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       # taz.de -- Kindergeld für EU-Ausländer: Auf dem Dienstweg verloren
       
       > Das Finanzministerium will EU-Ausländern das Kindergeld kürzen. Doch es
       > gibt bereits viele bürokratische Hürden für den Bezug.
       
   IMG Bild: Beim Kindergeld sollen Arbeitnehmer aus EU-Ländern wie Polen schlechter gestellt werden
       
       Berlin taz | Wer mit Witold Kaminski spricht, bekommt eine Ahnung davon,
       was es heißt, mit der deutschen Bürokratie zu kämpfen. „Viele unserer
       Klienten warten jahrelang auf das Kindergeld“, sagt der Berater im Verein
       ‚Polnischer Sozialrat‘ in Berlin, „da werden ständig neue Dokumente
       angefordert. Manche Eltern geben dann einfach auf“.
       
       Kaminski berät polnische Arbeitnehmer, die in Deutschland tätig sind und
       für ihren Nachwuchs Kindergeld beantragen. Das Recht auf Kindergeld von 192
       Euro pro Kind besteht für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer. Es ist
       das Pendant zu den Steuerfreibeträgen für Kinder, die jedem Steuerzahler
       zukommen, wobei es unerheblich ist, in welchem Land die Kinder aufwachsen.
       
       Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat angekündigt, das
       Kindergeld für im Ausland lebende Kinder von hier arbeitenden EU-Ausländern
       aus Osteuropa zu halbieren. Das Argument: Die Lebenshaltungskosten in Polen
       oder Rumänien sind geringer als in Deutschland.
       
       Betroffen wären unter anderem rund 90.000 Kinder in Polen und 16.000 Kinder
       in Rumänien, von denen mindestens ein Elternteil in Deutschland arbeitet.
       Die Grünen warnen vor einem „Bürokratiemonster“, wird das Kindergeld aus
       Deutschland an die Lebenshaltungskosten im Heimatland angepasst.
       
       Doch schon jetzt erschwert die Bürokratie den EU-Ausländern in Deutschland,
       Kindergeld zu bekommen. „Wir haben viele Fälle, wo der Antrag abgelehnt
       wird“, sagt Kaminski. Im Juni urteilte der Bundesfinanzhof, dass der
       Angehörige den Antrag stellen muss, in dessen Haushalt das Kind lebt. Das
       heißt, dass Anträge, die in Deutschland gestellt werden, aber im Ausland
       lebende Kinder betreffen, „jetzt von den Familienkassen erst mal mit
       Hinweis auf das Urteil abgewiesen werden“, erklärt Rechtsanwalt André
       Roesener, der beim Polnischen Sozialrat berät.
       
       Mutter oder Großmutter müssten in diesen Fallen von Polen aus den Antrag
       stellen, in Deutsch. Wer in Polen das Kind betreut, muss aber vorher noch
       einen Antrag bei der polnischen Familienkasse stellen, denn das Kindergeld
       in Polen wird mit der deutschen Sozialleistung verrechnet.
       
       Oft bekommen die Antragssteller von der polnischen Familienkasse aber gar
       kein Geld, weil es in Polen niedrige Einkommensgrenzen für diese
       Sozialleistung gibt, die durch den Verdienst in Deutschland überschritten
       werden, erzählt Kaminski. Gibt es Geld von der polnischen Familienkasse,
       muss dieses mit dem deutschen Kindergeld verrechnet werden, dabei werden
       Złoty in Euro umgerechnet und umgekehrt.
       
       Der Schriftverkehr zwischen deutscher und polnischer Familienkasse kann
       Monate, manchmal sogar Jahre dauern. „Zwischen den deutschen und polnischen
       Familienkassen gibt es leider sehr lange Bearbeitungszeiten“, erzählt die
       Berliner Rechtsanwältin Stefanie Beier. Anwalt Roesener berichtet, er habe
       schon mal eine Untätigkeitsklage gegen eine Familienkasse erhoben, weil
       einfach keine Antwort von der Behörde kam. Nicht selten gehen auch
       Originaldokumente auf dem Dienstweg verloren.
       
       Auch polnische Familien, die mit Kindern in Deutschland leben und
       vorschriftsgemäß hier ihren Antrag auf Kindergeld stellen, leiden unter
       Verschleppungen zwischen den Behörden. „Wir kennen hier Fälle, wo die Leute
       in Hartz IV rutschen, weil das Kindergeld von fast 400 Euro im Monat
       einfach nicht kommt und der Arbeitslohn nicht reicht“, erzählt Kaminski.
       238.000 Kinder von polnischen und 110.000 Kinder von rumänischen
       Kindergeldberechtigten erhalten diese deutsche Sozialleistung. Ein gutes
       Drittel der polnischen beziehungsweise ein Siebtel der rumänischen Kinder
       leben nicht in Deutschland.
       
       Wenn Schäubles Gesetzentwurf durchkommt, würde das Kindergeld für den
       Nachwuchs im Heimatland nach den Lebenshaltungskosten im Ausland
       „indexiert“. Diese Anpassung folgt dem Steuerrecht, denn dort wird der
       Freibetrag für in der Heimat lebende Kinder auch je nach Herkunftsland
       anders berechnet.
       
       Hier arbeitende Dänen dürfen für ihre in der Heimat lebenden Kinder den
       vollen Freibetrag von der Steuer absetzen, Polen, Bulgaren und Rumänen aber
       nur die Hälfte, Ägypter nur ein Viertel. Kindergeld bekommen
       Nicht-EU-Ausländer allerdings nicht, wenn die Sprösslinge im Heimatland
       wohnen.
       
       23 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
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