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       # taz.de -- AfD stellt Bundestagskandidaten auf: Die sind die Köpfe
       
       > Stramme Rechte, ein Unionist, ein Putin-Freund und ein Mann, der
       > „thymotische Spannung“ verspricht. Die AfD tritt zur Bundestagswahl an.
       
   IMG Bild: Gegen „Schuldkult“: Martin Renner steht auf Platz eins der NRW-Landesliste für den Bundestag
       
       Essen taz | [1][Martin Renner] ist ein kleiner Mann, das weiße Haar trägt
       er nach hinten gekämmt, dazu eine Hornbrille und ein hoch geschlossenes
       weißes Stehkragenhemd. Die Themen von Björn Höckes umstrittener Dresdner
       Rede, bei der dieser eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“
       gefordert hatte, seien richtig, sagt Renner jetzt. „Schuldkult“ und
       „Political Correctness“ müssten gestoppt werden. Er selbst würde diese
       Themen seit Jahren benennen, aber eben in anderer Form. Höcke habe sie im
       Ton einer „Ufa-Wochenschau“ vorgetragen. Allein darin sieht Renner den
       Fehler.
       
       Es ist Samstagmittag, der Ko-Landeschef steht am Mikrofon auf der Bühne im
       „Saal Europa“ in der Essener Messe, die nordrhein-westfälische AfD hat zum
       Landesparteitag geladen. Die Delegierten werden an diesem Wochenende ihre
       Kandidaten für den Bundestag aufstellen.
       
       Renner bezeichnet Einwanderung als „humanistisch kaschierte
       Selbstzerstörung unserer Kultur“, den Islam als „Unterwerfungsideologie“,
       der Kanzlerin unterstellt er Nähe zu dem Slogan „Deutschland verrecke“. Er
       wird mit knapper Mehrheit auf Listenplatz eins gewählt.
       
       Renner wird also mit großer Wahrscheinlichkeit nach der Wahl im September
       dem Deutschen Bundestag angehören. Viele der AfD-Landesverbände haben
       bereits ihre KandidatInnen – viele Männer, wenig Frauen – aufgestellt.
       Langsam kann man sich also ein Bild davon machen, wie die künftige
       AfD-Fraktion im Berliner Reichstag aussehen könnte.
       
       ## Ein höchst heterogenes Spitzenteam
       
       [2][Parteichefin Frauke Petry], die die sächsische Landesliste anführt,
       wird dazugehören, ebenso wie Vizechef [3][Alexander Gauland], der auf Platz
       eins der Brandenburger Landesliste steht und sich gern als Höckes Freund
       bezeichnet. Die beiden, die sich im Bundesvorstand erbittert bekämpfen,
       scheinen trotz aller parteiinternen Querelen für das Spitzenteam gesetzt zu
       sein, das die AfD in den Bundestagswahlkampf führen soll.
       
       In der Partei wird dafür zudem [4][Alice Weidel] aus Baden-Württemberg
       gehandelt, die die dortige Liste anführt, als neoliberal gilt und in einer
       lesbischen Beziehung lebt. Sie könnte im Wahlkampf ein Gegengewicht zu
       Gauland bilden. Auch der ehemalige ARD-Korrespondent Armin Hampel aus
       Niedersachsen bringt sich in Stellung. Hampel ist in seinem Landesverband
       wegen einer schlechten Bilanz und seines Führungsstils hoch umstritten, hat
       es aber trotzdem auf den ersten Platz der Landesliste geschafft. Die AfD
       wird auf einem Bundesparteitag Ende April in Köln entscheiden, wer alles zu
       diesem Spitzenteam gehören soll. Zuvor sollen die Mitglieder in einer
       Online-Befragung Empfehlungen abgeben.
       
       [5][Die Höcke-Rede] und der Streit [6][um einen möglichen
       Parteiausschluss], parteiinterne Machtkämpfe und schließlich der Erfolg von
       SPD-Kandidat Martin Schulz, mit dem es plötzlich eine Alternative zur
       Kanzlerin zu geben scheint –, das alles lässt die Umfragewerte der AfD
       derzeit sinken. Zuletzt lag die rechtspopulistische Partei zwischen acht
       und elf Prozent der Stimmen. Das ist zwar deutlich weniger als noch vor
       wenigen Monaten, aber dennoch würde die AfD damit drittstärkste Kraft vor
       Grünen, Linken und FDP werden, sollte Letztere den Sprung in den Bundestag
       wieder schaffen.
       
       ## Ein Assistent von Peter Sloterdijk
       
       Geht der Sinkflug nicht weiter, könnte die AfD mit rund 60 Abgeordneten in
       den Bundestag einziehen, nach der Berechnung von Überhang- und
       Ausgleichsmandaten wahrscheinlich sogar mit mehr. Als bevölkerungsreichstes
       Bundesland wird die AfD aus NRW die meisten Abgeordneten nach Berlin
       schicken, nach den aktuellen Umfragen wären es etwa zwölf. Es folgen
       Bayern, wo die Landesliste noch nicht aufgestellt ist, Baden-Württemberg
       und Niedersachsen. Höcke-Fans wie der Nordrhein-Westfale Renner und
       Parteivizechef Gauland, [7][Stephan Brandner] aus Thüringen und Jens Maier,
       Richter am Dresdener Landgericht und Listenplatz zwei der sächsischen AfD,
       dürften das eine Ende der künftigen Bundestagsfraktion der AfD markieren.
       Am anderen Ende wird wahrscheinlich Alice Weidel stehen.
       
       Dazwischen könnten sich zahlreiche illustre Gestalten tummeln. [8][Marc
       Jongen] zum Beispiel (Listenplatz 3 Baden-Württemberg), der als
       Parteiphilosoph gilt und Assistent von Peter Sloterdijk an der Karlsruher
       Hochschule war. Jongen spricht gern über „Thymos“, was aus dem
       Altgriechischen stammt und etwas zwischen Mut, Zorn und Empörung bedeutet.
       Jongen will die „thymotische Spannung“ in Deutschland erhöhen, jüngst
       sprach er bei der Winterakademie in der neurechten Denkfabrik in
       Schnellroda, [9][dem Institut für Staatspolitik] von Götz Kubitschek.
       
       Ebenfalls aus Baden-Württemberg kommt [10][Markus Frohnmaier], ein
       Russlandversteher, der immer wieder nach Moskau, auf die Krim oder auch
       nach Serbien reist und dort ein Netzwerk knüpft. Frohnmaier ist Chef der
       AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative, er galt als Höcke-Fan, diente
       sich dann aber dessen Widersacherin Petry als Pressesprecher an.
       
       ## Der neue Alterspräsident?
       
       Aus Hessen könnte Martin Hohmann in den Bundestag einziehen, der früher für
       die CDU im Bundestag saß und dann [11][wegen antisemitischer Äußerungen]
       ausgeschlossen wurde. Hohmann sei damals „beträchtliches Unrecht angetan“
       worden, heißt es in der AfD. Auf Platz zwei der hessischen Landesliste vor
       Hohmann steht Landeschef Peter Münch, der zwischenzeitlich den
       Landesvorsitz abgeben musste, weil bekannt wurde, dass er Ende der 1980er
       Jahre Mitglied der Republikaner war.
       
       Der langjährige Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, [12][Wilhelm von
       Gottberg], steht auf Platz vier der niedersächsischen Landesliste. Der
       76-Jährige hat gute Chancen, Alterspräsident des Bundestags zu werden. Dann
       darf er das neu gewählte Parlament mit einer Rede eröffnen. In seiner
       Bewerbungsrede in Hannover hatte Gottberg sich dafür stark gemacht, den
       „Kult mit der Schuld zu beenden“.
       
       Aus Berlin wollen die beiden Landeschefs in den Bundestag ziehen, die eine
       – Bundesvize, Lebensschützerin und [13][Genderhasserin Beatrix von Storch]
       – sitzt bereits im Europaparlament, ihr Ko-Chef [14][Georg Pazderski] ist
       Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus.
       
       Am Sonntag hat die AfD in Mecklenburg-Vorpommern ihre Landesliste
       aufgestellt. An erster Stelle steht Leif-Erik Holm, der derzeit noch
       Fraktionschef im Landtag ist. Holm ist auch Direktkandidat im Wahlkreis 15,
       der Vorpommern und Rügen umfasst. Bei der Landtagswahl konnte die AfD hier
       – in anders zugeschnittenen Wahlkreisen – Erfolge verbuchen. Das Pikante
       daran: Für die CDU tritt im selben Wahlkreis Bundeskanzlerin Angela Merkel
       an. Seit 1990 hat sie das Direktmandat stets geholt.
       
       ## Niederlage für Frauke Petry
       
       Holm ist einer von vielen Landesspitzen, die es in den Bundestag zieht.
       Einige aber haben sich anders entschieden: [15][Jörg Meuthen], Petrys
       Ko-Vorsitzender aus Baden-Württemberg, wird nicht für den Bundestag
       kandidieren, [16][André Poggenburg] will in Sachsen-Anhalt, Höcke in
       Thüringen bleiben. Jeder von ihnen dürfte andere Gründe haben, insgesamt
       aber hat die AfD erkannt: Wenn alle Spitzenpolitiker nach Berlin gehen,
       sieht es in den Ländern düster aus.
       
       In NRW bleibt Renners Ko-Vorsitzender [17][Markus Pretzell]. Der Mann von
       Parteichefin Petry ist Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Mai. Das
       Verhältnis der beiden Landesvorsitzenden gilt als zerrüttet, seit Langem
       kämpfen sie in einem tief gespalteten Landesverband erbittert um die Macht.
       Am Samstag nun wählten die Delegierten Renner auf Platz eins der
       nordrhein-westfälischen Landesliste für die Bundestagswahl. Seine Wahl ist
       für das Pretzell/Petry-Lager eine herbe Niederlage.
       
       So gespalten wie die Partei derzeit ist, so gespalten dürfte auch die
       Bundestagsfraktion werden. Auf den Kampf um den Fraktionsvorsitz darf man
       jetzt schon gespannt sein.
       
       26 Feb 2017
       
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