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       # taz.de -- Science-Fiction-Comic: Raumfahrer im falschen Körper
       
       > Im neuen Comic-Abenteuer „Valerian und Veronique“ der Raum-Zeit-Agenten
       > entpuppt sich ein arabischer Lebensmittelladen als Raumschiff.
       
   IMG Bild: Das ist kein arabischer Lebensmittelladen, das ist ein Raumschiff!
       
       O unendliches All. Raumschiffe. Sterne und Planeten. Nicht zu vergessen:
       Aliens. Das ist der Stoff, aus dem sich Science-Fiction-Comics in der Regel
       zusammensetzen.
       
       Die französische Comicreihe „Valerian und Veronique“, die 1967 im
       Comicmagazin Pilote startete und nach mehr als 20 längeren Abenteuern 2010
       ihren Abschluss fand, griff ebenfalls auf all diese Elemente zurück.
       Allerdings gelang es ihren Schöpfern, die üblichen Klischees auf ein
       Minimum zu reduzieren, indem sie zum Beispiel auch die hässlichsten
       Aliens, die ansonsten gerne als böses Getier zum Abschuss freigegeben
       werden, wie echte Charaktere behandelt.
       
       Szenarist Pierre Christin, der später auch mit dem Zeichner [1][Enki Bilal]
       zusammenarbeitete und anspruchsvolle Politthriller mit fantastischen
       Elementen (im Zyklus „Legenden der Gegenwart“) schuf, bereicherte das Genre
       um intelligente Geschichten mit politischen und satirischen Akzenten,
       während Zeichner Jean-Claude Mézières den Leser mit bis dato nie gesehenem
       Einfallsreichtum in der Ausgestaltung der fremden Planeten zu verzaubern
       verstand. (Seine Aliens und Artworks beeinflussten vermutlich wesentlich
       die „Star-Wars“-Filmreihe; diesen Sommer kommt Luc Bessons Verfilmung
       „Valerian – Die Stadt der 1.000 Planeten“ ins Kino.)
       
       Im Mittelpunkt der Abenteuer stehen die „Raum-Zeit-Agenten“ Valerian und
       Veronique, die im 28. Jahrhundert vom irdischen Stützpunkt „Galaxity“ aus
       das Weltall nach gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten oder falschen
       historischen Entwicklungen durchforsten und dafür nicht nur zu den
       entferntesten Planeten, sondern auch in die Vergangenheit reisen können.
       
       Dabei lernten die Leser die vielfältigsten und skurrilsten Planetenvölker
       kennen, die nicht selten so manche Utopie der 68er-Generation umsetzten –
       im Band „Das Land ohne Sterne“ gibt es etwa zwei verfeindete matriarchale
       und patriarchale Systeme.
       
       ## Ziemlich abgedreht mit fiesem Humor
       
       Nun ist ein neues Abenteuer erschienen, das – mit Zustimmung der beiden
       Autoren – von einem anderen Künstler erdacht und gezeichnet wurde: Manu
       Larcenet. Der 1969 geborene Franzose ließ sich bislang auf kein Genre
       festlegen und besitzt mittlerweile Kultstatus in Frankreich.
       
       „O unendliches All“… davon schwärmt der schmale Schnurrbartträger René also
       lautstark in seiner schummrigen, allzu gegenwärtigen Stammkneipe und wird
       von seinem verfetteten Alkoholikerfreund Jean-Pierre für seine poetische
       Fantasie bewundert. Da taucht Albert, ein menschlicher Abgesandter aus der
       Zukunft, auf, der mit drei richtigen Aliens an seiner Seite auf der Suche
       nach ihm ist und behauptet, dass René der legendäre Raumpilot Valerian sei,
       der nur im falschen Körper stecke.
       
       Im Nu sitzt der eben noch arbeitslose, hoffnungslose Alkoholiker in einem
       Raumschiff, das sich bisher als arabischer Lebensmittelladen tarnte. Seine
       Mission wird es sein, Jesperiank, den Herrscher des grausamen Volkes der
       Jakolass, zu suchen, der René einst um seinen wohlgeformten Valerian-Körper
       betrog. Doch Jesperiank ist auf einem Gefängnisplaneten interniert und
       immer noch hochgefährlich. Nicht zuletzt, um der hübschen Veronique zu
       gefallen, macht René mit.
       
       Eine ziemlich abgedrehte, von fiesem Humor geprägte Variante der
       Valerian-Reihe wird uns da serviert. Eine Gratwanderung zwischen Elementen
       der „echten“ Abenteuer und der Welt der Asozialen und Abgehängten, die
       Larcenet in seiner von 2009 bis 2014 entstandenen „Blast“-Reihe (auf
       Deutsch erschienen bei Reprodukt) erschaffen hat, jener kruden Mischung aus
       Krimi, Natursymbolik und überspitzter Sozialstudie.
       
       ## Der Kult der „kosmischen Biberratte“
       
       Der karikierende Zeichenstil erinnert dabei mehr an Larcenets humoristische
       Arbeiten, wie etwa seine Beiträge zur [2][Fantasy-Reihe „Donjon-Parade“].
       
       Manu Larcenet hat dieses (vermutlich einzige) Spezial-Abenteuer bereits
       2011 gezeichnet. Geradezu prophetisch erscheint da seine Idee vom wüsten
       religiösen Fanatismus des Jesperiank, der den Kult der „kosmischen
       Biberratte“ betreibt und das verfeindete Volk der You-Yous nahezu komplett
       ausrottet, da es den falschen Gott (die „Große Astrale Biberratte“)
       anbetet. Wer würde da heute nicht an die Ideologen des IS denken?
       
       So ist das ganze Album, in dem die eigentlichen Titelhelden nur am Rande
       vorkommen, ein gar nicht eskapistisches, geistreiches Spiel mit dem Genre,
       das clever und ganz im Sinne der Valerian-und-Veronique-Schöpfer auf
       irdische Gegenwartsprobleme verweist, ohne dabei einen moralischen
       Zeigefinger erahnen zu lassen. Ein großer Spaß, Delirium tremens inklusive.
       
       20 Feb 2017
       
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