taz.de -- Kolumne Durch die Nacht: Immer schön auf die Toilette
       
       > Der neue Berliner ist da. Und er wird ganz disruptiv den Altberlinern und
       > sogar den verstopften Toiletten den Garaus machen.
       
   IMG Bild: Vor dem Händewaschen: Bürsten nicht vergessen!
       
       Gleich mehrfach bin ich in letzter Zeit auf ihn gestoßen: auf den „neuen
       Berliner“. Klingt nach einer Kategorisierung, die definitionstechnisch noch
       ausbaufähig ist, aber da wird sich sicherlich etwas finden lassen. Ein
       Konzertveranstalter hatte mir von diesen neuen Berlinern berichtet, und in
       einem neuen Buch über die Berliner Clubkultur bin ich ebenfalls auf diese
       Spezies aufmerksam worden.
       
       Die neuen Berliner, das entnehme ich dem Gesagten und Gelesenen,
       unterscheiden sich grundsätzlich von den alten, und das ist das Neue an
       ihnen. Sie scheinen zimperlicher, geordneter, irgendwie ganz anders als wir
       Altberliner zu sein.
       
       Um das am Beispiel der Konzert- und Clubkultur mal kurz anschaulicher zu
       machen: Für Altberliner ist es ganz normal, in verratzten Kaschemmen um
       kurz vor Mitternacht immer noch auf den Auftritt der erwarteten Band zu
       warten. Sind die Toiletten des Etablissements verstopft, dann halten sie
       sich einfach die Nase zu. Gibt es keine Seife: egal. Neuberliner dagegen
       zieht es eh nur in Läden, in denen Konzerte pünktlich beginnen und wo die
       Toiletten blitzblank sind und der Handfön funktioniert.
       
       ## Hänger, Selbstverwirklicher
       
       Jahre, nein, Jahrzehnte lang war Berlin die Hauptstadt des Hingerotzten und
       Improvisierten, besungen in tausendundeiner Huldigungen auf die unfertige
       Stadt. Dieser Status scheint nun akut bedroht zu sein. Nach Berlin kamen
       all die Hänger, Freaks und Selbstverwirklicher, weil sie hier so schön
       unter sich bleiben konnten. Wer hierher zog, wollte sich unbedingt
       anpassen.
       
       Jetzt scheinen nur noch diejenigen mit Bausparvertrag zu kommen, was zum
       aktuellen Kulturkampf geführt hat. Die neue Generation probt den Aufstand.
       Alles, was sich die Alten hart mit ihren besetzten Häusern, Punkschuppen,
       illegalen Bars, Clubs und Bretterbuden erarbeitet haben, die Neuen wollen
       es einfach nicht mehr.
       
       Anfangs erschien es so, als würden die Neuen bei den Alten nur eine
       Identitätskrise auslösen. Da waren die Hipster und Touris, Schwaben und
       Gentrifizierer, Störenfriede und Fremdkörper, die man hoffentlich bald
       wieder raus aus dem eigenen Kiez hatte. Doch die Neuen blieben und anstatt
       sich anzupassen, machen sie nun die Toiletten schön und kaufen sich, wie
       es die passionierte Altberlinerin Christiane Rösinger in ihrem neuen Lied
       besingt, eine „Eigentumswohnung“.
       
       Und ich denke mal, der Bruch mit dem guten alten Berlin wird noch zunehmen.
       Die ganzen Start-up-Menschen beispielsweise, sie übernehmen ja immer mehr
       die Stadt. Sie wollen alle durchaus wegen Berlin nach Berlin, und Studien
       belegen, dass Start-ups sich am liebsten dort in der Stadt niederlassen, wo
       auch wirklich etwas los ist, wo es Clubs und Kneipen gibt.
       
       Doch das Credo der Start-up-Branche lautet schließlich Veränderung,
       weswegen die neuen Entrepreneure sicherlich nicht diejenigen sind, die die
       Traditionen des guten alten Berlins bewahren wollen.
       
       Disruptiv – die Lieblingsvokabel der Szene, die das Ersetzen eines
       verbrauchten Alten durch etwas Neues kennzeichnet – könnte sich ihre
       Vermehrung in Bezug auf die Sitten und Gebräuche des alten Berlins
       auswirken. Kaputte Toiletten üben auf diese Leute einfach kaum noch
       wirklichen Charme aus. Höchstens als Vintage sind diese Zeugnisse des alten
       Berlins vielleicht überlebensfähig: Eine verranzte Toilette in einer Kneipe
       mit Craft-Beer-Ausschank, bei der die Spülung nicht funktioniert, ist dann
       eben eine Toilette im Altberliner Design.
       
       19 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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