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       # taz.de -- Selbstoptimierung dank Coaching: Ist uns noch zu helfen?
       
       > Gewicht verlieren, das Leben in Ordnung bringen, die Familie in Einklang
       > halten: Was bringt Coaching? Unsere AutorInnen haben es getestet.
       
   IMG Bild: Hektisch? Müde? Stress im Job? Für alles gibt es einen Coach
       
       ## Am Ende: schlanker
       
       „Dieser Weg wird kein leichter sein.“ Die Überschrift in der Zeitung macht
       mich neugierig auf den Artikel. Es geht um das Abnehmprogramm „Mobilis“,
       ich lese mich fest. Schon viel zu lange bin ich viel zu dick. Aber alleine
       abnehmen ist schwierig. Man fängt eine Diät an, geht ins Sportstudio – und
       nach drei, vier Wochen ist alles wieder beim Alten.
       
       Dabei nervt Dicksein. Es macht unbeweglich und kurzatmig. Klamotten in
       Übergrößen sehen blöde aus. Und: Übergewicht kann krank machen. Ich merke
       das selber. Treppensteigen ist problematisch, ständig tun mir die
       Kniegelenke weh. Spontan melde ich mich deshalb an. Mit knapp 800 Euro ist
       das einjährige Programm nicht billig. Den größten Teil erstattet mir aber
       die Krankenkasse – wenn ich regelmäßig teilnehme.
       
       Von den 17 Leuten aus meiner Gruppe leiden viele unter Bluthochdruck oder
       Diabetes, müssen Medikamente nehmen und sehen „Mobilis“ als letzte Chance.
       Leicht wird es tatsächlich nicht. Und es kostet Zeit: zwanzig
       Gruppensitzungen mit einer Psychologin und, im Wechsel, mit
       Ernährungsberatung. Dazu ein Sporttermin pro Woche, manchmal zwei. Zu Hause
       sollen wir täglich unser Essen protokollieren, Sport in den Alltag einbauen
       und schrittweise die Ernährung umstellen.
       
       Nach vier Wochen gibt die erste auf. Schnell ist klar: Wer mogelt, betrügt
       sich selbst. Wer fehlt, verliert Motivation. Das alles ist richtig Arbeit.
       Es geht um eine Veränderung des Verhaltens. Nach einem Vierteljahr macht
       Sport plötzlich Spaß. Ich kann wieder rennen, um den Bus zu erreichen.
       Treppensteigen ohne Knieschmerzen. Klamotten in Normalgröße kaufen. Am Ende
       wiege ich 15 Kilo weniger, bin drei Kleidergrößen kleiner und fitter als zu
       Schulzeiten. Alleine hätte ich das Jahr nie durchgehalten.
       
       (Die Autorin möchte anonym bleiben. Sie ist Mitarbeiterin der taz.)
       
       ## Am Ende: versöhnt
       
       Als wir vor ein paar Jahren endlich etwas Geld angesammelt hatten, begann
       der Streit: Sollen wir renovieren und Möbel kaufen, oder sollen wir die
       Rücklagen behalten? Meine Frau wollte es kuschelig-schöner zu Hause, mich
       beruhigte hingegen die Vorstellung, sich im Fall eines Totalschadens des
       Familienautos unkompliziert einen neuen Gebrauchtwagen kaufen zu können.
       
       Wie üblich, wenn unsere beiden Welten aufeinanderprallen, kamen schnell
       Vorwürfe: „Geiz“ hier, „Verantwortungslosigkeit“ dort. Ein
       Sich-nicht-Verstanden-Fühlen auf beiden Seiten, schlechte Laune und das
       Eskalieren banaler Alltagskonflikte waren die Folge.
       
       Wie immer wusste Frau B. Rat. Sie arbeitet in einer kirchlichen
       Familienberatungsstelle, und wir treffen sie dort seit vielen Jahren etwa
       alle drei Monate. Vor dem ersten Mal war ich, wie wohl alle Männer,
       skeptisch – vom ständigen Küchenpsychologisieren in Beziehungen und WGs
       hatte ich die Nase voll. Aber Frau B. ist anders: Professionell, aber ohne
       kommerzielles Interesse. Es gebe kein „gut“ oder „schlecht“, auch nicht in
       der Geldfrage, sagt Frau B., jedes Gefühl habe seine Berechtigung und sei
       kein Vorwurf an den Partner. „So finden Sie eine Lösung!“
       
       Das tun wir – auch wenn es manchmal schwerfällt. In einer Familie mit zwei
       Kindern gibt es immer wieder Konflikte um die knappen Ressourcen Zeit und
       Geld, um Erziehungsfragen und den Umgang mit den Schwiegereltern. Frau B.
       ist quasi Teil der Familie geworden. Bei einem Streit zu Hause heißt es
       dann: „Stopp, das klären wir bei Frau B.!“ Oder: „Was würde Frau B. dazu
       sagen?“ Das hilft schon.
       
       Ach ja, renoviert haben wir damals, aber etwas später und ohne die
       Ersparnisse aufzubrauchen. Nächste Woche geht es wieder zu Frau B.: Wir
       müssen über unsere Tochter reden.
       
       (Der Autor möchte anonym bleiben. Er ist taz-Redakteur.)
       
       ## Am Ende: Leberkäse. Selbstcoaching per Buch
       
       Das Versprechen ist groß: „In 30 Minuten wissen Sie mehr!“ – und „mehr“
       heißt: In einer halben Stunde kriegst du dein Leben in den Griff. Das ist
       der Neoliberalismus zwischen zwei Buchdeckeln – du bist selbst
       verantwortlich, keiner wartet auf dich! So muss es beim Gewaltmarsch bei
       der Bundeswehr sein. 50 Kilometer mit 30 Kilo Gepäck; wer liegen bleibt,
       bleibt liegen.
       
       Deshalb: Nimm dir die 30 Minuten und fang bei dir selbst an. Die letzte
       Rettung vor dem Dauerstrom an Mails, Anrufen, Terminen und Stapeln, die
       schon Staub ansetzen. Sonst gehst du unter, und die anderen sind längst ins
       neue Haus gezogen. Mein Coach heißt „Selbstorganisation“, verfasst von
       einem Autorentrio und, so steht es unten in der Ecke auf dem Cover,
       „Spitzentitel 14. Auflage“ des im Ratgeberfach einschlägigen Gabal-Verlags
       in Offenbach am Main. Igitt, Ratgeberliteratur: „Musterreden für alle
       Anlässe“, „Innerlich frei. Was wir gewinnen, wenn wir unsere ungeliebten
       Seiten annehmen“. Jetzt also auch du.
       
       Das Buch holt dich ab, legendäre Eingangsfrage: „Kennen Sie das?“ Von der
       Arbeit nach Hause kommen, wie der einstige EU-Kommissar Bangemann quasi nur
       dein Sakko über die Stuhllehne gehängt und so Arbeit simuliert. Nichts
       wirklich gemacht, abends frustriert zu Hause gesessen. Und der Mailstrom
       reißt nicht ab, der Anrufbeantworter blinkt hektischer, der Staub um die
       Stapel herum wird dunkler, dein Leben düsterer. Die kennen dich!
       
       30 Minuten nur, du siehst das Ende doch schon. Wirst Herr deines
       Arbeitslebens sein. Und früher zu Hause auch – wenn du es willst! Das Buch
       gelesen, eher: durchgescrollt, den Selbsttest „Haben Sie einen Hang zum
       Perfektionismus“ übersprungen, du kennst die Antwort. Befolgst du, was du
       liest, wird es deinen Alltag kälter machen, sachlicher. Eine Regel: Sei
       kurz angebunden! „Lange Briefe kosten Zeit und ermuntern den Empfänger,
       auch wieder ausführlich zu antworten. Antworten Sie statt dessen schnell,
       aber spartanisch kurz.“
       
       Was du mitnimmst: Kleine Sachen sofort erledigen, Aufschieben macht sie nur
       größer. Zeiten festlegen für E-Mails und Telefonate. Dringende Dinge sind
       selten wichtig. Das „Super-Buch“ ausprobieren, in das du alles einträgst
       und Erledigtes wegstreichst: „Das sind Ihre Erfolgserlebnisse.“
       
       So. Halbe Stunde ist um, in der Betriebskantine gibt’s Leberkäs mit Püree.
       
       ([1][Felix Zimmermann])
       
       Den Essay „Uns ist nicht mehr zu helfen“ von Arno Frank über das um sich
       greifende Phänomen des Coachings lesen Sie in der [2][taz.am wochenende vom
       11./12. Februar 2017.]
       
       16 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
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