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       # taz.de -- Tom Neuwirth aka Conchita Wurst: Der Panzer kann weg
       
       > Vor sechs Jahren erfand Tom Neuwirth die Kunstfigur Conchita Wurst – und
       > gewann mit ihr den Eurovision Song Contest. Nun will er weiter.
       
   IMG Bild: Noch auf der Bühne: Conchita Wurst beim ESC-Vorentscheid 2017
       
       Er neigte immer schon zu Klartext, auch wenn Tom Neuwirth nicht behaupten
       würde, er sei immer recht verstanden worden: Die Rede ist von einem
       Österreicher, der einige Schritte ins dortige Showbiz unternahm, leichte
       Erfolge hatte – und schließlich wie ein Phönix aus der Asche in das dortige
       Kulturestablishment aufstieg und schließlich eine Weltkarriere begründete:
       Conchita Wurst.
       
       Neuwirth erfand diese Figur vor etwa sechs Jahren – ein schwuler Mann, der
       auf der Bühne die Figur einer Drag Queen gibt. Der Künstlername erklärt
       sich so: Conchita, weil so schön spanisch und Flamboyanz verheißend. Und
       Wurst, so Tom Neuwirth 2014 [1][in einem Interview in Kopenhagen], weil es
       egal ist, ergo Wurst, wie jemand sich anzieht und was das bedeutet.
       
       Als Conchita Wurst war Tom Neuwirth 2012 erstmals bei einer Vorentscheidung
       zum Eurovision Song Contest angetreten und scheiterte an durchaus homophob
       gesinnten Juroren und Publikümern. Aber zwei Jahre später kam sie zurück,
       weil der österreichische Rundfunk keine Vorentscheidung austragen wollte
       (das Geld fehlte) und auf fertige Showkonzepte zurückgreifen wollte. Das
       Team um Tom Neuwirth hatte es parat. So setzte Conchita Wurst zum Höhenflug
       schlechthin an. Mit „Rise Like A Phoenix“ gewann Tom Neuwirth als Drag
       Queen Conchita Wurst 2014 in Kopenhagen den 59. Eurovision Song Contest.
       
       Seither hat Neuwirth (aka Conchita Wurst) es in aller Welt zur Prominenz
       gebracht. Nie gab es auch nur eine relativierende Bemerkung von ihr, die
       anders klang als ein smartes Fanal im Sinne der Gleichberechtigung und
       Nichtdiskriminierung queerer Menschen. Conchita Wurst, das war eine Art
       Martin Luther King der LGBTI*-Szene mit hoher Akzeptanz in den libertären
       Heteromilieus.
       
       Aber drei Jahre als Conchita Wurst sind offenbar jetzt genug gewesen. Wer
       Augen hatte, konnte dies schon bei „[2][Unser Song 2017“] in Köln während
       des Interval-Acts sehen: [3][Conchita], als Teil eines
       ESC-Siegertitel-Medleys mit [4][Nicole] und [5][Ruslana], war in Sachen
       Kleidung und Kosmetik schon eine andere Performerin als beim Sieg mit „Rise
       Like A Phoenix“ [6][2014 in Kopenhagen]. Auf Spiegel Online [7][hieß es
       danach], Conchita habe eine „Maximum-Drama-Version“ von [8][„Satellite“]
       geliefert – also die aufgespeckte Version von [9][Lenas Siegestitel] von
       2010.
       
       Zu erkennen war aber, dass Conchita in gewisser Weise „männlicher“, härter
       und irgendwie anders war. Auch stimmlich. Ihre hohen Töne klangen
       metallischer, ihre Blicke in die Kamera weniger gefällig: Nicht mehr
       versteckt hinter einem gigantischen Fummel, die Haare nicht mehr so
       gestriegelt, sondern luftig gefönt, der Bart wuschelig, die Körpersprache
       griffiger, bestimmter.
       
       In der [10][Welt am Sonntag] waren kürzlich Zitate von Tom Neuwirth über
       die Zukunft seiner Kunstfigur Conchita und deren Auflösung nachzulesen,
       ebenso [11][in der österreichischen Zeitung Kurier]. Wörtlich heißt es
       dort: „Ich habe das Gefühl, eine neue Persona schaffen zu wollen.
       Vielleicht noch gar nicht mich. Aber mit der bärtigen Frau habe ich seit
       dem Song-Contest-Sieg im Prinzip alles erreicht. Ich brauche sie nicht
       mehr. (…) Ich muss sie töten“, so Neuwirth.
       
       Conchita war immer eine künstlerische Ausdrucksform des Österreichers
       Neuwirth, das hat er nie anders gesagt. „Ich bin auf der Suche, ja. Ich
       hinterfrage mich dieser Tage mehr denn je. Ich suche das, was ich richtig
       gut kann. Ich kann von allem ein bisschen, das ist mein Problem. Ich suche
       mich. Und Tom rebelliert.“ Eine Frau jedenfalls habe er nie sein wollen.
       „Ich liebe Männer, wie gesagt – aber als Mann. Wenn ich als Conchita von
       Männern angemacht werde, regt sich bei mir gar nichts. Als Drag fühle ich
       mich komplett asexuell.“
       
       Das war eine absehbare Entwicklung. Tom Neuwirth ist ein wunderbarer
       Künstler, der aus Lenas „Satellite“ eine noble Version performen kann und
       sich das Lied sozusagen zu eigen macht. Conchita ist die erfolgreichste und
       präsenteste ESC-Siegerin [12][seit Abba]. Nicht im Hinblick auf die
       Plattenverkäufe, sondern mit Blick auf die Zahl der Follower in den
       sozialen Medien, Gastauftritte in Talkshows – als Figur, die in der
       Öffentlichkeit Interesse weckt. Das weiß Neuwirth, er kann sie langsam in
       den Ruhestand schicken. Ein neues Album soll vorher noch unter dem Namen
       Conchita erscheinen.
       
       Conchita Wurst wird also langsam zu den biographischen Erträgen von Tom
       Neuwirth gezählt. Neuwirth bringt als offen schwuler Künstler alles mit, um
       mehr zu sein als ein queeres Beispiel für gelungene Bühnenkunst. Er kann
       beweisen, dass ein Künstler, der nicht in Hetero-Klammern passt und
       insofern nicht zur gegengeschlechtlichen Identifikation einlädt, sehr wohl
       weiter Erfolg haben kann. Conchita Wurst kann sterben – sie hat, mit
       anderen Worten, ihren Dienst getan: Der Panzer kann weg!
       
       16 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.eurovision.de/news/conchitawurst203_page-1.html
   DIR [2] http://www.eurovision.de/unser_song_2017/index.html
   DIR [3] http://www.eurovision.de/teilnehmer/Conchita-Wurst-ESC-Siegerin-von-2014,conchitawurst141.html
   DIR [4] http://www.eurovision.de/teilnehmer/Deutschland-Ein-bisschen-Frieden,nicole221.html
   DIR [5] http://www.eurovision.de/teilnehmer/Ruslana-Biografie-der-ESC-Gewinnerin-2004,ruslana103.html
   DIR [6] http://www.eurovision.de/geschichte/ESC-2014-Kopenhagen-Punkte-Ergebnisse-Videos,kopenhagen324.html
   DIR [7] http://www.spiegel.de/kultur/musik/eurovision-song-contest-levina-faehrt-zum-esc-2017-a-1133934.html
   DIR [8] http://www.eurovision.de/videos/Deutschland-Lena-gewinnt-mit-Satellite-den-ESC-2010,escfinale119.html
   DIR [9] http://www.eurovision.de/teilnehmer/Lena-Meyer-Landrut-Biografie-der-ESC-Siegerin-2010,lena429.html
   DIR [10] https://www.welt.de/vermischtes/article162006620/Ich-muss-Conchita-Wurst-toeten.html%22%20%5Cn%20_blank
   DIR [11] https://m.kurier.at/stars/tom-neuwirth-macht-mit-conchita-schluss-muss-sie-toeten/246.212.377
   DIR [12] http://www.eurovision.de/teilnehmer/Abba-Biografie-der-ESC-Sieger-von-1974-,abba121.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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