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       # taz.de -- Kommentar Chancen der Grünen: Narrativ nackt
       
       > Der Aufschwung der SPD hat die Grünen kalt erwischt. Der Plan, in Merkels
       > Windschatten an die Regierung zu kommen, wirkt veraltet.
       
   IMG Bild: Sieht schwindenden Wahlchancen entgegen: das Grünen-Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt
       
       Für den Wahlkampf, wie er noch vor ein paar Wochen plausibel schien, waren
       die Grünen eigentlich bestens präpariert. Die SPD kürte, typisch Oldschool,
       ihren Kandidaten im Stil feudaler Verkündung. Die Grünen hingegen ließen
       die Basis entscheiden, was nicht nur hübsch demokratisch ist, sondern auch
       das freundliche Interesse der Öffentlichkeit auf die Partei lenken sollte.
       Nun aber heften sich alle möglichen Hoffnungen an Martin Schulz, während
       Cem Özdemir angesichts sinkender Umfragewerte klingt, als würde er Wasser
       aus dem lecken Boot schöpfen.
       
       Vielleicht haben die Grünen mit Özdemir und Göring-Eckardt das falsche Duo
       [1][gekürt]. Die beiden zählen schon lange zum inneren Berliner
       Politzirkel, der SPD-Wundermann aber wirkt wie das Versprechen, mal das
       Fenster aufzumachen. Robert Habeck wäre die bessere Wahl gewesen. Es ist
       kein elitenfeindlicher Populismus, wenn sich das Publikum mal andere
       Gesichter wünscht.
       
       Vor allem aber ist die Rolle der Grünen im Wahlkampf erst mal
       verschüttgegangen. Zu erwarten war ein in der Mitte matter Wahlkampf wie
       2013, mit einer depressiven SPD, die schon wieder kein Mittel gegen Merkel
       findet. Und damit zwei machtpolitisch realistische Möglichkeiten: schon
       wieder Große Koalition oder Schwarz-Grün.
       
       Özdemir und Göring-Eckardt, solide und unscheinbar, sind das Signal, dass
       die Partei Schwarz-Grün will. Das Bündnis mit Merkel im Herbst wäre die
       Beglaubigung, dass die ehemals Alternativen endgültig in der Mitte
       angekommen sind. Dort würden sie als neue Scharnierpartei dafür sorgen,
       dass die Große Koalition nicht zum Normalmodus wird. Und, wie früher die
       FDP, die Union gegen autoritär-rechtspopulistische Versuchungen
       imprägnieren. Der Matchplan war klar: die Grünen als Angebot für
       frustrierte SPD-Klientel und für das weltoffene Bürgertum, das einen
       Konterpart zur CSU im Kabinett sehen will.
       
       ## In der Bredouille
       
       Der klingt nun etwas verwittert. Die Idee, in Merkels Windschatten ins Ziel
       zu segeln, scheint fraglich, wenn nicht überholt. Wenn es in der Mitte
       wirklich zu einem Kampf auf Augenhöhe zwischen Union und SPD kommt, drängt
       das nicht nur die AfD an den Rand, sondern auch die Grünen. Das ist eine
       Art politische Mechanik, die die Grünen immer in die Bredouille bringt. Und
       es ist etwas mehr: die Quittung für die allzu risikoscheue,
       stromlinienförmige, unauffällige Art.
       
       Wer Merkel nicht mehr will, für den sind die Grünen uninteressant. Für
       WählerInnnen mit rot-rot-grünen Sympathien ist das Duo Özdemir und
       Göring-Eckardt nur mäßig attraktiv. Dabei wären die Grünen gerade im
       Bündnis mit zwei sozialdemokratischen Parteien unverzichtbar – als
       libertärer, ökologischer Gegenpart. Um zu verstehen, wie nötig die
       Ökopartei ist, muss man sich die reaktionär-technokratische Agrarpolitik
       von Rot-Rot in Brandenburg vor Augen führen.
       
       Keine andere Partei feilt so sorgfältig an ihrer Erzählung, am Feintuning
       von Werten und Images. Jetzt sind die Grünen abrupt narrativ nackt. Dass
       sie im Beiboot der Großen Koalition [2][Frank-Walter Steinmeier brav zum
       Bundespräsidenten kürten], machte auch einen eher müden als selbstbewussten
       Eindruck. Zum trüben Bild gehört, dass es in den Ländern schwierig wird. In
       Nordrhein-Westfalen ist die Fortführung von Rot-Grün im Mai nur eine
       schwache Hoffnung, im Saarland können die Grünen aus dem Landtag fliegen,
       in Kiel aus der Regierung. Nur die Höhe der Verluste scheint noch offen.
       
       2013 scheiterten die Grünen bekanntlich an beherzten Steuererhöhungsplänen
       und am Image der Veggieday-Moralapostel. Damals setzten sie auf Reform und
       Veränderung – doch das Publikum wollte lieber, dass es bleibt, wie es ist.
       Diesmal präsentieren sich die Grünen als Garant der Kontinuität – doch die
       Wähler wollen vielleicht etwas Neues. Die Partei hat die Lektion von 2013
       offenbar zu gründlich gelernt. Bloß nicht auffallen ist 2017 kein
       brauchbares Rezept.
       
       19 Feb 2017
       
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